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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Fremde in Rif.

Wohl glaube ich, daß jenseits des Meeres mächtige Länder liegen, versetzte
Sir Dove, Teile von Indien, die noch keines Europäers Fuß betreten hat.
Wenn ich das nicht glaubte, wäre ich jetzt nicht hier, fügte er leise hinzu. Auch
verachte ich die Prophezeiungen nicht, selbst wenn sie aus dein Munde eines
Heiden stammen, aber weit mehr Gewicht lege ich auf die Botschaft, auf die
Zeichen, welche uns das unbekannte Land hin und wieder über das Meer
sendet, und wodurch es gleichsam den Glanben an sein Vorhandensein in uns
weckt und aufrecht erhält.

Und nun erzählte er mit lebhafter, beinahe begeisterter Stimme, wie bald
hohle Rohrstücke, bald mächtige Taunenstämme mit ihren Wurzeln bei den
Azoren ans Land geschwemmt würden, ja daß man auf der Insel Flores sogar
ein schmales Boot gefunden habe, das zwei leblose Menschen von völlig unbe¬
kannter Rasse enthalten habe.

Sira John lauschte der Rede des Fremden wie ein Kind, dem man ein
Märchen erzählt; Thorbjörn aber, der bis dahin schweigend dagesessen hatte,
sagte ruhig: Hier in Island werden ja auch eine Menge Fichtenstämme ans
Land geschwemmt.

Hier? fragte Sir Dove eifrig. Aber ich habe hier ja fast gar kein Holz
erblickt, Ihr baut hier ja ausschließlich mit Stein und Torf!

Nicht hier bei uns, entgegnete Thvrbjöru, sondern am nördlichen Teile der
Insel, dort, wo der Strom, der von Westen kommt, das Land berührt.

Ja, es geht ja die Sage von westlichen Reichen, welche isländische Männer
in längst entschwundenen Zeiten entdeckt haben sollen, sagte der Prediger, aber
das halte nun ich für eine Fabel!

Sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst, Freund! versetzte Thorbjörn
mit erhobener Stimme und sprang von seinem Sitze aus. Jedes Kind ans
Island weiß von Erik dem Roten zu erzählen, der nach Grönland zog, und
von Leif, der Finnland besuchte. Es ist keine Fabel -- die Erzählung von
Se. Brandans Insel und deu sieben Städten. Das steht in den Sagen ge¬
schrieben, die du niemals gelesen hast, und darüber bin ich wohl besser unter¬
richtet, ich, der letzte Sprosse von Leifs berühmtem Geschlecht! Arm mag ich
euch erscheinen an Gut und Geld, und doch ward mir ein reicheres Erbteil
als dir oder irgend einem hier ans der Insel! Denn mir und nur mir allein
gehört von Rechtswegen jenes große Land, aus dessen Holz die Bewohner des
Nordens ihre Häuser und ihre Bote bauen, und meine Schuld wars nicht,
daß ich mein Erbe bis dahin nicht habe heben können.

Nach dieser ungewöhnlich langen Rede setzte sich Thorbjörn wieder ruhig
hin. Sira John sah seinen Gast mit einem Lächeln an, das eine Art von
Mitleid mit der kindlichen Vorstellung des Barbaren ausdrücken sollte. Aber
die Augen des Fremden strahlten in ungewöhnlichem Glanz, und von dieser
Stunde an zog er augenscheinlich Thvrbjörns Gesellschaft der des Predigers vor.


Der Fremde in Rif.

Wohl glaube ich, daß jenseits des Meeres mächtige Länder liegen, versetzte
Sir Dove, Teile von Indien, die noch keines Europäers Fuß betreten hat.
Wenn ich das nicht glaubte, wäre ich jetzt nicht hier, fügte er leise hinzu. Auch
verachte ich die Prophezeiungen nicht, selbst wenn sie aus dein Munde eines
Heiden stammen, aber weit mehr Gewicht lege ich auf die Botschaft, auf die
Zeichen, welche uns das unbekannte Land hin und wieder über das Meer
sendet, und wodurch es gleichsam den Glanben an sein Vorhandensein in uns
weckt und aufrecht erhält.

Und nun erzählte er mit lebhafter, beinahe begeisterter Stimme, wie bald
hohle Rohrstücke, bald mächtige Taunenstämme mit ihren Wurzeln bei den
Azoren ans Land geschwemmt würden, ja daß man auf der Insel Flores sogar
ein schmales Boot gefunden habe, das zwei leblose Menschen von völlig unbe¬
kannter Rasse enthalten habe.

Sira John lauschte der Rede des Fremden wie ein Kind, dem man ein
Märchen erzählt; Thorbjörn aber, der bis dahin schweigend dagesessen hatte,
sagte ruhig: Hier in Island werden ja auch eine Menge Fichtenstämme ans
Land geschwemmt.

Hier? fragte Sir Dove eifrig. Aber ich habe hier ja fast gar kein Holz
erblickt, Ihr baut hier ja ausschließlich mit Stein und Torf!

Nicht hier bei uns, entgegnete Thvrbjöru, sondern am nördlichen Teile der
Insel, dort, wo der Strom, der von Westen kommt, das Land berührt.

