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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Line christliche Ästhetik.

Dasjenige aber, was dieses Schöne der Empfindung erregt, ist seiner Wesenheit
nach verschieden, es wirkt entweder durch seine Erscheinung an sich, oder durch
die Art des "in Erscheinung trctens" oder durch das seiner Erscheinung zu
Grunde liegende (seine Voraussetzung). Trotzdem bezeichnet der Sprachgebrauch
alles, was schöne Empfindung erregt, als "schön," denn er legt mit gutem
Rechte den Ausdruck für die gleiche Empfindung zunächst allen sie erregenden
Erscheinungen bei. Erkennt nnn hinterher der sichtende Verstand deren wesent¬
liche Verschiedenheit, so werden Verwirrungen und Einseitigkeiten nicht aus-
bleiben können. Wir haben daher dem Schönen der Empfindung das Schöne
in der Erscheinung (wir betonen das Vorwort "in") vor der Hand scharf ent¬
gegengesetzt, trotzdem aber auf Grund ihrer ursprünglichem gemeinsamen Be¬
ziehungen das Streben, sie in Einklang zu bringen, gleich von vornherein als
berechtigt bezeichnet.

Man erkennt aus diesen Formulirungen leicht die Schwierigkeiten, die
sich der Ästhetik als gesonderten Wissenschaft in den Weg stellten und mit denen
sie sich noch immer -- der steptisirende Forscher wird vielleicht sagen für
immer -- herumzuschlagen hat: die Gegensätze zwischen formaler und sensua-
listischer Ästhetik, die ungewisse Stellung des Stofflichen und Inhaltlichen in
der rein schematisirenden (kritischen) Ästhetik und Hand in Hand damit der ver¬
wirrende Einfluß des "Guten" auf die Beurteilung des " Schönen," und um¬
gekehrt.

Treten wir dem "Schönen in der Erscheinung" so weit nahe, als es uns
für unsre allgemeinen Ordnungsbestimmungen hier in Frage kommt. 1. Das
Schöne wirkt durch seine Erscheinung an sich. Hier scheiden wir den Moment
des Reizes (das "Angenehme") auf allen, auch den höhern sinnlichen Gebieten
alsbald aus und beschränken uns ans das, was unser christlicher Ästhetiker als
"kalleologischen Genuß" bezeichnet, indem wir die Entwicklung jenes Prinzips,
als einer Vorstufe des ästhetische,: "Gefallens," der Evolutiouiftik überlassen,
die in diesen Grenzen sehr nützlich, jedenfalls weniger schädlich wirken könnte,
als durch das Hineintragen ihrer unzureichenden Axiome ans das höhere
Gebiet. Gesicht und Gehör kommen also allein in Frage, aber nicht als
"höhere" Sinne an sich -- die Freude an dem bloßen Ton, der reinen Farbe
sowie ihr Gegenteil ist nicht ästhetisch im höhern Sinne, und wir wollten mit
der Beseitigung des tierischen Kunstpublikums leicht fertig werden --, sondern
rein als Vermittler des Erkennens. Ließen sich ans der Aufeinanderfolge ver-
schiedner Düfte oder derjenigen von Speisen und Getränken irgendwie tiefere


weist, mehr und Besseres leisten Nliifsen. Seine ol" aostimativ" (sinnliche Urteilskraft, von
Kants Urteilskraft nicht weniger als diametral verschieden) ist jedenfalls die schlechteste Frucht,
die dabei hatte herauskommen können, und unterscheidet sich mit ihrem "niedern Erkenntnis¬
vermögen" wirklich in nichts von den "untern Seelenkrilften" des von ihm so vornehm "ver¬
sehenen Baumgarten.
Line christliche Ästhetik.

Dasjenige aber, was dieses Schöne der Empfindung erregt, ist seiner Wesenheit
nach verschieden, es wirkt entweder durch seine Erscheinung an sich, oder durch
die Art des „in Erscheinung trctens" oder durch das seiner Erscheinung zu
Grunde liegende (seine Voraussetzung). Trotzdem bezeichnet der Sprachgebrauch
alles, was schöne Empfindung erregt, als „schön," denn er legt mit gutem
Rechte den Ausdruck für die gleiche Empfindung zunächst allen sie erregenden
Erscheinungen bei. Erkennt nnn hinterher der sichtende Verstand deren wesent¬
liche Verschiedenheit, so werden Verwirrungen und Einseitigkeiten nicht aus-
bleiben können. Wir haben daher dem Schönen der Empfindung das Schöne
in der Erscheinung (wir betonen das Vorwort „in") vor der Hand scharf ent¬
gegengesetzt, trotzdem aber auf Grund ihrer ursprünglichem gemeinsamen Be¬
ziehungen das Streben, sie in Einklang zu bringen, gleich von vornherein als
berechtigt bezeichnet.

Man erkennt aus diesen Formulirungen leicht die Schwierigkeiten, die
sich der Ästhetik als gesonderten Wissenschaft in den Weg stellten und mit denen
sie sich noch immer — der steptisirende Forscher wird vielleicht sagen für
immer — herumzuschlagen hat: die Gegensätze zwischen formaler und sensua-
listischer Ästhetik, die ungewisse Stellung des Stofflichen und Inhaltlichen in
der rein schematisirenden (kritischen) Ästhetik und Hand in Hand damit der ver¬
wirrende Einfluß des „Guten" auf die Beurteilung des „ Schönen," und um¬
gekehrt.

