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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

in einem Briefe ein den Freiherr" von Truchseß, indem er diesem bewährten
Freunde vor der Abreise nach Petersburg seine Familie empfiehlt, falls er aus
dem fremden Lande nicht wieder zurückkehren sollte. "Meine Frau -- schreibt
er --, einer der schönsten Charaktere, die ich im Leben angetroffen -- so viel
Geist mit so unendlich großer Sanftmut, so viel herzliche Liebe mit solchem
Drange nach hohen Gegenständen, so unbegreiflich einfach, und doch so viel um¬
fassend, eine gute Hausfrau, eine zärtliche Mutter, und doch Schöpferin von
Welten, die ihre schöne Phantasie in solcher Harmonie ordnet! Ich kann Ihnen
nicht beschreiben, lieber Freund, wie unendlich glücklich ich die Jahre war, die
ich mit dieser ausgezeichneten Frau verlebte." Freilich war dies bei der große"
Güte Wolzogcus nicht schwer. Seine Treue in Liebe und Freundschaft zeigte
sich ja auch in seiner Anhänglichkeit an Schiller und in der unermüdlichen
Sorge, die er der Familie des früh Geschiedenen angedeihen ließ. Die Nation
wird auch nie das ergreifende Bild vergessen, wie er allein in nächtlicher Stunde
dem Sarge ihres großen Dichters folgte.

Zu der größern Ruhe und Sicherheit in Karolinens Wesens trug auch
viel der Umstand bei, daß sie nun erst ihren wirklichen Beruf gefunden hatte:
sie war Schriftstellerin geworden. Unter allen Frauen des Schillerschen Und
Goethischen Kreises war sie am meisten zu diesem Berufe befähigt. In ihren
Dichtungen ist Kraft, Schönheit und Gedankengehalt, man spürt den Einfluß
Schillers in ganz andrer Weise, als in den dilettantischen Spielereien der Fran
von Stein den Einfluß Goethes. Nachdem sie sich in "Briefen aus der Schweiz"
und "Märchen" versucht hatte, wagte sie sich an ein Drama im griechischen
Gewände, "Der Lenkadische Fels." Schiller nahm es in die "Thalia" von 1792
ans, doch ist es im zweiten Akte abgebrochen und, wie es scheint, nicht wieder
aufgenommen worden. Die Heldin Lydia ist Braut, liebt aber einen andern,
an dem man leicht einzelne Züge des Kvadjutvrs erkennen kann, und beschließt,
um dem verhaßten Ehebunde zu entgehen, in den geheiligten Fluten den Tod
zu suchen.

Während sie im Kannstatter Bade Heilung suchte -- es war zu derselbe"
Zeit, als Wolzogen um sie warb, begann Karoline ihr größtes Werk, den Roman
"Agnes von Lilien." Die Heldin, ein junges, in ländlicher Einsamkeit sorg¬
fältig erzogenes Mädchen, kommt plötzlich in das Hoftreibcn, wird in abenteuer¬
liche Verhältnisse verwickelt, die, wenn auch nicht ihrer Tugend, so doch ihrem
Rufe gefährlich werden, muß das Kreuzfeuer der Bewerbungen zweier Liebhaber
aushalten, geht aber unverletzt und gestählt aus dieser Lebensprobe hervor.
Man sieht, die Verwicklungen und Verwirrungen ihres eignen Lebens lieferten
der Verfasserin die Stoffe zu ihren Phantasiegebäuden. Der Roman wurde
viel gelesen und machte sie mit einemmale zu einer berühmten Frau.

So hatte den" Karoline trotz der gewagten Art, mit der sie in ihr inneres
und äußeres Leben einzugreifen Pflegte, alles gefunden, was selbst ein ansprnchs-


Dichterfreundinnen.

in einem Briefe ein den Freiherr» von Truchseß, indem er diesem bewährten
Freunde vor der Abreise nach Petersburg seine Familie empfiehlt, falls er aus
dem fremden Lande nicht wieder zurückkehren sollte. „Meine Frau — schreibt
er —, einer der schönsten Charaktere, die ich im Leben angetroffen — so viel
Geist mit so unendlich großer Sanftmut, so viel herzliche Liebe mit solchem
Drange nach hohen Gegenständen, so unbegreiflich einfach, und doch so viel um¬
fassend, eine gute Hausfrau, eine zärtliche Mutter, und doch Schöpferin von
Welten, die ihre schöne Phantasie in solcher Harmonie ordnet! Ich kann Ihnen
nicht beschreiben, lieber Freund, wie unendlich glücklich ich die Jahre war, die
ich mit dieser ausgezeichneten Frau verlebte." Freilich war dies bei der große»
Güte Wolzogcus nicht schwer. Seine Treue in Liebe und Freundschaft zeigte
sich ja auch in seiner Anhänglichkeit an Schiller und in der unermüdlichen
Sorge, die er der Familie des früh Geschiedenen angedeihen ließ. Die Nation
wird auch nie das ergreifende Bild vergessen, wie er allein in nächtlicher Stunde
dem Sarge ihres großen Dichters folgte.

