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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Lage der Landwirtschaft in Oberitalien und die Bauern-Streiks 133^.-^335.

suchen die in der Verfassung liegenden freisinnigen Keime zur Entwicklung zu
bringen. Nicht so die Tschechen. Sie kämpfen nur für die eine, nur für die
nationale Idee und opfern derselben sogar die Freiheit des Volkes. . . . Ander¬
seits suchte der Adel seine Macht zu verstärken durch Weckung und Ausbeutung
der nationalen Idee des tschechischen Volkes. So kam es, daß die Tschechen
nur zu oft im Dienste des rückschrittsfreundlichen Adels arbeiteten und die
goldne Freiheit des Volkes gegen einige deutschfeindliche Gesetze verhandelten."
Wir fragen hier: Was ist diese "goldne" Freiheit? Waren die Führer der
Deutschen mit dem, was sie so nannten und bei dem man auch an das
"goldne Kalb" und seine Anbetcrschaft, die "goldne Internationale," zu denken
versucht wird, immer auf dem rechten Wege? Gingen sie mit dem, was sie
für die Bourgeoisie verlangten, namentlich auf wirtschaftlichem Gebiete, nicht zu
weit? War es überhaupt politisch, das Banner der Freiheit "vor allem" hoch¬
zuhalten, wo die Nationalität weit mehr gefährdet war, und wo man mit
diesem Banner aus Mauchesterstoff selbst gemäßigte Konservative in das Lager
der Tschechen trieb? Indes Schlesiugcr schrieb 1870, und seitdem scheint man
wie anderwärts unter den Deutschösterreicheru auch unter den Deutschböhmen
zu der Erkenntnis gekommen zu sein, daß die Arbeit an den Dämmen gegen
die slawische Überflutung ein dringenderes Gebot sei als die, mit der man bis
dahin bemüht war, "die in der Verfassung liegenden freisinnigen Keime zur
Entwicklung zu bringen." Ist das wirklich so, hat man wirklich von den
Tschechen und der Erfahrung gelernt, was der rechte Weg ist, und wir haben
Grund, dies von weiten Kreisen der Deutschböhmen anzunehmen, so wolle man
dabei bleiben. Die Verquickung liberaler Bestrebungen mit nationalen schwächt
die Energie der letztern, führt zur Inkonsequenz und zur Entfremdung von
Elementen, welche mit ihrem Besitz und ihrer Stellung von hohem Nutzen
sein könnten. Lieber viel weniger liberale Einrichtungen, wenn unser nationaler
Bestand dabei besser geschützt ist! Das sollte fortan das Feldgeschrei aller gegen
das Slawentum kümpfendcn Deutschen sein. Der Anbruch einer neueren glück¬
licheren Ära würde dann nicht lange auf sich warten lassen.




Die Lage der Landwirtschaft in Oberitalien
und die Bauern-Streiks der Jahre MH --M5.

ur wenige von den mittelbaren und unmittelbaren Ursachen, welche
in den größern Industriebezirken zu Arbeitseinstellungen und Aus¬
schreitungen der Arbeiterbevölkerung führen, finden sich in den vor¬
wiegend oder ausschließlich der Landwirtschaft ergebenen Gegenden
vor. Das Kapital tritt hier in einer dem Arbeiter und Bauern
verstäudlicheren Form auf; es erscheint weniger anspruchsvoll und in seinem


Grenzboten I, 1L37. 72
Die Lage der Landwirtschaft in Oberitalien und die Bauern-Streiks 133^.-^335.

suchen die in der Verfassung liegenden freisinnigen Keime zur Entwicklung zu
bringen. Nicht so die Tschechen. Sie kämpfen nur für die eine, nur für die
nationale Idee und opfern derselben sogar die Freiheit des Volkes. . . . Ander¬
seits suchte der Adel seine Macht zu verstärken durch Weckung und Ausbeutung
der nationalen Idee des tschechischen Volkes. So kam es, daß die Tschechen
nur zu oft im Dienste des rückschrittsfreundlichen Adels arbeiteten und die
goldne Freiheit des Volkes gegen einige deutschfeindliche Gesetze verhandelten."
Wir fragen hier: Was ist diese „goldne" Freiheit? Waren die Führer der
Deutschen mit dem, was sie so nannten und bei dem man auch an das
„goldne Kalb" und seine Anbetcrschaft, die „goldne Internationale," zu denken
versucht wird, immer auf dem rechten Wege? Gingen sie mit dem, was sie
für die Bourgeoisie verlangten, namentlich auf wirtschaftlichem Gebiete, nicht zu
weit? War es überhaupt politisch, das Banner der Freiheit „vor allem" hoch¬
zuhalten, wo die Nationalität weit mehr gefährdet war, und wo man mit
diesem Banner aus Mauchesterstoff selbst gemäßigte Konservative in das Lager
der Tschechen trieb? Indes Schlesiugcr schrieb 1870, und seitdem scheint man
wie anderwärts unter den Deutschösterreicheru auch unter den Deutschböhmen
zu der Erkenntnis gekommen zu sein, daß die Arbeit an den Dämmen gegen
die slawische Überflutung ein dringenderes Gebot sei als die, mit der man bis
dahin bemüht war, „die in der Verfassung liegenden freisinnigen Keime zur
Entwicklung zu bringen." Ist das wirklich so, hat man wirklich von den
Tschechen und der Erfahrung gelernt, was der rechte Weg ist, und wir haben
Grund, dies von weiten Kreisen der Deutschböhmen anzunehmen, so wolle man
dabei bleiben. Die Verquickung liberaler Bestrebungen mit nationalen schwächt
die Energie der letztern, führt zur Inkonsequenz und zur Entfremdung von
Elementen, welche mit ihrem Besitz und ihrer Stellung von hohem Nutzen
sein könnten. Lieber viel weniger liberale Einrichtungen, wenn unser nationaler
Bestand dabei besser geschützt ist! Das sollte fortan das Feldgeschrei aller gegen
das Slawentum kümpfendcn Deutschen sein. Der Anbruch einer neueren glück¬
licheren Ära würde dann nicht lange auf sich warten lassen.




