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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Gegenstand der Verhandlung war die irische Frage, welche zur Zeit alles
politische Interesse in England beherrschte. Stimmen für und wider wurden
laut. Aus manchen Worten sprach der instinktive Haß des Sachsen gegen den
Kelten. Trotzdem überwogen die Gicidstonianer; sind es doch gerade diese
Kreise, in denen der gra-mal viel man unbedingt vergöttert wird. Natürlich
wurde auch manche unreife, politisch unhaltbare Meinung ausgesprochen. So
folgerte der eine so: "Wenn sich mein Nachbar unaufgefordert in meine Sachen
einmischt, ohne daß ich ihn vorher gestört habe, so thut er mir ein Unrecht.
Die Iren haben uns nie aufgefordert, zu ihnen herüberzukommen; ihre Ab¬
stimmungen haben stets gezeigt, daß sie für sich allein leben wollen. Es ist
also Ungerechtigkeit und Unterdrückung, uns in ihre Angelegenheiten einzu¬
mischen und ihnen gar die Vereinigung mit uns aufzuzwingen."

Diese Worte waren mir ein Beispiel dafür, daß die Massen nie imstande
sein werden, große politische Fragen nach dem Gesichtspunkte der Erhaltung
eines Weltreiches zu beurteilen. Beschränkten Gesichtskreises, werden sie stets
dem Radikalismus zuneigen, der ihnen die Gesellschaft als leeres Blatt Papier
darstellt, auf dem es gilt, "ach Phantasie Konstruktionen zu entwerfen. Erst
auf den Höhen der Gesellschaft erweitert sich der Blick, uur dort reift die Ein¬
sicht heran, daß es auf sittlichem Gebiete kein Aufschlagen der Erbschaft giebt,
sondern daß das heutige Geschlecht ohne sein Zuthun und schon dnrch seine
Geburt Erbin aller vorhergegangenen geworden ist, daß in dem Besitze, den sie
überkommen haben, die Großthaten, aber anch alle Sünden der Väter fortwirken.
Ins praktische übersetzt: dort allein wachsen Staatsmänner auf, die mit den
Verhältnissen als gegebenen rechnen, nicht Neues und Unglaubliches von einer
erleuchteten Mitwelt erhoffen, sondern zufrieden sind, jene Erbschaft, so gut als
möglich verwaltet, nach einer kurzen Spanne Zeit ihren Kindern zu hinterlassen.
Die solchem Standpunkte unentbehrliche Welterfahrung ist gerade entgegengesetzt
der Arbeitsteilung, in welche die untern Klassen heute so tief verstrickt sind.
Daher werden diese in allen politischen Fragen leichte Beute von Aufwieglern,
die ihnen eine allgemeine Theorie an die Hand geben, mit welcher sie den Mangel
eingehender Sachkenntnis sollen ersetzen können. Welcher Segen ist es nun,
wenn in solche Kreise Männer von praktischem Takt und Sachkenntnis treten
und die Fragen des Tages nicht in belehrendem Tone, sondern in Unter¬
haltung wie mit ihresgleichen besprechen. Hierzu sind in England durch ihre
soziale Stellung und ihre hervorragende Bildung die Univörsit^-mein berufen,
die sich, wie das Beispiel unsrer Freunde aus Tohnbee-Hall zeigt, mehr und
mehr dieser ihrer Pflicht zu erinnern anfangen. Es sind das Bestrebungen,
welche in der That die Mühe verlohnen, die sie kosten; triebe man doch ohne
sie bei fortschreitender Demokratisirung der gesetzlichen Einrichtungen, wie sie in
England stattgehabt hat, einem höchst bedenklichen Konflikt entgegen.

Ein andrer Abend, den ich in demselben Klub zubrachte, war rein der ge-


Gegenstand der Verhandlung war die irische Frage, welche zur Zeit alles
politische Interesse in England beherrschte. Stimmen für und wider wurden
laut. Aus manchen Worten sprach der instinktive Haß des Sachsen gegen den
Kelten. Trotzdem überwogen die Gicidstonianer; sind es doch gerade diese
Kreise, in denen der gra-mal viel man unbedingt vergöttert wird. Natürlich
wurde auch manche unreife, politisch unhaltbare Meinung ausgesprochen. So
folgerte der eine so: „Wenn sich mein Nachbar unaufgefordert in meine Sachen
einmischt, ohne daß ich ihn vorher gestört habe, so thut er mir ein Unrecht.
Die Iren haben uns nie aufgefordert, zu ihnen herüberzukommen; ihre Ab¬
stimmungen haben stets gezeigt, daß sie für sich allein leben wollen. Es ist
also Ungerechtigkeit und Unterdrückung, uns in ihre Angelegenheiten einzu¬
mischen und ihnen gar die Vereinigung mit uns aufzuzwingen."

Diese Worte waren mir ein Beispiel dafür, daß die Massen nie imstande
sein werden, große politische Fragen nach dem Gesichtspunkte der Erhaltung
eines Weltreiches zu beurteilen. Beschränkten Gesichtskreises, werden sie stets
dem Radikalismus zuneigen, der ihnen die Gesellschaft als leeres Blatt Papier
darstellt, auf dem es gilt, »ach Phantasie Konstruktionen zu entwerfen. Erst
auf den Höhen der Gesellschaft erweitert sich der Blick, uur dort reift die Ein¬
sicht heran, daß es auf sittlichem Gebiete kein Aufschlagen der Erbschaft giebt,
sondern daß das heutige Geschlecht ohne sein Zuthun und schon dnrch seine
Geburt Erbin aller vorhergegangenen geworden ist, daß in dem Besitze, den sie
überkommen haben, die Großthaten, aber anch alle Sünden der Väter fortwirken.
Ins praktische übersetzt: dort allein wachsen Staatsmänner auf, die mit den
Verhältnissen als gegebenen rechnen, nicht Neues und Unglaubliches von einer
erleuchteten Mitwelt erhoffen, sondern zufrieden sind, jene Erbschaft, so gut als
möglich verwaltet, nach einer kurzen Spanne Zeit ihren Kindern zu hinterlassen.
Die solchem Standpunkte unentbehrliche Welterfahrung ist gerade entgegengesetzt
der Arbeitsteilung, in welche die untern Klassen heute so tief verstrickt sind.
Daher werden diese in allen politischen Fragen leichte Beute von Aufwieglern,
die ihnen eine allgemeine Theorie an die Hand geben, mit welcher sie den Mangel
eingehender Sachkenntnis sollen ersetzen können. Welcher Segen ist es nun,
wenn in solche Kreise Männer von praktischem Takt und Sachkenntnis treten
und die Fragen des Tages nicht in belehrendem Tone, sondern in Unter¬
haltung wie mit ihresgleichen besprechen. Hierzu sind in England durch ihre
soziale Stellung und ihre hervorragende Bildung die Univörsit^-mein berufen,
die sich, wie das Beispiel unsrer Freunde aus Tohnbee-Hall zeigt, mehr und
mehr dieser ihrer Pflicht zu erinnern anfangen. Es sind das Bestrebungen,
welche in der That die Mühe verlohnen, die sie kosten; triebe man doch ohne
sie bei fortschreitender Demokratisirung der gesetzlichen Einrichtungen, wie sie in
England stattgehabt hat, einem höchst bedenklichen Konflikt entgegen.

Ein andrer Abend, den ich in demselben Klub zubrachte, war rein der ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/584>, abgerufen am 26.08.2024.