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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Altmeister Goethe hätte sich wohl im Grabe herumgedreht, wenn er erfahren
hätte, daß sein witziger Rat dereinst so pünktlich befolgt werden sollte:


Darf man das Volk betrügen?
Ich sage: nein!
Doch willst du sie belügen,
So mach es nnr nicht fein!

Selbst die preußischen Landtagsvcrhandlungen wurden dazu benutzt, den
Glauben im Volke zu erwecken, daß es bei den Wahlen sich nur nebenbei um
die Hccresvorlage, in der That und hauptsächlich um Reaktion, Monopole,
Schmülernng der Rechte des Reichstags u. s. w. handle. Bisher hatte man es
immer für ein herrliches Glück ansehen können, welches dem deutschen Volke
zu Teil geworden war, daß es in Erscheinungen wie Moltke Männer hatte,
denen jeder, hoch oder niedrig, unbedingten Glauben schenkte. Auch dieses Glück
benagte wie ein giftiger Wurm die deutschfreisiunige Lüge. So konnte z. V. der
Kandidat der Deutschfrcisinnigcn in Lübeck behaupten, daß anfänglich auch Moltke
die Opferwilligkeit der Freisinnigen und des Zentrums in Sachen der Militär-
Vorlage mit der dreijährigen Bewilligung anerkannt habe, später aber sei ein
Druck auf ihn ausgeübt worden dahin, daß er auf der siebenjährigen Bewilligung
habe bestehen müssen. Wäre da nicht etwas andres sür solche Wahrheitsfreunde
besser am Platze gewesen, als die Anfrage des Handwcrksmcmucs Liedtke, der
den Feldmarschall um Aufschluß bat? Die Opposition aber hatte noch nicht
genug daran gehabt, politische Wuchergeschäfte zu treiben, als sie die Zwangs¬
lage des Staates benutzen wollte, um parlamentarische Machtfragen zum Aus¬
trag zu bringen, sie mußte auch der Volksseele damit ihr Gift einflößen, daß
sie ihr den Glauben an ihre großen Männer zu nehmen versuchte. Wäre das
gelungen, es wäre trostlos gewesen; denn ein Volk, welches seine großen
Männer nicht mehr ertragen kann, geht abwärts. Daß aber dieser Glaube
im deutschen Volke noch feststand, sah mau, als Bismarck, es war wohl am
24. Januar, ganz unvermutet im Landtage erschien. Er hatte, wie er selbst
sagte, eine schlaflose Nacht gehabt; die Lügen des kleinen Herrn von Male¬
partus hatten doch seine Sorge erregt. Der Welse ließ Tabaks- und Brannt¬
weinmonopol im Anzüge sein, er ließ Veränderungen an der Verfassung und
Verkümmerung des allgemeinen Wahlrechts geplant werden. Bismarck hatte
in der schlaflosen Nacht die Rede der schwarzen Perle gelesen und hatte sich
gesagt: es ist doch möglich, daß diese Verdächtigungen, wenn ihnen nicht wider¬
sprochen wird, eine Anzahl Wähler ins Lager der Vaterlandsfeinde führen.
So fuhr er am andern Morgen ins Abgeordnetenhaus und bezeugte laut
und deutlich, daß es nicht wahr sei, was von Tabaks- und Branntweinmonopol
geflunkert werde, uicht wahr, was vou Verfafsungsverletzung und Abschaffung
des allgemeinen Wahlrechts der Negierung untergeschoben werde. Es seien er¬
bärmliche Verdächtigungen der offenen und geheimen Gegner des Reiches.


Altmeister Goethe hätte sich wohl im Grabe herumgedreht, wenn er erfahren
hätte, daß sein witziger Rat dereinst so pünktlich befolgt werden sollte:


Darf man das Volk betrügen?
Ich sage: nein!
Doch willst du sie belügen,
So mach es nnr nicht fein!

Selbst die preußischen Landtagsvcrhandlungen wurden dazu benutzt, den
Glauben im Volke zu erwecken, daß es bei den Wahlen sich nur nebenbei um
die Hccresvorlage, in der That und hauptsächlich um Reaktion, Monopole,
Schmülernng der Rechte des Reichstags u. s. w. handle. Bisher hatte man es
immer für ein herrliches Glück ansehen können, welches dem deutschen Volke
zu Teil geworden war, daß es in Erscheinungen wie Moltke Männer hatte,
denen jeder, hoch oder niedrig, unbedingten Glauben schenkte. Auch dieses Glück
benagte wie ein giftiger Wurm die deutschfreisiunige Lüge. So konnte z. V. der
Kandidat der Deutschfrcisinnigcn in Lübeck behaupten, daß anfänglich auch Moltke
die Opferwilligkeit der Freisinnigen und des Zentrums in Sachen der Militär-
Vorlage mit der dreijährigen Bewilligung anerkannt habe, später aber sei ein
Druck auf ihn ausgeübt worden dahin, daß er auf der siebenjährigen Bewilligung
habe bestehen müssen. Wäre da nicht etwas andres sür solche Wahrheitsfreunde
besser am Platze gewesen, als die Anfrage des Handwcrksmcmucs Liedtke, der
den Feldmarschall um Aufschluß bat? Die Opposition aber hatte noch nicht
genug daran gehabt, politische Wuchergeschäfte zu treiben, als sie die Zwangs¬
lage des Staates benutzen wollte, um parlamentarische Machtfragen zum Aus¬
trag zu bringen, sie mußte auch der Volksseele damit ihr Gift einflößen, daß
sie ihr den Glauben an ihre großen Männer zu nehmen versuchte. Wäre das
gelungen, es wäre trostlos gewesen; denn ein Volk, welches seine großen
Männer nicht mehr ertragen kann, geht abwärts. Daß aber dieser Glaube
im deutschen Volke noch feststand, sah mau, als Bismarck, es war wohl am
24. Januar, ganz unvermutet im Landtage erschien. Er hatte, wie er selbst
sagte, eine schlaflose Nacht gehabt; die Lügen des kleinen Herrn von Male¬
partus hatten doch seine Sorge erregt. Der Welse ließ Tabaks- und Brannt¬
weinmonopol im Anzüge sein, er ließ Veränderungen an der Verfassung und
Verkümmerung des allgemeinen Wahlrechts geplant werden. Bismarck hatte
in der schlaflosen Nacht die Rede der schwarzen Perle gelesen und hatte sich
gesagt: es ist doch möglich, daß diese Verdächtigungen, wenn ihnen nicht wider¬
sprochen wird, eine Anzahl Wähler ins Lager der Vaterlandsfeinde führen.
So fuhr er am andern Morgen ins Abgeordnetenhaus und bezeugte laut
und deutlich, daß es nicht wahr sei, was von Tabaks- und Branntweinmonopol
geflunkert werde, uicht wahr, was vou Verfafsungsverletzung und Abschaffung
des allgemeinen Wahlrechts der Negierung untergeschoben werde. Es seien er¬
bärmliche Verdächtigungen der offenen und geheimen Gegner des Reiches.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/115>, abgerufen am 23.07.2024.