Die Lage der Landwirtschaft in Oberitalien
und die Bauern-Streiks der Jahre MH —M5.

ur wenige von den mittelbaren und unmittelbaren Ursachen, welche
in den größern Industriebezirken zu Arbeitseinstellungen und Aus¬
schreitungen der Arbeiterbevölkerung führen, finden sich in den vor¬
wiegend oder ausschließlich der Landwirtschaft ergebenen Gegenden
vor. Das Kapital tritt hier in einer dem Arbeiter und Bauern
verstäudlicheren Form auf; es erscheint weniger anspruchsvoll und in seinem


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[0577] Die Lage der Landwirtschaft in Oberitalien und die Bauern-Streiks 133^.-^335. suchen die in der Verfassung liegenden freisinnigen Keime zur Entwicklung zu bringen. Nicht so die Tschechen. Sie kämpfen nur für die eine, nur für die nationale Idee und opfern derselben sogar die Freiheit des Volkes. . . . Ander¬ seits suchte der Adel seine Macht zu verstärken durch Weckung und Ausbeutung der nationalen Idee des tschechischen Volkes. So kam es, daß die Tschechen nur zu oft im Dienste des rückschrittsfreundlichen Adels arbeiteten und die goldne Freiheit des Volkes gegen einige deutschfeindliche Gesetze verhandelten." Wir fragen hier: Was ist diese „goldne" Freiheit? Waren die Führer der Deutschen mit dem, was sie so nannten und bei dem man auch an das „goldne Kalb" und seine Anbetcrschaft, die „goldne Internationale," zu denken versucht wird, immer auf dem rechten Wege? Gingen sie mit dem, was sie für die Bourgeoisie verlangten, namentlich auf wirtschaftlichem Gebiete, nicht zu weit? War es überhaupt politisch, das Banner der Freiheit „vor allem" hoch¬ zuhalten, wo die Nationalität weit mehr gefährdet war, und wo man mit diesem Banner aus Mauchesterstoff selbst gemäßigte Konservative in das Lager der Tschechen trieb? Indes Schlesiugcr schrieb 1870, und seitdem scheint man wie anderwärts unter den Deutschösterreicheru auch unter den Deutschböhmen zu der Erkenntnis gekommen zu sein, daß die Arbeit an den Dämmen gegen die slawische Überflutung ein dringenderes Gebot sei als die, mit der man bis dahin bemüht war, „die in der Verfassung liegenden freisinnigen Keime zur Entwicklung zu bringen." Ist das wirklich so, hat man wirklich von den Tschechen und der Erfahrung gelernt, was der rechte Weg ist, und wir haben Grund, dies von weiten Kreisen der Deutschböhmen anzunehmen, so wolle man dabei bleiben. Die Verquickung liberaler Bestrebungen mit nationalen schwächt die Energie der letztern, führt zur Inkonsequenz und zur Entfremdung von Elementen, welche mit ihrem Besitz und ihrer Stellung von hohem Nutzen sein könnten. Lieber viel weniger liberale Einrichtungen, wenn unser nationaler Bestand dabei besser geschützt ist! Das sollte fortan das Feldgeschrei aller gegen das Slawentum kümpfendcn Deutschen sein. Der Anbruch einer neueren glück¬ licheren Ära würde dann nicht lange auf sich warten lassen. Die Lage der Landwirtschaft in Oberitalien und die Bauern-Streiks der Jahre MH —M5. ur wenige von den mittelbaren und unmittelbaren Ursachen, welche in den größern Industriebezirken zu Arbeitseinstellungen und Aus¬ schreitungen der Arbeiterbevölkerung führen, finden sich in den vor¬ wiegend oder ausschließlich der Landwirtschaft ergebenen Gegenden vor. Das Kapital tritt hier in einer dem Arbeiter und Bauern verstäudlicheren Form auf; es erscheint weniger anspruchsvoll und in seinem Grenzboten I, 1L37. 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/577>, abgerufen am 22.12.2024.