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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die englische Ministerkrisis.

Was wird nun geschehen? so durfte man sich in der ersten Stunde fragen,
und die Antwort der Presse lautete verschieden. Die einen rieten, das Kabinet
Salisbury solle mit gebrochener Schraube seine Fahrt fortsetzen. Andre gingen
soweit, zu behaupten, der Rücktritt Lord Rcmdolphs sei, genau besehen, kein
Verlust, sondern ein Gewinn für das Kabinet, denn er sei doch eigentlich leine
Stärkung, sondern eine Schwächung desselben gewesen, da sein exzentrisches
Wesen und seine demokratischen Bestrebungen die Partei beunruhigt und das
Land mehr in Erstaunen versetzt als erfreut und gewonnen hätten. Befreit von
seinen hochfliegenden Ideen und seiner verletzenden Art, sich zu äußern, werde
die Scilisburysche Verwaltung eine konservativere sein können als bisher. Das
hatte manches für sich. Der abgegangene Schatzkanzler hat eine Jrländerin
zur Mutter und infolge dessen etwas von dem Temperament des Iren, er ist
nervös, vorlaut und formlos, und er ist damit oft recht unbequem geworden,
ja es ging ein Zug von Lächerlichkeit durch sein Auftreten, der ihm bei nicht
wenigen Leuten schadete, indem man ihn nicht recht ernst nehmen zu dürfen
glaubte. Während er die Vorschläge Gladstones in Betreff Irlands zwar heftig
bekämpfte und die irischen Protestanten geradezu aufforderte, ihrer Ausführung
mit den Waffen Widerstand zu leisten, erklärte er sich als Minister gegen die
Absicht seiner Amtsgenossen, die irische Aktivnspartei mit Gewaltmitteln zu be¬
kämpfen. Gladstone schleuderte er im Parlament die gröbsten Worte zu. Nicht
sparsam war er mit solchen gegen Rußland, als die afghanische Frage auf der
Tagesordnung stand. Als am 8. Juni 1885 Gladstone im Untcrhciuse in der
Minderheit blieb, sprang der kleine Lord mit dem großen Schnurrbärte auf eine
Bank und schwenkte seinen Hut. Kurz, es fehlt ihm an Konsequenz und Selbst¬
beherrschung, und das entfremdete ihm manchen Freund. Indes hatte es sich
mit diesen Mängeln seiner Sturm- und Drangperiode in der letzten Zeit ge¬
bessert, und wenn seine Lebhaftigkeit auch jetzt nicht immer die Regeln der Höf¬
lichkeit und des guten Geschmackes innehielt, so gefiel sie doch dem Hause und
dem Lande als etwas Ungewöhnliches, Neues und Frisches. Dazu kam, daß
er auch als Parteimann nichts Gewöhnliches, kein Konservativer der alten
Schule, sondern einer von den modernen Konservativen war, welche rasche Ab¬
stellung eingestandener Mißstände für die beste Art des Konservatismus halten.
Was dann die Idee betrifft, sein Abgang werde die liberalen Unionisten in den
Stand setzen, in die Negierung einzutreten, so scheint uns das sehr zweifelhaft
zu sein, obwohl Salisbury den Lord Hartington, der in Rom verweilte, auf¬
gefordert hat, zu Verhandlungen nach London zurückzukehren, und dieser der
Aufforderung nachgekommen ist. Churchill trat aus dem Kabinette, weil ihm
dessen Führer zu sehr Tory war. Kann dieser jetzt erwarten, daß Hartington
ohne Verzug die Lücke mit seiner Person ausfüllen werde? Wenn die Unionisten
mit Einschluß Chamberlains sich schon außer stände sahen, sich mit den Konser¬
vativen bei der Bildung des Ministeriums zu vereinigen -- wie werden sie


Die englische Ministerkrisis.

