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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Fremde in Rif.

Der Schiffer Burlington brummte und murmelte vor sich hin, daß es
Wahnsinn sei, so in Wind und Wetter hineinzusegeln, Sir Dove jedoch befahl
ihm, zu thun, wie der Alte gesagt habe. Und der Schiffer gehorchte, denn er
hatte sich für eine Menge guter Dublonen verpflichtet, Schiff und Mannschaft
dem Fremden zur Verfügung zu stellen.

So steuerten sie denn gen Südwesten. Und wiederum verflossen sieben
Tage, und es zeigte sich kein Land. Der Fremde sah hin und wieder fragend
zu Thorbjörn hinüber, dieser aber nickte nur und war ruhig und unverzagt,
als steuere er das Schiff durch wohlbekannte Gewässer. Noch ein Tag ver¬
ging Und ein zweiter, da murrte die Mannschaft und gab deutlich ihren Un¬
willen zu erkennen, sie wollten sich nicht weiter hinauswagen auf das endlose,
bahnlvse Meer. Der Schiffer Burlington versuchte die Leute zu beruhigen,
und nach langem Bemühen gelang es Sir Dove endlich, die Übereinkunft zu
treffen, daß man noch einen Tag und eine Nacht dieselbe Richtung einhalten
wolle. Korne man anch dann kein Land erspähen, so wolle man umwenden.

Der verhängnisvolle Tag neigte sich seinem Ende zu. Thvrbjörn und
der Fremde standen um die Abendstunde ans dem hohen Verdeck und starrten
schweigend vor sich hin. Da zerteilte sich plötzlich der Nebel, der so lange über
dem Wasser gelagert hatte, und in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne
breitete sich vor ihnen ein weites Land aus mit blauen Bergen und dunkeln
Wäldern.

Seht Ihr wohl! rief Thorbjörn. Dort liegt es, lächelnd und winkend,
wie einst Leif es erblickte! Bald setzt sein Nachkomme den Fuß auf den Boden
der Vnder und erhebt das Erbe, das so lange unberührt gelegen!

Wohl sehe ich es! erwiederte der Fremde tief bewegt. Ich grüße dich,
Land meiner Träume, das meine Gedanken auf verschiednen Wegen gesucht
haben, aber immer in derselben Richtung, stets dort, wo die Sonne ihre Glut
in die Tiefen des Okeanos versenkt!

Dein Land! Das Ziel deines Lebens! rief Thorbjörn. Was willst dn
damit sagen?

Daß wir beide, du wie ich, denselben Gedanken genährt haben. Weswegen
hätte ich denn sonst eure kalte, freudlose Insel besucht? Doch nur, weil ich
erfahren habe, daß ihr einst in längst entschwundenen Tagen den Weg zu diesem
Lande gekannt habt, und weil ich hoffte, durch euch auf die rechte Spur zu
kommen I

Verflucht seien alle Fremden! schrie Thorbjvrn. Falsch und hinterlistig
bist du gewesen! Doch freue dich nicht zu früh! Thorbjörn wird bis auf den
letzten Blutstropfen für sein Erbe streiten!

Und mit diesen Worten ergriff er eine Axt, schwang sie über seinem
Haupte und hieb auf den Fremden ein, der dem ihm zugedachten Hiebe nur
dadurch entging, daß er hinter den Mast sprang.


Grenzboten III. 1887. 13
Der Fremde in Rif.

Der Schiffer Burlington brummte und murmelte vor sich hin, daß es
Wahnsinn sei, so in Wind und Wetter hineinzusegeln, Sir Dove jedoch befahl
ihm, zu thun, wie der Alte gesagt habe. Und der Schiffer gehorchte, denn er
hatte sich für eine Menge guter Dublonen verpflichtet, Schiff und Mannschaft
dem Fremden zur Verfügung zu stellen.

So steuerten sie denn gen Südwesten. Und wiederum verflossen sieben
Tage, und es zeigte sich kein Land. Der Fremde sah hin und wieder fragend
zu Thorbjörn hinüber, dieser aber nickte nur und war ruhig und unverzagt,
als steuere er das Schiff durch wohlbekannte Gewässer. Noch ein Tag ver¬
ging Und ein zweiter, da murrte die Mannschaft und gab deutlich ihren Un¬
willen zu erkennen, sie wollten sich nicht weiter hinauswagen auf das endlose,
bahnlvse Meer. Der Schiffer Burlington versuchte die Leute zu beruhigen,
und nach langem Bemühen gelang es Sir Dove endlich, die Übereinkunft zu
treffen, daß man noch einen Tag und eine Nacht dieselbe Richtung einhalten
wolle. Korne man anch dann kein Land erspähen, so wolle man umwenden.

Der verhängnisvolle Tag neigte sich seinem Ende zu. Thvrbjörn und
der Fremde standen um die Abendstunde ans dem hohen Verdeck und starrten
schweigend vor sich hin. Da zerteilte sich plötzlich der Nebel, der so lange über
dem Wasser gelagert hatte, und in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne
breitete sich vor ihnen ein weites Land aus mit blauen Bergen und dunkeln
Wäldern.

