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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Lage der Landwirtschaft in Gberitalien und die Bauern-Streiks 1^83^--^383.

Nutzertrage bescheidner. Das mit der Arbeit verbundne Wagnis fällt auch dem
einfachen Manne mehr ins Auge. Auf dem Lande Hausen ferner die einzelnen
Personen oder Familien zumeist räumlich von einander getrennt, oft ohne irgend
welchen nähern Zusammenhang, und sind somit unfähig zu gemeinsamem, plan¬
mäßigem Handeln. Zu diesen allgemein giltigen Thatsachen tritt, um insbe¬
sondre von den in Oberitalien herrschenden Zuständen zu reden, noch hinzu,
daß hier der ländliche Tagelöhner, beiläufig ein seltenes Element, zu seinem
Arbeitgeber, dem Grundbesitzer, in einem nur losen und immer nur vorüber¬
gehenden Dienstverhältnisse steht; denn er Pflegt je nach Jahreszeit, Erntezeit
und Nachfrage von Ort zu Ort zu wandern, zeitweise sogar in das benachbarte
Ausland. Die seßhaften ländlichen Arbeiter aber, welche auf längere Zeit ver¬
tragsmäßig an den Grundherrn gefesselt find, die sogenannten Kolonen oder
Pachtbauern, sehen ihr eignes Interesse mit dem des Grundbesitzers durch so
viele Fäden verknüpft, daß sie ohne ganz besondern Anlaß aus eignem Antriebe
nicht daran denken würden, zu ihm in Gegensatz zu treten. Diese Fäden --
für unsre Zeit viel zu verwickelt -- stellen Pflichten beider Teile und Rechte
beider Teile dar, und beruhen außerdem auf einem jahrhundertealten Gewohn¬
heitsrechte, welchem der ungelehrte Mann des Volkes bekanntlich ohne Bedenken
zu folgen pflegt, während er gegen ein "gemachtes," d. h. nicht ererbtes, wenn
auch sonst gutes Gesetz sich gern auflehnt, lediglich weil es neu und ihm noch
unverständlich ist.

Die dem oberitalienischen Pachtbauern, und mit ihm der Mehrheit der
ländlichen Bevölkerung, dnrch das Herkommen geschaffene Lebenslage ist nun,
wie im folgenden gezeigt werden soll, nicht besonders drückend. Er ist, wenn¬
gleich dem Dienstherrn oft verschuldet, doch keineswegs dessen Höriger. Viel¬
mehr schließt er mit diesem alljährlich nach freiem Ermessen einen meist gleich¬
lautenden Vertrag ab, durch welchem ihm etweder eine Hänslerstelle, oder ein
Stück Land (Casale), oder ein Anteil am Ernteertrage, sowie daneben ein ge¬
wisser Tagelohn zugesprochen wird, während er sich, dem Grundherrn gegenüber,
zu gewissen Dienstleistungen bei der Bestellung des Gutes verpflichtet.

So erhält der Kolone zum Beispiel im Venetianischen neben freier Wohnung
und einem Stück Land einen Tagelohn von 0,65 bis 0,70 Lira; anderwärts
drei Zehntel des Ernteertrages und 0,30 bis 0,50 Lira Tcigelvhn. In der
Provinz Mantua beziehen die bäuerlichen Arbeiter im Winter für den Arbeitstag
eine Lira, im Frühjahr und Herbst 1,25 Lira, im Sommer 1,60 Lira; für ge¬
wisse Arbeiten von Belang aber, als Heuer, Getreidemähen u. s. w., 2 und selbst
3 Lire. In der Haupterntezeit verdienen sie an manchen Tagen, namentlich
wenn Akkordarbeit bewilligt ist, zehn bis fünfzehn Prozent des Ertrages oder
3 bis 5 Lire in baarem Gelde. Im Mailündischen zahlen die Kolonen dem
Grundbesitzer für Halts und Wiese Geldpacht, behalten aber von dem Ertrage
der mit Getreide bebauten Flächen ein Drittel, von, Weine und der Kokon-


Die Lage der Landwirtschaft in Gberitalien und die Bauern-Streiks 1^83^—^383.

