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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntcigsxhilosophen,

Lwislsn, wie noch englisch 8ma1s), aber auch von laoliLiuisn on^su, ja von lÄollenäuili
nmots (Gemüt, Stimmung), d. h, der in den lachenden Mienen sichtbar wird.
In der Umgangssprache sagt man noch "er lachte im ganzen Gesichte," wozu
der lachende Schall gar nicht gehört. Dieses Lachen ist vielmehr wesentlich
ein Lachen der Augen, in denen ein eigentümliches Glänzen von innen her auf¬
leuchtet, doch so, daß die ganzen Mienen, vor allem der Mund und seine Um¬
gebung mit ihren eigentümlichen Mitteln dazu helfen, dem Glänze seinen ver¬
schiedenen Ausdruck bestimmter zu geben; aber die Hauptsache thun die Auge",
wie überhaupt im ganzen wechselvollen Leben der Gesichtszüge. Ist doch das
" Gesicht" selber nach dem Sehen, also die ganze Fläche nach den Augen be¬
nannt. Von diesem Lachen ist denn hier die Rede.

Doch zur Sache zu kommen, es war gegen Abend, im Dämmerlicht der
Straßen- und Ladenbeleuchtung, daß ich durch die belebteste Straße strich
auf dem Trottoir. Da im halben Dunkel, halben Licht, wie ich so, Anderes
denkend, das Auge einmal nach vorn schweifen ließ, leuchtete mir aus einer
Gruppe dreier kommenden Frauengestalten ein Antlitz entgegen, das den Sinn
(es ging wie ein Blitz) weckte und an sich zog mit dem Leuchten der Schön¬
heit, jugendlicher Schönheit, so unausweichlich wie im Felde draußen eine im
Dämmer auftauchende Laterne plötzlich den Sinn faßt und an sich zieht -- und
als die Gruppe näher kam, wars eine Alte, eine sechzigjährige: aber sie lachte,
mit jenem Lachen, das eine große frohe gute Empfindung ans der Tiefe herauf¬
holt, eine große Freude und selbstlose Liebe zusammen. Wie gern hätte man
gleich aus dem Gespräch der Frauen zur Ergänzung erfahren, was es war,
wovon sie sprachen, das diese Wirkung thun konnte, die sich gleich anch nach
außen übertrug, denn in mir lachte es gleich mit, gemischt mit staunendem
Aufmerken. Sie lachte oder lächelte uoch so, als sie mir in volles Licht kam.
Sie war nicht schön, wenn anch vielleicht einmal gewesen -- aber ihr Lachen,
der Seelenglanz ließ auf ihren Zügen jenen fesselnden Schönheitsglanz auf¬
leuchten, malerisch ausgestaltet durch die Mischung von Abenddämmer und
Lichterglanz, die die Luft füllte und das Bild zugleich einrahmte und ihm seine
letzte Retouche gab.

Das ist denn wohl ein brauchbarer Beitrag zu der Frage, was eigentlich
das Schöne ist, zunächst als Beleg dafür, wie wenig es für sich an sinnliche
Schönheit gebunden ist, so wenig, daß man diese, die wir sonst suchen als Ver¬
treterin des sichtbaren Schönen, zu fordern ganz vergessen kann, doch nur darum,
weil da eine höhere oder tiefere Schönheit an ihre Stelle tritt, die uns jene
andere zugleich ersetzt und an Wirkung überbietet. Es reizt mich aber unwill¬
kürlich, den erlebten seltenen Fall noch besser auszunutzen. Also noch Fol¬
gendes Versuchs- und andeutungsweise.

Frauenschönheit, wie man sie sich gewöhnlich vorstellt, mit Jugend gepaart,
nennt man, wenn sie uns einmal nicht in der Kunst bloß, sondern im Leben ver-


Tagebuchblätter eines Sonntcigsxhilosophen,

Lwislsn, wie noch englisch 8ma1s), aber auch von laoliLiuisn on^su, ja von lÄollenäuili
nmots (Gemüt, Stimmung), d. h, der in den lachenden Mienen sichtbar wird.
In der Umgangssprache sagt man noch „er lachte im ganzen Gesichte," wozu
der lachende Schall gar nicht gehört. Dieses Lachen ist vielmehr wesentlich
ein Lachen der Augen, in denen ein eigentümliches Glänzen von innen her auf¬
leuchtet, doch so, daß die ganzen Mienen, vor allem der Mund und seine Um¬
gebung mit ihren eigentümlichen Mitteln dazu helfen, dem Glänze seinen ver¬
schiedenen Ausdruck bestimmter zu geben; aber die Hauptsache thun die Auge»,
wie überhaupt im ganzen wechselvollen Leben der Gesichtszüge. Ist doch das
„ Gesicht" selber nach dem Sehen, also die ganze Fläche nach den Augen be¬
nannt. Von diesem Lachen ist denn hier die Rede.

