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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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schweigsam und schüchtern, sie wollte sich nicht einer neuen Täuschung aussetzen,
aber die Liebe siegte, und ihr ganzes Wesen blühte wie mit einemmale auf.
Der Trieb nach einer tieferen geistigen Bildung war in ihr so lebhaft wie bei
ihrer Schwester, sie las philosophische und geschichtliche Werke, studirte eifrig
Französisch und Englisch, zeichnete und -- dichtete, aber nie trug sie ihr Wissen
zur Schau, nur in dem gewählten Ausdrucke und der Reife ihres Urteils
that es sich kund. Von dem Streben ihrer Schwester nach schriftstellerischen
Erfolgen ließ sie sich nicht anstecken. Sie hatte nicht viele Freundinnen, hielt
aber mit steter Treue zu ihnen, bis der Tod das Band trennte. Frau von Stein
und die in ihrer Schlichtheit und Geistesklarheit so herrliche Prinzessin Karoline
von Weimar, die spätere Erbgroßhcrzogin von Mecklenburg-Schwerin (geht. 1816),
waren ihre Vertrauten. Man hat ihr nachgerechnet, daß sie etwas spitz in
ihrem Urteile über die Schwächen ihrer Mitmenschen gewesen sei. Besonders find
die Goetheforscher ungehalten darüber, daß sie der Frau von Stein nach ihrem
Brüche mit Goethe in den gehässigen Bemerkungen über Christiane Vulpius
sekundirte. Daran ist etwas Wahres. Eine gewisse voMvUoricz Ä'"Z8xrit wird
ihr schon als Mädchen nachgerühmt, und auf einem Bilde aus jener Zeit ist
etwas Rasches und Fertiges um die lieblichen Lippen nicht zu verkennen. Aber
man darf nicht anßer Acht lassen, daß sie in ihrem nächsten Kreise manche Ver-
anlassung zum Spötteln fand, und was Goethe anlangt, so war sie bis zu ihrem
Tode eine treue Verehrerin des "Meisters," wie sie ihn so gern nannte.

Dies die Hauptpersonen in dem Kreise, in dem die junge Frau von Beul¬
witz die ersten Jahre ihrer Ehe verlebte. Dazu kamen freilich noch die An¬
regungen, die sie durch ihre Studien erhielt. Wie alle Frauen der genialen
Zeit, trieb sie eifrig Französisch und Englisch, zeichnete viel und las viel. Ihre
Lektüre war tief, gehaltvoll und hatte gleichsam einen männlichen Charakter.
Philosophie und Geschichte waren die Hauptgebiete, auf denen sie ihre geistige
Nahrung suchte. Bald ist es Plutarch, bald Gibbon, bald Montesquieu, bald
Kant, bald Euripides, wofür sie sich interessirt. In der "Kritik der reinen
Vernunft" war sie bewandert wie in der Geschichte der Goten. So bewunderns¬
würdig aber diese Ausdauer im Studiren auch ist, so kann man doch nicht sagen,
daß sie die schmackhaftesten Früchte getragen hätte. Was sich an philosophischen
und geschichtlichen Reflexionen in ihrem "Litcrarischen Nachlasse" findet, ist
mehr Phrase als Gedanke. Schwester Lottchen nahm auch Teil an dieser männ¬
lichen Hausmannskost, aber sie kostete und nippte nur, und aus ihren gelegent¬
lichen allgemeinen Betrachtungen ersieht man, daß es ihr besser bekommen ist.

Beide Schwestern feierten den Meridiandurchgang ihres Lebensgestirnes,
als sie mit Schiller in nähere Verbindung traten.

