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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Lage der Landwirtschaft in Bberitalien und die Bauern-Streiks ^33^--^335.

ihres Loses auf Kosten der Grundherren gern sehen würde. Zur Zeit der
Heuernte, im August 1884, verweigerten nun sämtliche Bauern gleichzeitig die
Arbeit, durchzogen in Bauden vereinigt die Ortschaften, lauteten die Sturm¬
glocken, schüchterten die friedlich gesinnten Leute durch Drohungen ein und
leisteten den Behörden offenen Widerstand. Schließlich kam es zu böswilliger
Sachbeschädigung, hie und da sogar zu Brandstiftungen. Endlich mußten die
Truppen einschreiten, und es erfolgte die Verhaftung mehrerer hundert Auf-
wiegler. Aber die Ernte ging darüber teilweise verloren, teilweise mußte sie
von den Soldaten eingebracht werden. Im folgenden Jahre, 1885, wieder¬
holten sich ähnliche Vorgänge; schließlich wurde zwischen Grundherren und
Kolonen ein für erstere nachteiliger Waffenstillstand geschlossen; dreizehnhundert
Bauern erbaten und erhielten Auslandspässe und wanderten nach Österreich-
Ungarn aus.

Im Jahre 1885 bildete die Provinz Mantua den vornehmsten Kriegs¬
schauplatz. Hier hatten zwei sozialdemokratische Gesellschaften, die Lovistg. Kg-
nsrgls asi Ig-vorglori leg.Iig.ni und die Looistg. all rnutrco sooeorso nisi oontg-numi,
die Bauern zu taufenden in Abteilungen und Unterabteilungen gegliedert, ihnen
in jeder Gemeinde leitende Spitzen gegeben und sie planmäßig mit aufrühre¬
rischen Schriften überschüttet. Im Februar begannen zunächst die an öffent¬
lichen Bauten angestellten Erdarbeiter mit der Arbeitsverweigerung, im März
und April folgten die Bauern. Aber anstatt über die verlangte Lohnerhöhung
zu verhandeln, traten sie von vornherein aufrührerisch auf und gaben sich ganz
denselben Ausschreitungen hin, wie zuvor die Bauern der Provinz Rovigo.
Doch gelang es der Behörde, sich der Anstifter und Führer zu bemächtigen,
und sobald diese hinter Schloß und Riegel saßen, trat wieder Ruhe ein. Die
Bauern begnügten sich mit einer von der Behörde angebahnten mäßigen Lohn¬
aufbesserung, und als sie vernahmen, daß die Regierung ihr Verhalten keines¬
wegs billige, wie die Aufwiegler behauptet hatten, lieferten sie freiwillig ihre
Diplome als Mitglieder der oben genannten Gesellschaften ab. Doch wurden
viele Bauern verurteilt, während die geistigen Urheber des ganzen Aufstandes,
weil an Thätlichkeiten nicht beteiligt, frei ausgingen.

Die Streiks und Tumulte, welche in den Provinzen Parma, Modena,
Cremona und Reggio, mit den Mittelpunkten in Soragna, Guastcilla und
Casalmaggiorc, vorkamen, erscheinen lediglich als Anhängsel der großen Be¬
wegung im Mantuanischen. Die Bauern dieser Gegenden verlangten eine Er¬
höhung des Tagelohns auf drei Lire im Sommer und zwei Lire im Winter.
Auch hier wußten die Aufwiegler der Strafe zu entgehen, während die Bauern
wegen Sachbeschädigung 2e. verurteilt wurden.

Unmittelbar auf den Aufstand in der Provinz Mantua folgte im Juni
1885 die Bewegung in der Provinz Mailand, jedoch mit dem Unterschiede,
daß hier keine Tagelöhner, sondern nur Pachtbauern (Kolonen) beteiligt waren.


Die Lage der Landwirtschaft in Bberitalien und die Bauern-Streiks ^33^—^335.

ihres Loses auf Kosten der Grundherren gern sehen würde. Zur Zeit der
Heuernte, im August 1884, verweigerten nun sämtliche Bauern gleichzeitig die
Arbeit, durchzogen in Bauden vereinigt die Ortschaften, lauteten die Sturm¬
glocken, schüchterten die friedlich gesinnten Leute durch Drohungen ein und
leisteten den Behörden offenen Widerstand. Schließlich kam es zu böswilliger
Sachbeschädigung, hie und da sogar zu Brandstiftungen. Endlich mußten die
Truppen einschreiten, und es erfolgte die Verhaftung mehrerer hundert Auf-
wiegler. Aber die Ernte ging darüber teilweise verloren, teilweise mußte sie
von den Soldaten eingebracht werden. Im folgenden Jahre, 1885, wieder¬
holten sich ähnliche Vorgänge; schließlich wurde zwischen Grundherren und
Kolonen ein für erstere nachteiliger Waffenstillstand geschlossen; dreizehnhundert
Bauern erbaten und erhielten Auslandspässe und wanderten nach Österreich-
Ungarn aus.

