Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Sind die deutschen Gewerkvoreine politische vereine? gewisse Berechtigung haben; denn in dieser Beziehung kann es keinem Zivcifel Wenn die Gewerkvereine gleichwohl den vereinsgesetzlichen Beschränkungen, Grenzboten I. 1W7,!)
Sind die deutschen Gewerkvoreine politische vereine? gewisse Berechtigung haben; denn in dieser Beziehung kann es keinem Zivcifel Wenn die Gewerkvereine gleichwohl den vereinsgesetzlichen Beschränkungen, Grenzboten I. 1W7,!)
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200178"/> <fw type="header" place="top"> Sind die deutschen Gewerkvoreine politische vereine?</fw><lb/> <p xml:id="ID_223" prev="#ID_222"> gewisse Berechtigung haben; denn in dieser Beziehung kann es keinem Zivcifel<lb/> unterliegen, daß der Bund der deutschen Gewerkvereine, wie er sich in Gestalt<lb/> des „Verbandes" darstellt, jenem Verbot direkt zuwiderläuft. Schon durch den<lb/> bloßen Anschluß an diese Organisation, deren politischer und föderativer Cha¬<lb/> rakter auch auf dem Hallischen Verbandstage mehrfach betont worden ist, nehmen<lb/> die Gewerkvereine den Charakter politischer Vereine an, selbst wenn sie für sich<lb/> als Einzelvereine gar keine Politik treiben sollten.</p><lb/> <p xml:id="ID_224"> Wenn die Gewerkvereine gleichwohl den vereinsgesetzlichen Beschränkungen,<lb/> wie in den Nixdorfer Prozessen behauptet worden ist, von den Behörden bisher<lb/> nicht unterworfen worden sind, so dürfte dies seine Erklärung darin finden, daß<lb/> der öffentlich-rechtliche, insbesondre politische Charakter dieser Vereine ursprüng¬<lb/> lich nicht so deutlich hervortrat, und von ihrer ungehinderten Entwicklung viel¬<lb/> leicht ein wertvolles Gegengewicht gegen die sozialdemokratische Agitation, ins¬<lb/> besondre gegen die von dieser Seite geförderten „Gewerkschaften," erwartet wurde.<lb/> Haben die Gewerkvereine diese Erwartungen, wie wir in unserm frühern Artikel<lb/> nachgewiesen haben, gründlich getäuscht, ja sich den reißenden Fortschritten der<lb/> Sozialdemokratie gegenüber als völlig machtlos erwiesen, und anderseits unter<lb/> der Ära der sozialen Reform ihren politischen Charakter unzweideutig zu Tage<lb/> treten lassen, so dürften sie damit auch den Schein eines Anrechts ans ihre<lb/> privilegirte Stellung zum Vereinsgesetz verwirkt haben, und dies umsomehr,<lb/> als ihre oppositionelle Haltung zu der auf Grund der kaiserlichen Botschaft<lb/> begonnenen Sozialreform das Interesse und Verständnis dafür in den Arbeiter-<lb/> kreisen jedenfalls nicht fördern kann. Sollten aber die Nixdorfer Prozesse,<lb/> welche sich zunächst nur mit der Anzeigepflicht, aber nicht mit dem politischen<lb/> Charakter der Gewerkvereine befaßt haben, auch zur Lösung dieser letztern Frage<lb/> den Anstoß geben, so würde die föderative Organisation, d. h. der „Verband"<lb/> der deutschen Gewerkvereine, welcher übrigens nach der Ansicht einer erheblichen<lb/> Minorität des Hallischen Verbandstages deren Entwicklung eher hindert als<lb/> fördert, nach Lage der gegenwärtigen Gesetzgebung — zumal da andre deutsche<lb/> Vereinsgesetze zum Teil noch enger sind als das preußische — allerdings nicht<lb/> weiter zulässig erscheinen und seine Auflosung unvermeidlich sein, es sei denn,<lb/> daß die mehrfach erwähnte und neuerdings beim Reichstage wieder eingebrachte<lb/> Petition des Zentralratcs der deutscheu Gewerkvereine auf gesetzliche Zulassung<lb/> der Berufsvereiue thatsächlichen Erfolg haben sollte. Dies würde freilich nichts<lb/> geringeres bedeuten als die Organistrnng des deutschen Arbeiterstandes — eine<lb/> Frage, die uns vielleicht in einem weitern Aufsatze näher beschäftigen wird.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1W7,!)</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0073]
Sind die deutschen Gewerkvoreine politische vereine?