Nutzertrage bescheidner. Das mit der Arbeit verbundne Wagnis fällt auch dem
einfachen Manne mehr ins Auge. Auf dem Lande Hausen ferner die einzelnen
Personen oder Familien zumeist räumlich von einander getrennt, oft ohne irgend
welchen nähern Zusammenhang, und sind somit unfähig zu gemeinsamem, plan¬
mäßigem Handeln. Zu diesen allgemein giltigen Thatsachen tritt, um insbe¬
sondre von den in Oberitalien herrschenden Zuständen zu reden, noch hinzu,
daß hier der ländliche Tagelöhner, beiläufig ein seltenes Element, zu seinem
Arbeitgeber, dem Grundbesitzer, in einem nur losen und immer nur vorüber¬
gehenden Dienstverhältnisse steht; denn er Pflegt je nach Jahreszeit, Erntezeit
und Nachfrage von Ort zu Ort zu wandern, zeitweise sogar in das benachbarte
Ausland. Die seßhaften ländlichen Arbeiter aber, welche auf längere Zeit ver¬
tragsmäßig an den Grundherrn gefesselt find, die sogenannten Kolonen oder
Pachtbauern, sehen ihr eignes Interesse mit dem des Grundbesitzers durch so
viele Fäden verknüpft, daß sie ohne ganz besondern Anlaß aus eignem Antriebe
nicht daran denken würden, zu ihm in Gegensatz zu treten. Diese Fäden —
für unsre Zeit viel zu verwickelt — stellen Pflichten beider Teile und Rechte
beider Teile dar, und beruhen außerdem auf einem jahrhundertealten Gewohn¬
heitsrechte, welchem der ungelehrte Mann des Volkes bekanntlich ohne Bedenken
zu folgen pflegt, während er gegen ein „gemachtes," d. h. nicht ererbtes, wenn
auch sonst gutes Gesetz sich gern auflehnt, lediglich weil es neu und ihm noch
unverständlich ist.

Die dem oberitalienischen Pachtbauern, und mit ihm der Mehrheit der
ländlichen Bevölkerung, dnrch das Herkommen geschaffene Lebenslage ist nun,
wie im folgenden gezeigt werden soll, nicht besonders drückend. Er ist, wenn¬
gleich dem Dienstherrn oft verschuldet, doch keineswegs dessen Höriger. Viel¬
mehr schließt er mit diesem alljährlich nach freiem Ermessen einen meist gleich¬
lautenden Vertrag ab, durch welchem ihm etweder eine Hänslerstelle, oder ein
Stück Land (Casale), oder ein Anteil am Ernteertrage, sowie daneben ein ge¬
wisser Tagelohn zugesprochen wird, während er sich, dem Grundherrn gegenüber,
zu gewissen Dienstleistungen bei der Bestellung des Gutes verpflichtet.

So erhält der Kolone zum Beispiel im Venetianischen neben freier Wohnung
und einem Stück Land einen Tagelohn von 0,65 bis 0,70 Lira; anderwärts
drei Zehntel des Ernteertrages und 0,30 bis 0,50 Lira Tcigelvhn. In der
Provinz Mantua beziehen die bäuerlichen Arbeiter im Winter für den Arbeitstag
eine Lira, im Frühjahr und Herbst 1,25 Lira, im Sommer 1,60 Lira; für ge¬
wisse Arbeiten von Belang aber, als Heuer, Getreidemähen u. s. w., 2 und selbst
3 Lire. In der Haupterntezeit verdienen sie an manchen Tagen, namentlich
wenn Akkordarbeit bewilligt ist, zehn bis fünfzehn Prozent des Ertrages oder
3 bis 5 Lire in baarem Gelde. Im Mailündischen zahlen die Kolonen dem
Grundbesitzer für Halts und Wiese Geldpacht, behalten aber von dem Ertrage
der mit Getreide bebauten Flächen ein Drittel, von, Weine und der Kokon-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/578>, abgerufen am 22.12.2024.