Treten wir dem „Schönen in der Erscheinung" so weit nahe, als es uns
für unsre allgemeinen Ordnungsbestimmungen hier in Frage kommt. 1. Das
Schöne wirkt durch seine Erscheinung an sich. Hier scheiden wir den Moment
des Reizes (das „Angenehme") auf allen, auch den höhern sinnlichen Gebieten
alsbald aus und beschränken uns ans das, was unser christlicher Ästhetiker als
„kalleologischen Genuß" bezeichnet, indem wir die Entwicklung jenes Prinzips,
als einer Vorstufe des ästhetische,: „Gefallens," der Evolutiouiftik überlassen,
die in diesen Grenzen sehr nützlich, jedenfalls weniger schädlich wirken könnte,
als durch das Hineintragen ihrer unzureichenden Axiome ans das höhere
Gebiet. Gesicht und Gehör kommen also allein in Frage, aber nicht als
„höhere" Sinne an sich — die Freude an dem bloßen Ton, der reinen Farbe
sowie ihr Gegenteil ist nicht ästhetisch im höhern Sinne, und wir wollten mit
der Beseitigung des tierischen Kunstpublikums leicht fertig werden —, sondern
rein als Vermittler des Erkennens. Ließen sich ans der Aufeinanderfolge ver-
schiedner Düfte oder derjenigen von Speisen und Getränken irgendwie tiefere


weist, mehr und Besseres leisten Nliifsen. Seine ol» aostimativ» (sinnliche Urteilskraft, von
Kants Urteilskraft nicht weniger als diametral verschieden) ist jedenfalls die schlechteste Frucht,
die dabei hatte herauskommen können, und unterscheidet sich mit ihrem „niedern Erkenntnis¬
vermögen" wirklich in nichts von den „untern Seelenkrilften" des von ihm so vornehm »ver¬
sehenen Baumgarten.
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[0087] Line christliche Ästhetik. Dasjenige aber, was dieses Schöne der Empfindung erregt, ist seiner Wesenheit nach verschieden, es wirkt entweder durch seine Erscheinung an sich, oder durch die Art des „in Erscheinung trctens" oder durch das seiner Erscheinung zu Grunde liegende (seine Voraussetzung). Trotzdem bezeichnet der Sprachgebrauch alles, was schöne Empfindung erregt, als „schön," denn er legt mit gutem Rechte den Ausdruck für die gleiche Empfindung zunächst allen sie erregenden Erscheinungen bei. Erkennt nnn hinterher der sichtende Verstand deren wesent¬ liche Verschiedenheit, so werden Verwirrungen und Einseitigkeiten nicht aus- bleiben können. Wir haben daher dem Schönen der Empfindung das Schöne in der Erscheinung (wir betonen das Vorwort „in") vor der Hand scharf ent¬ gegengesetzt, trotzdem aber auf Grund ihrer ursprünglichem gemeinsamen Be¬ ziehungen das Streben, sie in Einklang zu bringen, gleich von vornherein als berechtigt bezeichnet. Man erkennt aus diesen Formulirungen leicht die Schwierigkeiten, die sich der Ästhetik als gesonderten Wissenschaft in den Weg stellten und mit denen sie sich noch immer — der steptisirende Forscher wird vielleicht sagen für immer — herumzuschlagen hat: die Gegensätze zwischen formaler und sensua- listischer Ästhetik, die ungewisse Stellung des Stofflichen und Inhaltlichen in der rein schematisirenden (kritischen) Ästhetik und Hand in Hand damit der ver¬ wirrende Einfluß des „Guten" auf die Beurteilung des „ Schönen," und um¬ gekehrt. Treten wir dem „Schönen in der Erscheinung" so weit nahe, als es uns für unsre allgemeinen Ordnungsbestimmungen hier in Frage kommt. 1. Das Schöne wirkt durch seine Erscheinung an sich. Hier scheiden wir den Moment des Reizes (das „Angenehme") auf allen, auch den höhern sinnlichen Gebieten alsbald aus und beschränken uns ans das, was unser christlicher Ästhetiker als „kalleologischen Genuß" bezeichnet, indem wir die Entwicklung jenes Prinzips, als einer Vorstufe des ästhetische,: „Gefallens," der Evolutiouiftik überlassen, die in diesen Grenzen sehr nützlich, jedenfalls weniger schädlich wirken könnte, als durch das Hineintragen ihrer unzureichenden Axiome ans das höhere Gebiet. Gesicht und Gehör kommen also allein in Frage, aber nicht als „höhere" Sinne an sich — die Freude an dem bloßen Ton, der reinen Farbe sowie ihr Gegenteil ist nicht ästhetisch im höhern Sinne, und wir wollten mit der Beseitigung des tierischen Kunstpublikums leicht fertig werden —, sondern rein als Vermittler des Erkennens. Ließen sich ans der Aufeinanderfolge ver- schiedner Düfte oder derjenigen von Speisen und Getränken irgendwie tiefere weist, mehr und Besseres leisten Nliifsen. Seine ol» aostimativ» (sinnliche Urteilskraft, von Kants Urteilskraft nicht weniger als diametral verschieden) ist jedenfalls die schlechteste Frucht, die dabei hatte herauskommen können, und unterscheidet sich mit ihrem „niedern Erkenntnis¬ vermögen" wirklich in nichts von den „untern Seelenkrilften" des von ihm so vornehm »ver¬ sehenen Baumgarten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/87>, abgerufen am 01.10.2024.