Im Jahre 1885 bildete die Provinz Mantua den vornehmsten Kriegs¬
schauplatz. Hier hatten zwei sozialdemokratische Gesellschaften, die Lovistg. Kg-
nsrgls asi Ig-vorglori leg.Iig.ni und die Looistg. all rnutrco sooeorso nisi oontg-numi,
die Bauern zu taufenden in Abteilungen und Unterabteilungen gegliedert, ihnen
in jeder Gemeinde leitende Spitzen gegeben und sie planmäßig mit aufrühre¬
rischen Schriften überschüttet. Im Februar begannen zunächst die an öffent¬
lichen Bauten angestellten Erdarbeiter mit der Arbeitsverweigerung, im März
und April folgten die Bauern. Aber anstatt über die verlangte Lohnerhöhung
zu verhandeln, traten sie von vornherein aufrührerisch auf und gaben sich ganz
denselben Ausschreitungen hin, wie zuvor die Bauern der Provinz Rovigo.
Doch gelang es der Behörde, sich der Anstifter und Führer zu bemächtigen,
und sobald diese hinter Schloß und Riegel saßen, trat wieder Ruhe ein. Die
Bauern begnügten sich mit einer von der Behörde angebahnten mäßigen Lohn¬
aufbesserung, und als sie vernahmen, daß die Regierung ihr Verhalten keines¬
wegs billige, wie die Aufwiegler behauptet hatten, lieferten sie freiwillig ihre
Diplome als Mitglieder der oben genannten Gesellschaften ab. Doch wurden
viele Bauern verurteilt, während die geistigen Urheber des ganzen Aufstandes,
weil an Thätlichkeiten nicht beteiligt, frei ausgingen.

Die Streiks und Tumulte, welche in den Provinzen Parma, Modena,
Cremona und Reggio, mit den Mittelpunkten in Soragna, Guastcilla und
Casalmaggiorc, vorkamen, erscheinen lediglich als Anhängsel der großen Be¬
wegung im Mantuanischen. Die Bauern dieser Gegenden verlangten eine Er¬
höhung des Tagelohns auf drei Lire im Sommer und zwei Lire im Winter.
Auch hier wußten die Aufwiegler der Strafe zu entgehen, während die Bauern
wegen Sachbeschädigung 2e. verurteilt wurden.

Unmittelbar auf den Aufstand in der Provinz Mantua folgte im Juni
1885 die Bewegung in der Provinz Mailand, jedoch mit dem Unterschiede,
daß hier keine Tagelöhner, sondern nur Pachtbauern (Kolonen) beteiligt waren.


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[0580] Die Lage der Landwirtschaft in Bberitalien und die Bauern-Streiks ^33^—^335. ihres Loses auf Kosten der Grundherren gern sehen würde. Zur Zeit der Heuernte, im August 1884, verweigerten nun sämtliche Bauern gleichzeitig die Arbeit, durchzogen in Bauden vereinigt die Ortschaften, lauteten die Sturm¬ glocken, schüchterten die friedlich gesinnten Leute durch Drohungen ein und leisteten den Behörden offenen Widerstand. Schließlich kam es zu böswilliger Sachbeschädigung, hie und da sogar zu Brandstiftungen. Endlich mußten die Truppen einschreiten, und es erfolgte die Verhaftung mehrerer hundert Auf- wiegler. Aber die Ernte ging darüber teilweise verloren, teilweise mußte sie von den Soldaten eingebracht werden. Im folgenden Jahre, 1885, wieder¬ holten sich ähnliche Vorgänge; schließlich wurde zwischen Grundherren und Kolonen ein für erstere nachteiliger Waffenstillstand geschlossen; dreizehnhundert Bauern erbaten und erhielten Auslandspässe und wanderten nach Österreich- Ungarn aus. Im Jahre 1885 bildete die Provinz Mantua den vornehmsten Kriegs¬ schauplatz. Hier hatten zwei sozialdemokratische Gesellschaften, die Lovistg. Kg- nsrgls asi Ig-vorglori leg.Iig.ni und die Looistg. all rnutrco sooeorso nisi oontg-numi, die Bauern zu taufenden in Abteilungen und Unterabteilungen gegliedert, ihnen in jeder Gemeinde leitende Spitzen gegeben und sie planmäßig mit aufrühre¬ rischen Schriften überschüttet. Im Februar begannen zunächst die an öffent¬ lichen Bauten angestellten Erdarbeiter mit der Arbeitsverweigerung, im März und April folgten die Bauern. Aber anstatt über die verlangte Lohnerhöhung zu verhandeln, traten sie von vornherein aufrührerisch auf und gaben sich ganz denselben Ausschreitungen hin, wie zuvor die Bauern der Provinz Rovigo. Doch gelang es der Behörde, sich der Anstifter und Führer zu bemächtigen, und sobald diese hinter Schloß und Riegel saßen, trat wieder Ruhe ein. Die Bauern begnügten sich mit einer von der Behörde angebahnten mäßigen Lohn¬ aufbesserung, und als sie vernahmen, daß die Regierung ihr Verhalten keines¬ wegs billige, wie die Aufwiegler behauptet hatten, lieferten sie freiwillig ihre Diplome als Mitglieder der oben genannten Gesellschaften ab. Doch wurden viele Bauern verurteilt, während die geistigen Urheber des ganzen Aufstandes, weil an Thätlichkeiten nicht beteiligt, frei ausgingen. Die Streiks und Tumulte, welche in den Provinzen Parma, Modena, Cremona und Reggio, mit den Mittelpunkten in Soragna, Guastcilla und Casalmaggiorc, vorkamen, erscheinen lediglich als Anhängsel der großen Be¬ wegung im Mantuanischen. Die Bauern dieser Gegenden verlangten eine Er¬ höhung des Tagelohns auf drei Lire im Sommer und zwei Lire im Winter. Auch hier wußten die Aufwiegler der Strafe zu entgehen, während die Bauern wegen Sachbeschädigung 2e. verurteilt wurden. Unmittelbar auf den Aufstand in der Provinz Mantua folgte im Juni 1885 die Bewegung in der Provinz Mailand, jedoch mit dem Unterschiede, daß hier keine Tagelöhner, sondern nur Pachtbauern (Kolonen) beteiligt waren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/580>, abgerufen am 26.08.2024.