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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Lin Kapitel deutscher Lyrik.

Wenden wir uns zu Gedichten, die zum andern- oder erstenmale um Hörer
und Leser werben, so begegnen wir zunächst dem Büchlein Deutsche Elegien
von Stephan Milow (Stuttgart, Adolf Bonz), die schon früher als Elegien-
eyklns "Ans der Scholle" erschienen sind und gegenwärtig vielfach vermehrt und
verändert vorliegen. Offen gesagt, wurde uns der ursprüugliche Titel besser be¬
hagen, der neue kehrt eine unberechtigte Spitze gegen Goethes "Römische
Elegien," denen doch Milow in Form "ut Vortrag genug abgelauscht hat, um
dankbar bleiben zu müssen. Der Gegensatz liegt darin, das; Milow das Glück
an der Seite seines Weibes und Kindes besingt:


Schweifet jedoch mein Blick weitaus in die blühenden Fluren,
Macht mich die Fülle verwirrt, welche die Runde mir zeigt.

Alles verschwimmt mir im Kreise, ein Wallen und Weben nur seh' ich,
Welchem, die Klarheit fehlt, ob es auch mächtig bewegt,

Und dann wend' ich das Auge zurück in die Schranke des Hanfes,
Wie aus verlockenden Trnum heim in ein sicheres Glück.


Das einfache Glück, dem der Dichter so lebendige und farbige Bilder abgewinnt
und so sinnige Worte leiht, sei ihm von Herzen gegönnt, und mich das Büchlein
seiner Elegien sei gebührend hervorgehoben, ohne daß uns darum diese deutschen
die "Römischen Elegien" verleiden sollen.

Eine frische, zuversichtliche Natur und ein entwicklungsfähiges Talent spricht
ans den Gedichten Trotz alledem von Johannes Proclß (Frankfurt a. M,
I. D. Sauerländer). Zwar will sich in den "Zeit- und Streitgedichten" dem
junge" Dichter die klangvolle Rhetorik nicht überall in wirkliche Poesie ver¬
wandeln, es bleibt vielfach ein Nest von Prosa, der nicht ganz in Empfindung,
Bild und Klang aufgeht. Auch kräftige, gute Gedanken werden durch Rhythmus
und Reim allein noch nicht zu poetischen Gedanken, und selbst die echte poetische
Empfindung kaun durch eine einzige rein rednerische Wendung gefährdet werden.
Viele der kleinen Proclszschcn Gedichte klingen auch allzusehr ein Heine an. Aber
wo der Dichter ganz er selbst ist, wo er entweder einer allgemeinen Jugend¬
sehnsucht glühenden und frischen Ausdruck giebt, wie in dem Gedichte "Unter
den Rosen," oder ein Stück völlig eignen Erlebens poetisch festhält, wie in dem
prächtigen Ständchen "Lösche das Lichtlein, Träumerin," in den Volvo f-rr iriouto
überschriebenen Liedern von der Hochzeitsreise, in dem echten Liede "Die Liebe
will gegeben, nicht mir empfangen sein," in dem schalkhaften "Nur ein Mädchen,"
in dem von blühendem Leben und wehmütiger Erinnerung durchhauchtcu Gedicht
"Am Stammtisch Hornfccks," da findet er Bilder und Weisen, die völlig neu
sind; auch in den Lebensbildern und Balladen regt und rührt sich ein Geist,
der das Leben auf seine besondre Weise erfassen und gestalten will.

Ein Neues Buch der Lieder von Paul Baehr (Bad Och"Hausen,
Jbershoffsche Buchhandlung) gewinnt uns durch die unzweifelhafte Wahrheit
der subjektiven Empfindungen des Verfassers, der, ein Leidender und Schwer¬
geprüfter, dank einer glücklichen Häuslichkeit einer durchaus lichten und dank-


Lin Kapitel deutscher Lyrik.

Wenden wir uns zu Gedichten, die zum andern- oder erstenmale um Hörer
und Leser werben, so begegnen wir zunächst dem Büchlein Deutsche Elegien
von Stephan Milow (Stuttgart, Adolf Bonz), die schon früher als Elegien-
eyklns „Ans der Scholle" erschienen sind und gegenwärtig vielfach vermehrt und
verändert vorliegen. Offen gesagt, wurde uns der ursprüugliche Titel besser be¬
hagen, der neue kehrt eine unberechtigte Spitze gegen Goethes „Römische
Elegien," denen doch Milow in Form »ut Vortrag genug abgelauscht hat, um
dankbar bleiben zu müssen. Der Gegensatz liegt darin, das; Milow das Glück
an der Seite seines Weibes und Kindes besingt:


Schweifet jedoch mein Blick weitaus in die blühenden Fluren,
Macht mich die Fülle verwirrt, welche die Runde mir zeigt.

Alles verschwimmt mir im Kreise, ein Wallen und Weben nur seh' ich,
Welchem, die Klarheit fehlt, ob es auch mächtig bewegt,

Und dann wend' ich das Auge zurück in die Schranke des Hanfes,
Wie aus verlockenden Trnum heim in ein sicheres Glück.


Das einfache Glück, dem der Dichter so lebendige und farbige Bilder abgewinnt
und so sinnige Worte leiht, sei ihm von Herzen gegönnt, und mich das Büchlein
seiner Elegien sei gebührend hervorgehoben, ohne daß uns darum diese deutschen
die „Römischen Elegien" verleiden sollen.