"An einem trüben Novembertage im Jahre 1787 -- erzählt Karoline --
kamen zwei Reiter die Straße herunter; sie waren in Mäntel gehüllt; wir er¬
kannten uusern Vetter Wolzogen, der scherzend das halbe Gesicht in dem


schweigsam und schüchtern, sie wollte sich nicht einer neuen Täuschung aussetzen,
aber die Liebe siegte, und ihr ganzes Wesen blühte wie mit einemmale auf.
Der Trieb nach einer tieferen geistigen Bildung war in ihr so lebhaft wie bei
ihrer Schwester, sie las philosophische und geschichtliche Werke, studirte eifrig
Französisch und Englisch, zeichnete und — dichtete, aber nie trug sie ihr Wissen
zur Schau, nur in dem gewählten Ausdrucke und der Reife ihres Urteils
that es sich kund. Von dem Streben ihrer Schwester nach schriftstellerischen
Erfolgen ließ sie sich nicht anstecken. Sie hatte nicht viele Freundinnen, hielt
aber mit steter Treue zu ihnen, bis der Tod das Band trennte. Frau von Stein
und die in ihrer Schlichtheit und Geistesklarheit so herrliche Prinzessin Karoline
von Weimar, die spätere Erbgroßhcrzogin von Mecklenburg-Schwerin (geht. 1816),
waren ihre Vertrauten. Man hat ihr nachgerechnet, daß sie etwas spitz in
ihrem Urteile über die Schwächen ihrer Mitmenschen gewesen sei. Besonders find
die Goetheforscher ungehalten darüber, daß sie der Frau von Stein nach ihrem
Brüche mit Goethe in den gehässigen Bemerkungen über Christiane Vulpius
sekundirte. Daran ist etwas Wahres. Eine gewisse voMvUoricz Ä'«Z8xrit wird
ihr schon als Mädchen nachgerühmt, und auf einem Bilde aus jener Zeit ist
etwas Rasches und Fertiges um die lieblichen Lippen nicht zu verkennen. Aber
man darf nicht anßer Acht lassen, daß sie in ihrem nächsten Kreise manche Ver-
anlassung zum Spötteln fand, und was Goethe anlangt, so war sie bis zu ihrem
Tode eine treue Verehrerin des „Meisters," wie sie ihn so gern nannte.

Dies die Hauptpersonen in dem Kreise, in dem die junge Frau von Beul¬
witz die ersten Jahre ihrer Ehe verlebte. Dazu kamen freilich noch die An¬
regungen, die sie durch ihre Studien erhielt. Wie alle Frauen der genialen
Zeit, trieb sie eifrig Französisch und Englisch, zeichnete viel und las viel. Ihre
Lektüre war tief, gehaltvoll und hatte gleichsam einen männlichen Charakter.
Philosophie und Geschichte waren die Hauptgebiete, auf denen sie ihre geistige
Nahrung suchte. Bald ist es Plutarch, bald Gibbon, bald Montesquieu, bald
Kant, bald Euripides, wofür sie sich interessirt. In der „Kritik der reinen
Vernunft" war sie bewandert wie in der Geschichte der Goten. So bewunderns¬
würdig aber diese Ausdauer im Studiren auch ist, so kann man doch nicht sagen,
daß sie die schmackhaftesten Früchte getragen hätte. Was sich an philosophischen
und geschichtlichen Reflexionen in ihrem „Litcrarischen Nachlasse" findet, ist
mehr Phrase als Gedanke. Schwester Lottchen nahm auch Teil an dieser männ¬
lichen Hausmannskost, aber sie kostete und nippte nur, und aus ihren gelegent¬
lichen allgemeinen Betrachtungen ersieht man, daß es ihr besser bekommen ist.

Beide Schwestern feierten den Meridiandurchgang ihres Lebensgestirnes,
als sie mit Schiller in nähere Verbindung traten.

„An einem trüben Novembertage im Jahre 1787 — erzählt Karoline —
kamen zwei Reiter die Straße herunter; sie waren in Mäntel gehüllt; wir er¬
kannten uusern Vetter Wolzogen, der scherzend das halbe Gesicht in dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/546>, abgerufen am 01.10.2024.