Was wird nun geschehen? so durfte man sich in der ersten Stunde fragen,
und die Antwort der Presse lautete verschieden. Die einen rieten, das Kabinet
Salisbury solle mit gebrochener Schraube seine Fahrt fortsetzen. Andre gingen
soweit, zu behaupten, der Rücktritt Lord Rcmdolphs sei, genau besehen, kein
Verlust, sondern ein Gewinn für das Kabinet, denn er sei doch eigentlich leine
Stärkung, sondern eine Schwächung desselben gewesen, da sein exzentrisches
Wesen und seine demokratischen Bestrebungen die Partei beunruhigt und das
Land mehr in Erstaunen versetzt als erfreut und gewonnen hätten. Befreit von
seinen hochfliegenden Ideen und seiner verletzenden Art, sich zu äußern, werde
die Scilisburysche Verwaltung eine konservativere sein können als bisher. Das
hatte manches für sich. Der abgegangene Schatzkanzler hat eine Jrländerin
zur Mutter und infolge dessen etwas von dem Temperament des Iren, er ist
nervös, vorlaut und formlos, und er ist damit oft recht unbequem geworden,
ja es ging ein Zug von Lächerlichkeit durch sein Auftreten, der ihm bei nicht
wenigen Leuten schadete, indem man ihn nicht recht ernst nehmen zu dürfen
glaubte. Während er die Vorschläge Gladstones in Betreff Irlands zwar heftig
bekämpfte und die irischen Protestanten geradezu aufforderte, ihrer Ausführung
mit den Waffen Widerstand zu leisten, erklärte er sich als Minister gegen die
Absicht seiner Amtsgenossen, die irische Aktivnspartei mit Gewaltmitteln zu be¬
kämpfen. Gladstone schleuderte er im Parlament die gröbsten Worte zu. Nicht
sparsam war er mit solchen gegen Rußland, als die afghanische Frage auf der
Tagesordnung stand. Als am 8. Juni 1885 Gladstone im Untcrhciuse in der
Minderheit blieb, sprang der kleine Lord mit dem großen Schnurrbärte auf eine
Bank und schwenkte seinen Hut. Kurz, es fehlt ihm an Konsequenz und Selbst¬
beherrschung, und das entfremdete ihm manchen Freund. Indes hatte es sich
mit diesen Mängeln seiner Sturm- und Drangperiode in der letzten Zeit ge¬
bessert, und wenn seine Lebhaftigkeit auch jetzt nicht immer die Regeln der Höf¬
lichkeit und des guten Geschmackes innehielt, so gefiel sie doch dem Hause und
dem Lande als etwas Ungewöhnliches, Neues und Frisches. Dazu kam, daß
er auch als Parteimann nichts Gewöhnliches, kein Konservativer der alten
Schule, sondern einer von den modernen Konservativen war, welche rasche Ab¬
stellung eingestandener Mißstände für die beste Art des Konservatismus halten.
Was dann die Idee betrifft, sein Abgang werde die liberalen Unionisten in den
Stand setzen, in die Negierung einzutreten, so scheint uns das sehr zweifelhaft
zu sein, obwohl Salisbury den Lord Hartington, der in Rom verweilte, auf¬
gefordert hat, zu Verhandlungen nach London zurückzukehren, und dieser der
Aufforderung nachgekommen ist. Churchill trat aus dem Kabinette, weil ihm
dessen Führer zu sehr Tory war. Kann dieser jetzt erwarten, daß Hartington
ohne Verzug die Lücke mit seiner Person ausfüllen werde? Wenn die Unionisten
mit Einschluß Chamberlains sich schon außer stände sahen, sich mit den Konser¬
vativen bei der Bildung des Ministeriums zu vereinigen — wie werden sie


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[0060] Die englische Ministerkrisis. Was wird nun geschehen? so durfte man sich in der ersten Stunde fragen, und die Antwort der Presse lautete verschieden. Die einen rieten, das Kabinet Salisbury solle mit gebrochener Schraube seine Fahrt fortsetzen. Andre gingen soweit, zu behaupten, der Rücktritt Lord Rcmdolphs sei, genau besehen, kein Verlust, sondern ein Gewinn für das Kabinet, denn er sei doch eigentlich leine Stärkung, sondern eine Schwächung desselben gewesen, da sein exzentrisches Wesen und seine demokratischen Bestrebungen die Partei beunruhigt und das Land mehr in Erstaunen versetzt als erfreut und gewonnen hätten. Befreit von seinen hochfliegenden Ideen und seiner verletzenden Art, sich zu äußern, werde die Scilisburysche Verwaltung eine konservativere sein können als bisher. Das hatte manches für sich. Der abgegangene Schatzkanzler hat eine Jrländerin zur Mutter und infolge dessen etwas von dem Temperament des Iren, er ist nervös, vorlaut und formlos, und er ist damit oft recht unbequem geworden, ja es ging ein Zug von Lächerlichkeit durch sein Auftreten, der ihm bei nicht wenigen Leuten schadete, indem man ihn nicht recht ernst nehmen zu dürfen glaubte. Während er die Vorschläge Gladstones in Betreff Irlands zwar heftig bekämpfte und die irischen Protestanten geradezu aufforderte, ihrer Ausführung mit den Waffen Widerstand zu leisten, erklärte er sich als Minister gegen die Absicht seiner Amtsgenossen, die irische Aktivnspartei mit Gewaltmitteln zu be¬ kämpfen. Gladstone schleuderte er im Parlament die gröbsten Worte zu. Nicht sparsam war er mit solchen gegen Rußland, als die afghanische Frage auf der Tagesordnung stand. Als am 8. Juni 1885 Gladstone im Untcrhciuse in der Minderheit blieb, sprang der kleine Lord mit dem großen Schnurrbärte auf eine Bank und schwenkte seinen Hut. Kurz, es fehlt ihm an Konsequenz und Selbst¬ beherrschung, und das entfremdete ihm manchen Freund. Indes hatte es sich mit diesen Mängeln seiner Sturm- und Drangperiode in der letzten Zeit ge¬ bessert, und wenn seine Lebhaftigkeit auch jetzt nicht immer die Regeln der Höf¬ lichkeit und des guten Geschmackes innehielt, so gefiel sie doch dem Hause und dem Lande als etwas Ungewöhnliches, Neues und Frisches. Dazu kam, daß er auch als Parteimann nichts Gewöhnliches, kein Konservativer der alten Schule, sondern einer von den modernen Konservativen war, welche rasche Ab¬ stellung eingestandener Mißstände für die beste Art des Konservatismus halten. Was dann die Idee betrifft, sein Abgang werde die liberalen Unionisten in den Stand setzen, in die Negierung einzutreten, so scheint uns das sehr zweifelhaft zu sein, obwohl Salisbury den Lord Hartington, der in Rom verweilte, auf¬ gefordert hat, zu Verhandlungen nach London zurückzukehren, und dieser der Aufforderung nachgekommen ist. Churchill trat aus dem Kabinette, weil ihm dessen Führer zu sehr Tory war. Kann dieser jetzt erwarten, daß Hartington ohne Verzug die Lücke mit seiner Person ausfüllen werde? Wenn die Unionisten mit Einschluß Chamberlains sich schon außer stände sahen, sich mit den Konser¬ vativen bei der Bildung des Ministeriums zu vereinigen — wie werden sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/60>, abgerufen am 03.07.2024.