Eine frische, zuversichtliche Natur und ein entwicklungsfähiges Talent spricht
ans den Gedichten Trotz alledem von Johannes Proclß (Frankfurt a. M,
I. D. Sauerländer). Zwar will sich in den „Zeit- und Streitgedichten" dem
junge» Dichter die klangvolle Rhetorik nicht überall in wirkliche Poesie ver¬
wandeln, es bleibt vielfach ein Nest von Prosa, der nicht ganz in Empfindung,
Bild und Klang aufgeht. Auch kräftige, gute Gedanken werden durch Rhythmus
und Reim allein noch nicht zu poetischen Gedanken, und selbst die echte poetische
Empfindung kaun durch eine einzige rein rednerische Wendung gefährdet werden.
Viele der kleinen Proclszschcn Gedichte klingen auch allzusehr ein Heine an. Aber
wo der Dichter ganz er selbst ist, wo er entweder einer allgemeinen Jugend¬
sehnsucht glühenden und frischen Ausdruck giebt, wie in dem Gedichte „Unter
den Rosen," oder ein Stück völlig eignen Erlebens poetisch festhält, wie in dem
prächtigen Ständchen „Lösche das Lichtlein, Träumerin," in den Volvo f-rr iriouto
überschriebenen Liedern von der Hochzeitsreise, in dem echten Liede „Die Liebe
will gegeben, nicht mir empfangen sein," in dem schalkhaften „Nur ein Mädchen,"
in dem von blühendem Leben und wehmütiger Erinnerung durchhauchtcu Gedicht
„Am Stammtisch Hornfccks," da findet er Bilder und Weisen, die völlig neu
sind; auch in den Lebensbildern und Balladen regt und rührt sich ein Geist,
der das Leben auf seine besondre Weise erfassen und gestalten will.

Ein Neues Buch der Lieder von Paul Baehr (Bad Och»Hausen,
Jbershoffsche Buchhandlung) gewinnt uns durch die unzweifelhafte Wahrheit
der subjektiven Empfindungen des Verfassers, der, ein Leidender und Schwer¬
geprüfter, dank einer glücklichen Häuslichkeit einer durchaus lichten und dank-


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[0096] Lin Kapitel deutscher Lyrik. Wenden wir uns zu Gedichten, die zum andern- oder erstenmale um Hörer und Leser werben, so begegnen wir zunächst dem Büchlein Deutsche Elegien von Stephan Milow (Stuttgart, Adolf Bonz), die schon früher als Elegien- eyklns „Ans der Scholle" erschienen sind und gegenwärtig vielfach vermehrt und verändert vorliegen. Offen gesagt, wurde uns der ursprüugliche Titel besser be¬ hagen, der neue kehrt eine unberechtigte Spitze gegen Goethes „Römische Elegien," denen doch Milow in Form »ut Vortrag genug abgelauscht hat, um dankbar bleiben zu müssen. Der Gegensatz liegt darin, das; Milow das Glück an der Seite seines Weibes und Kindes besingt: Schweifet jedoch mein Blick weitaus in die blühenden Fluren, Macht mich die Fülle verwirrt, welche die Runde mir zeigt. Alles verschwimmt mir im Kreise, ein Wallen und Weben nur seh' ich, Welchem, die Klarheit fehlt, ob es auch mächtig bewegt, Und dann wend' ich das Auge zurück in die Schranke des Hanfes, Wie aus verlockenden Trnum heim in ein sicheres Glück. Das einfache Glück, dem der Dichter so lebendige und farbige Bilder abgewinnt und so sinnige Worte leiht, sei ihm von Herzen gegönnt, und mich das Büchlein seiner Elegien sei gebührend hervorgehoben, ohne daß uns darum diese deutschen die „Römischen Elegien" verleiden sollen. Eine frische, zuversichtliche Natur und ein entwicklungsfähiges Talent spricht ans den Gedichten Trotz alledem von Johannes Proclß (Frankfurt a. M, I. D. Sauerländer). Zwar will sich in den „Zeit- und Streitgedichten" dem junge» Dichter die klangvolle Rhetorik nicht überall in wirkliche Poesie ver¬ wandeln, es bleibt vielfach ein Nest von Prosa, der nicht ganz in Empfindung, Bild und Klang aufgeht. Auch kräftige, gute Gedanken werden durch Rhythmus und Reim allein noch nicht zu poetischen Gedanken, und selbst die echte poetische Empfindung kaun durch eine einzige rein rednerische Wendung gefährdet werden. Viele der kleinen Proclszschcn Gedichte klingen auch allzusehr ein Heine an. Aber wo der Dichter ganz er selbst ist, wo er entweder einer allgemeinen Jugend¬ sehnsucht glühenden und frischen Ausdruck giebt, wie in dem Gedichte „Unter den Rosen," oder ein Stück völlig eignen Erlebens poetisch festhält, wie in dem prächtigen Ständchen „Lösche das Lichtlein, Träumerin," in den Volvo f-rr iriouto überschriebenen Liedern von der Hochzeitsreise, in dem echten Liede „Die Liebe will gegeben, nicht mir empfangen sein," in dem schalkhaften „Nur ein Mädchen," in dem von blühendem Leben und wehmütiger Erinnerung durchhauchtcu Gedicht „Am Stammtisch Hornfccks," da findet er Bilder und Weisen, die völlig neu sind; auch in den Lebensbildern und Balladen regt und rührt sich ein Geist, der das Leben auf seine besondre Weise erfassen und gestalten will. Ein Neues Buch der Lieder von Paul Baehr (Bad Och»Hausen, Jbershoffsche Buchhandlung) gewinnt uns durch die unzweifelhafte Wahrheit der subjektiven Empfindungen des Verfassers, der, ein Leidender und Schwer¬ geprüfter, dank einer glücklichen Häuslichkeit einer durchaus lichten und dank-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/96>, abgerufen am 03.07.2024.