gewisse Berechtigung haben; denn in dieser Beziehung kann es keinem Zivcifel
unterliegen, daß der Bund der deutschen Gewerkvereine, wie er sich in Gestalt
des „Verbandes" darstellt, jenem Verbot direkt zuwiderläuft. Schon durch den
bloßen Anschluß an diese Organisation, deren politischer und föderativer Cha¬
rakter auch auf dem Hallischen Verbandstage mehrfach betont worden ist, nehmen
die Gewerkvereine den Charakter politischer Vereine an, selbst wenn sie für sich
als Einzelvereine gar keine Politik treiben sollten.
Wenn die Gewerkvereine gleichwohl den vereinsgesetzlichen Beschränkungen,
wie in den Nixdorfer Prozessen behauptet worden ist, von den Behörden bisher
nicht unterworfen worden sind, so dürfte dies seine Erklärung darin finden, daß
der öffentlich-rechtliche, insbesondre politische Charakter dieser Vereine ursprüng¬
lich nicht so deutlich hervortrat, und von ihrer ungehinderten Entwicklung viel¬
leicht ein wertvolles Gegengewicht gegen die sozialdemokratische Agitation, ins¬
besondre gegen die von dieser Seite geförderten „Gewerkschaften," erwartet wurde.
Haben die Gewerkvereine diese Erwartungen, wie wir in unserm frühern Artikel
nachgewiesen haben, gründlich getäuscht, ja sich den reißenden Fortschritten der
Sozialdemokratie gegenüber als völlig machtlos erwiesen, und anderseits unter
der Ära der sozialen Reform ihren politischen Charakter unzweideutig zu Tage
treten lassen, so dürften sie damit auch den Schein eines Anrechts ans ihre
privilegirte Stellung zum Vereinsgesetz verwirkt haben, und dies umsomehr,
als ihre oppositionelle Haltung zu der auf Grund der kaiserlichen Botschaft
begonnenen Sozialreform das Interesse und Verständnis dafür in den Arbeiter-
kreisen jedenfalls nicht fördern kann. Sollten aber die Nixdorfer Prozesse,
welche sich zunächst nur mit der Anzeigepflicht, aber nicht mit dem politischen
Charakter der Gewerkvereine befaßt haben, auch zur Lösung dieser letztern Frage
den Anstoß geben, so würde die föderative Organisation, d. h. der „Verband"
der deutschen Gewerkvereine, welcher übrigens nach der Ansicht einer erheblichen
Minorität des Hallischen Verbandstages deren Entwicklung eher hindert als
fördert, nach Lage der gegenwärtigen Gesetzgebung — zumal da andre deutsche
Vereinsgesetze zum Teil noch enger sind als das preußische — allerdings nicht
weiter zulässig erscheinen und seine Auflosung unvermeidlich sein, es sei denn,
daß die mehrfach erwähnte und neuerdings beim Reichstage wieder eingebrachte
Petition des Zentralratcs der deutscheu Gewerkvereine auf gesetzliche Zulassung
der Berufsvereiue thatsächlichen Erfolg haben sollte. Dies würde freilich nichts
geringeres bedeuten als die Organistrnng des deutschen Arbeiterstandes — eine
Frage, die uns vielleicht in einem weitern Aufsatze näher beschäftigen wird.
Grenzboten I. 1W7,!)
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