Seht Ihr wohl! rief Thorbjörn. Dort liegt es, lächelnd und winkend,
wie einst Leif es erblickte! Bald setzt sein Nachkomme den Fuß auf den Boden
der Vnder und erhebt das Erbe, das so lange unberührt gelegen!

Wohl sehe ich es! erwiederte der Fremde tief bewegt. Ich grüße dich,
Land meiner Träume, das meine Gedanken auf verschiednen Wegen gesucht
haben, aber immer in derselben Richtung, stets dort, wo die Sonne ihre Glut
in die Tiefen des Okeanos versenkt!

Dein Land! Das Ziel deines Lebens! rief Thorbjörn. Was willst dn
damit sagen?

Daß wir beide, du wie ich, denselben Gedanken genährt haben. Weswegen
hätte ich denn sonst eure kalte, freudlose Insel besucht? Doch nur, weil ich
erfahren habe, daß ihr einst in längst entschwundenen Tagen den Weg zu diesem
Lande gekannt habt, und weil ich hoffte, durch euch auf die rechte Spur zu
kommen I

Verflucht seien alle Fremden! schrie Thorbjvrn. Falsch und hinterlistig
bist du gewesen! Doch freue dich nicht zu früh! Thorbjörn wird bis auf den
letzten Blutstropfen für sein Erbe streiten!

Und mit diesen Worten ergriff er eine Axt, schwang sie über seinem
Haupte und hieb auf den Fremden ein, der dem ihm zugedachten Hiebe nur
dadurch entging, daß er hinter den Mast sprang.


Grenzboten III. 1887. 13
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[0105] Der Fremde in Rif. Der Schiffer Burlington brummte und murmelte vor sich hin, daß es Wahnsinn sei, so in Wind und Wetter hineinzusegeln, Sir Dove jedoch befahl ihm, zu thun, wie der Alte gesagt habe. Und der Schiffer gehorchte, denn er hatte sich für eine Menge guter Dublonen verpflichtet, Schiff und Mannschaft dem Fremden zur Verfügung zu stellen. So steuerten sie denn gen Südwesten. Und wiederum verflossen sieben Tage, und es zeigte sich kein Land. Der Fremde sah hin und wieder fragend zu Thorbjörn hinüber, dieser aber nickte nur und war ruhig und unverzagt, als steuere er das Schiff durch wohlbekannte Gewässer. Noch ein Tag ver¬ ging Und ein zweiter, da murrte die Mannschaft und gab deutlich ihren Un¬ willen zu erkennen, sie wollten sich nicht weiter hinauswagen auf das endlose, bahnlvse Meer. Der Schiffer Burlington versuchte die Leute zu beruhigen, und nach langem Bemühen gelang es Sir Dove endlich, die Übereinkunft zu treffen, daß man noch einen Tag und eine Nacht dieselbe Richtung einhalten wolle. Korne man anch dann kein Land erspähen, so wolle man umwenden. Der verhängnisvolle Tag neigte sich seinem Ende zu. Thvrbjörn und der Fremde standen um die Abendstunde ans dem hohen Verdeck und starrten schweigend vor sich hin. Da zerteilte sich plötzlich der Nebel, der so lange über dem Wasser gelagert hatte, und in den letzten Strahlen der sinkenden Sonne breitete sich vor ihnen ein weites Land aus mit blauen Bergen und dunkeln Wäldern. Seht Ihr wohl! rief Thorbjörn. Dort liegt es, lächelnd und winkend, wie einst Leif es erblickte! Bald setzt sein Nachkomme den Fuß auf den Boden der Vnder und erhebt das Erbe, das so lange unberührt gelegen! Wohl sehe ich es! erwiederte der Fremde tief bewegt. Ich grüße dich, Land meiner Träume, das meine Gedanken auf verschiednen Wegen gesucht haben, aber immer in derselben Richtung, stets dort, wo die Sonne ihre Glut in die Tiefen des Okeanos versenkt! Dein Land! Das Ziel deines Lebens! rief Thorbjörn. Was willst dn damit sagen? Daß wir beide, du wie ich, denselben Gedanken genährt haben. Weswegen hätte ich denn sonst eure kalte, freudlose Insel besucht? Doch nur, weil ich erfahren habe, daß ihr einst in längst entschwundenen Tagen den Weg zu diesem Lande gekannt habt, und weil ich hoffte, durch euch auf die rechte Spur zu kommen I Verflucht seien alle Fremden! schrie Thorbjvrn. Falsch und hinterlistig bist du gewesen! Doch freue dich nicht zu früh! Thorbjörn wird bis auf den letzten Blutstropfen für sein Erbe streiten! Und mit diesen Worten ergriff er eine Axt, schwang sie über seinem Haupte und hieb auf den Fremden ein, der dem ihm zugedachten Hiebe nur dadurch entging, daß er hinter den Mast sprang. Grenzboten III. 1887. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/105>, abgerufen am 23.07.2024.