Ja, es geht ja die Sage von westlichen Reichen, welche isländische Männer
in längst entschwundenen Zeiten entdeckt haben sollen, sagte der Prediger, aber
das halte nun ich für eine Fabel!

Sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst, Freund! versetzte Thorbjörn
mit erhobener Stimme und sprang von seinem Sitze aus. Jedes Kind ans
Island weiß von Erik dem Roten zu erzählen, der nach Grönland zog, und
von Leif, der Finnland besuchte. Es ist keine Fabel — die Erzählung von
Se. Brandans Insel und deu sieben Städten. Das steht in den Sagen ge¬
schrieben, die du niemals gelesen hast, und darüber bin ich wohl besser unter¬
richtet, ich, der letzte Sprosse von Leifs berühmtem Geschlecht! Arm mag ich
euch erscheinen an Gut und Geld, und doch ward mir ein reicheres Erbteil
als dir oder irgend einem hier ans der Insel! Denn mir und nur mir allein
gehört von Rechtswegen jenes große Land, aus dessen Holz die Bewohner des
Nordens ihre Häuser und ihre Bote bauen, und meine Schuld wars nicht,
daß ich mein Erbe bis dahin nicht habe heben können.

Nach dieser ungewöhnlich langen Rede setzte sich Thorbjörn wieder ruhig
hin. Sira John sah seinen Gast mit einem Lächeln an, das eine Art von
Mitleid mit der kindlichen Vorstellung des Barbaren ausdrücken sollte. Aber
die Augen des Fremden strahlten in ungewöhnlichem Glanz, und von dieser
Stunde an zog er augenscheinlich Thvrbjörns Gesellschaft der des Predigers vor.


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[0101] Der Fremde in Rif. Wohl glaube ich, daß jenseits des Meeres mächtige Länder liegen, versetzte Sir Dove, Teile von Indien, die noch keines Europäers Fuß betreten hat. Wenn ich das nicht glaubte, wäre ich jetzt nicht hier, fügte er leise hinzu. Auch verachte ich die Prophezeiungen nicht, selbst wenn sie aus dein Munde eines Heiden stammen, aber weit mehr Gewicht lege ich auf die Botschaft, auf die Zeichen, welche uns das unbekannte Land hin und wieder über das Meer sendet, und wodurch es gleichsam den Glanben an sein Vorhandensein in uns weckt und aufrecht erhält. Und nun erzählte er mit lebhafter, beinahe begeisterter Stimme, wie bald hohle Rohrstücke, bald mächtige Taunenstämme mit ihren Wurzeln bei den Azoren ans Land geschwemmt würden, ja daß man auf der Insel Flores sogar ein schmales Boot gefunden habe, das zwei leblose Menschen von völlig unbe¬ kannter Rasse enthalten habe. Sira John lauschte der Rede des Fremden wie ein Kind, dem man ein Märchen erzählt; Thorbjörn aber, der bis dahin schweigend dagesessen hatte, sagte ruhig: Hier in Island werden ja auch eine Menge Fichtenstämme ans Land geschwemmt. Hier? fragte Sir Dove eifrig. Aber ich habe hier ja fast gar kein Holz erblickt, Ihr baut hier ja ausschließlich mit Stein und Torf! Nicht hier bei uns, entgegnete Thvrbjöru, sondern am nördlichen Teile der Insel, dort, wo der Strom, der von Westen kommt, das Land berührt. Ja, es geht ja die Sage von westlichen Reichen, welche isländische Männer in längst entschwundenen Zeiten entdeckt haben sollen, sagte der Prediger, aber das halte nun ich für eine Fabel! Sprich nicht von Dingen, die du nicht verstehst, Freund! versetzte Thorbjörn mit erhobener Stimme und sprang von seinem Sitze aus. Jedes Kind ans Island weiß von Erik dem Roten zu erzählen, der nach Grönland zog, und von Leif, der Finnland besuchte. Es ist keine Fabel — die Erzählung von Se. Brandans Insel und deu sieben Städten. Das steht in den Sagen ge¬ schrieben, die du niemals gelesen hast, und darüber bin ich wohl besser unter¬ richtet, ich, der letzte Sprosse von Leifs berühmtem Geschlecht! Arm mag ich euch erscheinen an Gut und Geld, und doch ward mir ein reicheres Erbteil als dir oder irgend einem hier ans der Insel! Denn mir und nur mir allein gehört von Rechtswegen jenes große Land, aus dessen Holz die Bewohner des Nordens ihre Häuser und ihre Bote bauen, und meine Schuld wars nicht, daß ich mein Erbe bis dahin nicht habe heben können. Nach dieser ungewöhnlich langen Rede setzte sich Thorbjörn wieder ruhig hin. Sira John sah seinen Gast mit einem Lächeln an, das eine Art von Mitleid mit der kindlichen Vorstellung des Barbaren ausdrücken sollte. Aber die Augen des Fremden strahlten in ungewöhnlichem Glanz, und von dieser Stunde an zog er augenscheinlich Thvrbjörns Gesellschaft der des Predigers vor.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/101>, abgerufen am 23.07.2024.