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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.
4.

adurch, daß infolge der Gegenreformation viele tschechische Ge¬
schlechter aus den Reihen des böhmischen Adels verschwanden,
und daß von den neuen katholischen Geistlichen meist deutsch
gepredigt wurde, die Jesuiten gegen die Bücher wüteten, die
in der zuletzt obenauf gekommenen Sprache geschrieben waren,
daß ferner deren im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert viel weniger
als früher erschienen, und daß endlich in den vornehmern Kreisen neben dem
Deutschen das Französische zur Haussprache wurde, geriet die tschechische Sprache
nach und nach in einen so tiefen Verfall, daß es bei vielen Böhmen geradezu
als Zeichen von Unbildung galt, sich ihrer in guter Gesellschaft zu bedienen.
In einer Schutzschrift für dieselbe beklagt der Geschichtschreiber Balbin diese
Mißachtung schon im siebzehnten Jahrhundert mit tiefem Schmerz und be¬
hauptet, man gehe damit um, sie völlig auszurotten. Die Jesuiten versuchten
zu Anfang des folgenden Jahrhunderts die von ihnen verbrannte tschechische
Literatur durch deutsche Bücher zu ersetzen, deren der Jesuit Kraus von 1709
bis 1725 nicht weniger als fünfzig erscheinen ließ. Der Graf von Spork ließ
von seinen Töchtern eine große Anzahl französischer Werke meist geistlichen In¬
halts ins Deutsche übertragen, die er in Auflagen bis zu zehntausend Exemplaren
unentgeltlich verteilte. Die deutsche Sprache mußte dadurch an Ausdehnung
gewinnen, aber von dem Entstehen einer deutjchnationalen Strömung war nicht
die Rede. Weder die Jesuiten noch der Adel dachten daran auch nur einen
Augenblick, und die deutsch-böhmische Bevölkerung in den Städten und auf dem
Lande teilte die Lethargie, welche das ganze Königreich nach dem dreißigjährigen


Grenzboten I. 1387. 71


Deutsch-böhmische Briefe.
4.

adurch, daß infolge der Gegenreformation viele tschechische Ge¬
schlechter aus den Reihen des böhmischen Adels verschwanden,
und daß von den neuen katholischen Geistlichen meist deutsch
gepredigt wurde, die Jesuiten gegen die Bücher wüteten, die
in der zuletzt obenauf gekommenen Sprache geschrieben waren,
daß ferner deren im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert viel weniger
als früher erschienen, und daß endlich in den vornehmern Kreisen neben dem
Deutschen das Französische zur Haussprache wurde, geriet die tschechische Sprache
nach und nach in einen so tiefen Verfall, daß es bei vielen Böhmen geradezu
als Zeichen von Unbildung galt, sich ihrer in guter Gesellschaft zu bedienen.
In einer Schutzschrift für dieselbe beklagt der Geschichtschreiber Balbin diese
Mißachtung schon im siebzehnten Jahrhundert mit tiefem Schmerz und be¬
hauptet, man gehe damit um, sie völlig auszurotten. Die Jesuiten versuchten
zu Anfang des folgenden Jahrhunderts die von ihnen verbrannte tschechische
Literatur durch deutsche Bücher zu ersetzen, deren der Jesuit Kraus von 1709
bis 1725 nicht weniger als fünfzig erscheinen ließ. Der Graf von Spork ließ
von seinen Töchtern eine große Anzahl französischer Werke meist geistlichen In¬
halts ins Deutsche übertragen, die er in Auflagen bis zu zehntausend Exemplaren
unentgeltlich verteilte. Die deutsche Sprache mußte dadurch an Ausdehnung
gewinnen, aber von dem Entstehen einer deutjchnationalen Strömung war nicht
die Rede. Weder die Jesuiten noch der Adel dachten daran auch nur einen
Augenblick, und die deutsch-böhmische Bevölkerung in den Städten und auf dem
Lande teilte die Lethargie, welche das ganze Königreich nach dem dreißigjährigen


Grenzboten I. 1387. 71
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[0569] [Abbildung] Deutsch-böhmische Briefe. 4. adurch, daß infolge der Gegenreformation viele tschechische Ge¬ schlechter aus den Reihen des böhmischen Adels verschwanden, und daß von den neuen katholischen Geistlichen meist deutsch gepredigt wurde, die Jesuiten gegen die Bücher wüteten, die in der zuletzt obenauf gekommenen Sprache geschrieben waren, daß ferner deren im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert viel weniger als früher erschienen, und daß endlich in den vornehmern Kreisen neben dem Deutschen das Französische zur Haussprache wurde, geriet die tschechische Sprache nach und nach in einen so tiefen Verfall, daß es bei vielen Böhmen geradezu als Zeichen von Unbildung galt, sich ihrer in guter Gesellschaft zu bedienen. In einer Schutzschrift für dieselbe beklagt der Geschichtschreiber Balbin diese Mißachtung schon im siebzehnten Jahrhundert mit tiefem Schmerz und be¬ hauptet, man gehe damit um, sie völlig auszurotten. Die Jesuiten versuchten zu Anfang des folgenden Jahrhunderts die von ihnen verbrannte tschechische Literatur durch deutsche Bücher zu ersetzen, deren der Jesuit Kraus von 1709 bis 1725 nicht weniger als fünfzig erscheinen ließ. Der Graf von Spork ließ von seinen Töchtern eine große Anzahl französischer Werke meist geistlichen In¬ halts ins Deutsche übertragen, die er in Auflagen bis zu zehntausend Exemplaren unentgeltlich verteilte. Die deutsche Sprache mußte dadurch an Ausdehnung gewinnen, aber von dem Entstehen einer deutjchnationalen Strömung war nicht die Rede. Weder die Jesuiten noch der Adel dachten daran auch nur einen Augenblick, und die deutsch-böhmische Bevölkerung in den Städten und auf dem Lande teilte die Lethargie, welche das ganze Königreich nach dem dreißigjährigen Grenzboten I. 1387. 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/569>, abgerufen am 22.12.2024.