Doch zur Sache zu kommen, es war gegen Abend, im Dämmerlicht der
Straßen- und Ladenbeleuchtung, daß ich durch die belebteste Straße strich
auf dem Trottoir. Da im halben Dunkel, halben Licht, wie ich so, Anderes
denkend, das Auge einmal nach vorn schweifen ließ, leuchtete mir aus einer
Gruppe dreier kommenden Frauengestalten ein Antlitz entgegen, das den Sinn
(es ging wie ein Blitz) weckte und an sich zog mit dem Leuchten der Schön¬
heit, jugendlicher Schönheit, so unausweichlich wie im Felde draußen eine im
Dämmer auftauchende Laterne plötzlich den Sinn faßt und an sich zieht — und
als die Gruppe näher kam, wars eine Alte, eine sechzigjährige: aber sie lachte,
mit jenem Lachen, das eine große frohe gute Empfindung ans der Tiefe herauf¬
holt, eine große Freude und selbstlose Liebe zusammen. Wie gern hätte man
gleich aus dem Gespräch der Frauen zur Ergänzung erfahren, was es war,
wovon sie sprachen, das diese Wirkung thun konnte, die sich gleich anch nach
außen übertrug, denn in mir lachte es gleich mit, gemischt mit staunendem
Aufmerken. Sie lachte oder lächelte uoch so, als sie mir in volles Licht kam.
Sie war nicht schön, wenn anch vielleicht einmal gewesen — aber ihr Lachen,
der Seelenglanz ließ auf ihren Zügen jenen fesselnden Schönheitsglanz auf¬
leuchten, malerisch ausgestaltet durch die Mischung von Abenddämmer und
Lichterglanz, die die Luft füllte und das Bild zugleich einrahmte und ihm seine
letzte Retouche gab.

Das ist denn wohl ein brauchbarer Beitrag zu der Frage, was eigentlich
das Schöne ist, zunächst als Beleg dafür, wie wenig es für sich an sinnliche
Schönheit gebunden ist, so wenig, daß man diese, die wir sonst suchen als Ver¬
treterin des sichtbaren Schönen, zu fordern ganz vergessen kann, doch nur darum,
weil da eine höhere oder tiefere Schönheit an ihre Stelle tritt, die uns jene
andere zugleich ersetzt und an Wirkung überbietet. Es reizt mich aber unwill¬
kürlich, den erlebten seltenen Fall noch besser auszunutzen. Also noch Fol¬
gendes Versuchs- und andeutungsweise.

Frauenschönheit, wie man sie sich gewöhnlich vorstellt, mit Jugend gepaart,
nennt man, wenn sie uns einmal nicht in der Kunst bloß, sondern im Leben ver-


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[0134] Tagebuchblätter eines Sonntcigsxhilosophen, Lwislsn, wie noch englisch 8ma1s), aber auch von laoliLiuisn on^su, ja von lÄollenäuili nmots (Gemüt, Stimmung), d. h, der in den lachenden Mienen sichtbar wird. In der Umgangssprache sagt man noch „er lachte im ganzen Gesichte," wozu der lachende Schall gar nicht gehört. Dieses Lachen ist vielmehr wesentlich ein Lachen der Augen, in denen ein eigentümliches Glänzen von innen her auf¬ leuchtet, doch so, daß die ganzen Mienen, vor allem der Mund und seine Um¬ gebung mit ihren eigentümlichen Mitteln dazu helfen, dem Glänze seinen ver¬ schiedenen Ausdruck bestimmter zu geben; aber die Hauptsache thun die Auge», wie überhaupt im ganzen wechselvollen Leben der Gesichtszüge. Ist doch das „ Gesicht" selber nach dem Sehen, also die ganze Fläche nach den Augen be¬ nannt. Von diesem Lachen ist denn hier die Rede. Doch zur Sache zu kommen, es war gegen Abend, im Dämmerlicht der Straßen- und Ladenbeleuchtung, daß ich durch die belebteste Straße strich auf dem Trottoir. Da im halben Dunkel, halben Licht, wie ich so, Anderes denkend, das Auge einmal nach vorn schweifen ließ, leuchtete mir aus einer Gruppe dreier kommenden Frauengestalten ein Antlitz entgegen, das den Sinn (es ging wie ein Blitz) weckte und an sich zog mit dem Leuchten der Schön¬ heit, jugendlicher Schönheit, so unausweichlich wie im Felde draußen eine im Dämmer auftauchende Laterne plötzlich den Sinn faßt und an sich zieht — und als die Gruppe näher kam, wars eine Alte, eine sechzigjährige: aber sie lachte, mit jenem Lachen, das eine große frohe gute Empfindung ans der Tiefe herauf¬ holt, eine große Freude und selbstlose Liebe zusammen. Wie gern hätte man gleich aus dem Gespräch der Frauen zur Ergänzung erfahren, was es war, wovon sie sprachen, das diese Wirkung thun konnte, die sich gleich anch nach außen übertrug, denn in mir lachte es gleich mit, gemischt mit staunendem Aufmerken. Sie lachte oder lächelte uoch so, als sie mir in volles Licht kam. Sie war nicht schön, wenn anch vielleicht einmal gewesen — aber ihr Lachen, der Seelenglanz ließ auf ihren Zügen jenen fesselnden Schönheitsglanz auf¬ leuchten, malerisch ausgestaltet durch die Mischung von Abenddämmer und Lichterglanz, die die Luft füllte und das Bild zugleich einrahmte und ihm seine letzte Retouche gab. Das ist denn wohl ein brauchbarer Beitrag zu der Frage, was eigentlich das Schöne ist, zunächst als Beleg dafür, wie wenig es für sich an sinnliche Schönheit gebunden ist, so wenig, daß man diese, die wir sonst suchen als Ver¬ treterin des sichtbaren Schönen, zu fordern ganz vergessen kann, doch nur darum, weil da eine höhere oder tiefere Schönheit an ihre Stelle tritt, die uns jene andere zugleich ersetzt und an Wirkung überbietet. Es reizt mich aber unwill¬ kürlich, den erlebten seltenen Fall noch besser auszunutzen. Also noch Fol¬ gendes Versuchs- und andeutungsweise. Frauenschönheit, wie man sie sich gewöhnlich vorstellt, mit Jugend gepaart, nennt man, wenn sie uns einmal nicht in der Kunst bloß, sondern im Leben ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/134>, abgerufen am 23.07.2024.