Zu der größern Ruhe und Sicherheit in Karolinens Wesens trug auch
viel der Umstand bei, daß sie nun erst ihren wirklichen Beruf gefunden hatte:
sie war Schriftstellerin geworden. Unter allen Frauen des Schillerschen Und
Goethischen Kreises war sie am meisten zu diesem Berufe befähigt. In ihren
Dichtungen ist Kraft, Schönheit und Gedankengehalt, man spürt den Einfluß
Schillers in ganz andrer Weise, als in den dilettantischen Spielereien der Fran
von Stein den Einfluß Goethes. Nachdem sie sich in „Briefen aus der Schweiz"
und „Märchen" versucht hatte, wagte sie sich an ein Drama im griechischen
Gewände, „Der Lenkadische Fels." Schiller nahm es in die „Thalia" von 1792
ans, doch ist es im zweiten Akte abgebrochen und, wie es scheint, nicht wieder
aufgenommen worden. Die Heldin Lydia ist Braut, liebt aber einen andern,
an dem man leicht einzelne Züge des Kvadjutvrs erkennen kann, und beschließt,
um dem verhaßten Ehebunde zu entgehen, in den geheiligten Fluten den Tod
zu suchen.

Während sie im Kannstatter Bade Heilung suchte — es war zu derselbe»
Zeit, als Wolzogen um sie warb, begann Karoline ihr größtes Werk, den Roman
„Agnes von Lilien." Die Heldin, ein junges, in ländlicher Einsamkeit sorg¬
fältig erzogenes Mädchen, kommt plötzlich in das Hoftreibcn, wird in abenteuer¬
liche Verhältnisse verwickelt, die, wenn auch nicht ihrer Tugend, so doch ihrem
Rufe gefährlich werden, muß das Kreuzfeuer der Bewerbungen zweier Liebhaber
aushalten, geht aber unverletzt und gestählt aus dieser Lebensprobe hervor.
Man sieht, die Verwicklungen und Verwirrungen ihres eignen Lebens lieferten
der Verfasserin die Stoffe zu ihren Phantasiegebäuden. Der Roman wurde
viel gelesen und machte sie mit einemmale zu einer berühmten Frau.

So hatte den» Karoline trotz der gewagten Art, mit der sie in ihr inneres
und äußeres Leben einzugreifen Pflegte, alles gefunden, was selbst ein ansprnchs-


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[0598] Dichterfreundinnen. in einem Briefe ein den Freiherr» von Truchseß, indem er diesem bewährten Freunde vor der Abreise nach Petersburg seine Familie empfiehlt, falls er aus dem fremden Lande nicht wieder zurückkehren sollte. „Meine Frau — schreibt er —, einer der schönsten Charaktere, die ich im Leben angetroffen — so viel Geist mit so unendlich großer Sanftmut, so viel herzliche Liebe mit solchem Drange nach hohen Gegenständen, so unbegreiflich einfach, und doch so viel um¬ fassend, eine gute Hausfrau, eine zärtliche Mutter, und doch Schöpferin von Welten, die ihre schöne Phantasie in solcher Harmonie ordnet! Ich kann Ihnen nicht beschreiben, lieber Freund, wie unendlich glücklich ich die Jahre war, die ich mit dieser ausgezeichneten Frau verlebte." Freilich war dies bei der große» Güte Wolzogcus nicht schwer. Seine Treue in Liebe und Freundschaft zeigte sich ja auch in seiner Anhänglichkeit an Schiller und in der unermüdlichen Sorge, die er der Familie des früh Geschiedenen angedeihen ließ. Die Nation wird auch nie das ergreifende Bild vergessen, wie er allein in nächtlicher Stunde dem Sarge ihres großen Dichters folgte. Zu der größern Ruhe und Sicherheit in Karolinens Wesens trug auch viel der Umstand bei, daß sie nun erst ihren wirklichen Beruf gefunden hatte: sie war Schriftstellerin geworden. Unter allen Frauen des Schillerschen Und Goethischen Kreises war sie am meisten zu diesem Berufe befähigt. In ihren Dichtungen ist Kraft, Schönheit und Gedankengehalt, man spürt den Einfluß Schillers in ganz andrer Weise, als in den dilettantischen Spielereien der Fran von Stein den Einfluß Goethes. Nachdem sie sich in „Briefen aus der Schweiz" und „Märchen" versucht hatte, wagte sie sich an ein Drama im griechischen Gewände, „Der Lenkadische Fels." Schiller nahm es in die „Thalia" von 1792 ans, doch ist es im zweiten Akte abgebrochen und, wie es scheint, nicht wieder aufgenommen worden. Die Heldin Lydia ist Braut, liebt aber einen andern, an dem man leicht einzelne Züge des Kvadjutvrs erkennen kann, und beschließt, um dem verhaßten Ehebunde zu entgehen, in den geheiligten Fluten den Tod zu suchen. Während sie im Kannstatter Bade Heilung suchte — es war zu derselbe» Zeit, als Wolzogen um sie warb, begann Karoline ihr größtes Werk, den Roman „Agnes von Lilien." Die Heldin, ein junges, in ländlicher Einsamkeit sorg¬ fältig erzogenes Mädchen, kommt plötzlich in das Hoftreibcn, wird in abenteuer¬ liche Verhältnisse verwickelt, die, wenn auch nicht ihrer Tugend, so doch ihrem Rufe gefährlich werden, muß das Kreuzfeuer der Bewerbungen zweier Liebhaber aushalten, geht aber unverletzt und gestählt aus dieser Lebensprobe hervor. Man sieht, die Verwicklungen und Verwirrungen ihres eignen Lebens lieferten der Verfasserin die Stoffe zu ihren Phantasiegebäuden. Der Roman wurde viel gelesen und machte sie mit einemmale zu einer berühmten Frau. So hatte den» Karoline trotz der gewagten Art, mit der sie in ihr inneres und äußeres Leben einzugreifen Pflegte, alles gefunden, was selbst ein ansprnchs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/598>, abgerufen am 28.08.2024.