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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Ein elsässisches Oeuvre cke reconkort.

Jahrhunderte früher von einem Elscisser auf Grund einer französischen Dichtung
behandelt worden war!

Eingehender verbreitet sich Herr Reiher über Sprache und Literatur im
Elsaß in den schon erwähnten "Zurückfvrderungcn," welche nach seiner Erklärung
dahin abzielen, "dem alten Frankreich eine beträchtliche Anzahl von Rechten
zurückzuerstatten, die man sich bisher jenseits des Rheins allzu reichlich an¬
geeignet" habe.

Daß der Elscisser eine Sprache für sich hat, erfährt man schon im Vorwort:
"Wenn er spricht, verstehen ihn die Deutschen garnicht. "Mer buwe bim
Alte", sagt er in seiner bezeichnenden Redeweise, und allem eigennützigen Wort¬
schwall unsrer rechtsrheinischen Nachbarn gegenüber begnügt er sich, die tovische
Stelle aus dem alten Geographen anzuführen: Wivnus lwvius, ani Hg-Aos cll-
viclit a (l<zring.ruf!" Wie diese ureigne Sprache der Elscisser entstand, legt Herr
Reiher im Anhang seines Buches folgendermaßen dar: "Aus einer Art natür¬
licher Wahl hatten sich im oberen Teile des Rheinthales arbeitsame und fried¬
liebende Stämme zusammengethan und zu starker Vereinigung gegen die Angriffe
von anßen verbunden. Das Volk der Helvetier, mochte es gallischen oder ger¬
manischen Stammes sein, diente diesem Bunde zum Mittelpunkt. Lauge vor
den großen Völkcreinfälleu des fünften Jahrhunderts bewohnte dasselbe die
Alpen und deren Ausläufer. Als ein um seine Ungestörtheit sehr besorgtes
Hirtenvolk wußte es sich tapfer gegen alle Angriffe, die sie bedrohten, zu ver¬
teidigen. Natürlich mußte sich daher die ursprüngliche Sprache des germanisch-
arischen Zweiges hier erhalten und herrschend werden, während sich dieselbe
durch das Ab- und Zuströmen der Völkerwanderung und andre Ursachen in
den verschiedenen Teilen des großen Germaniens nach und nach, und sehr wesent¬
lich, veränderte. Hieraus erklärt sich, warum die elsässische Mundart, welche
eine feststehend gebliebene Sprache ist, für die zeitgenössischen Deutschen durchaus
unverständlich wurde. Es sei hier zugleich bemerkt, daß das heutige Deutsch
nichts ist als die mündliche Entwicklung des Hochdeutsch oder vielmehr Hof¬
deutsch, welches im sechzehnten Jahrhundert die in allen Teilen des Reiches übliche
amtliche Sprache war. Beispiele werden beweisen, wie sehr diese diplomatische
Schriftsprache von der mündlichen abwich. So lautete u. c>. die durch den
Büreaukratismus der Kanzleien des Heiligen Reiches im Elsaß eingeführte amt¬
liche Schreibweise Molshcim, Schiltigheim u. s. w., während diese Orte im
Vvlksmunde Mvlsa, Schick" u. s. w. heißen." Welch wertvolle Aufschlüsse wären
dementsprechend zu erwarten, wenn Herr Reiher als Verfasser neuer "Briefe
eines in Deutschland reisenden Franzosen" -- gjnstvsL " l'Ksaro xrossuto --
etwa zufällig nach Stuckert, Dicwinge u. f. w. käme!

Herr Reiher läßt es sich bei seinen weiter" gelehrten Untersuchungen nicht
an einem kurzen Hinweis auf die keltische" und gallischen, gallisch-römische"
und germanischen Sprachwurzeln der "ureigner elsässischen Sprache" genügen;


Ein elsässisches Oeuvre cke reconkort.

Jahrhunderte früher von einem Elscisser auf Grund einer französischen Dichtung
behandelt worden war!

Eingehender verbreitet sich Herr Reiher über Sprache und Literatur im
Elsaß in den schon erwähnten „Zurückfvrderungcn," welche nach seiner Erklärung
dahin abzielen, „dem alten Frankreich eine beträchtliche Anzahl von Rechten
zurückzuerstatten, die man sich bisher jenseits des Rheins allzu reichlich an¬
geeignet" habe.

Daß der Elscisser eine Sprache für sich hat, erfährt man schon im Vorwort:
„Wenn er spricht, verstehen ihn die Deutschen garnicht. »Mer buwe bim
Alte«, sagt er in seiner bezeichnenden Redeweise, und allem eigennützigen Wort¬
schwall unsrer rechtsrheinischen Nachbarn gegenüber begnügt er sich, die tovische
Stelle aus dem alten Geographen anzuführen: Wivnus lwvius, ani Hg-Aos cll-
viclit a (l<zring.ruf!" Wie diese ureigne Sprache der Elscisser entstand, legt Herr
Reiher im Anhang seines Buches folgendermaßen dar: „Aus einer Art natür¬
licher Wahl hatten sich im oberen Teile des Rheinthales arbeitsame und fried¬
liebende Stämme zusammengethan und zu starker Vereinigung gegen die Angriffe
von anßen verbunden. Das Volk der Helvetier, mochte es gallischen oder ger¬
manischen Stammes sein, diente diesem Bunde zum Mittelpunkt. Lauge vor
den großen Völkcreinfälleu des fünften Jahrhunderts bewohnte dasselbe die
Alpen und deren Ausläufer. Als ein um seine Ungestörtheit sehr besorgtes
Hirtenvolk wußte es sich tapfer gegen alle Angriffe, die sie bedrohten, zu ver¬
teidigen. Natürlich mußte sich daher die ursprüngliche Sprache des germanisch-
arischen Zweiges hier erhalten und herrschend werden, während sich dieselbe
durch das Ab- und Zuströmen der Völkerwanderung und andre Ursachen in
den verschiedenen Teilen des großen Germaniens nach und nach, und sehr wesent¬
lich, veränderte. Hieraus erklärt sich, warum die elsässische Mundart, welche
eine feststehend gebliebene Sprache ist, für die zeitgenössischen Deutschen durchaus
unverständlich wurde. Es sei hier zugleich bemerkt, daß das heutige Deutsch
nichts ist als die mündliche Entwicklung des Hochdeutsch oder vielmehr Hof¬
deutsch, welches im sechzehnten Jahrhundert die in allen Teilen des Reiches übliche
amtliche Sprache war. Beispiele werden beweisen, wie sehr diese diplomatische
Schriftsprache von der mündlichen abwich. So lautete u. c>. die durch den
Büreaukratismus der Kanzleien des Heiligen Reiches im Elsaß eingeführte amt¬
liche Schreibweise Molshcim, Schiltigheim u. s. w., während diese Orte im
Vvlksmunde Mvlsa, Schick« u. s. w. heißen." Welch wertvolle Aufschlüsse wären
dementsprechend zu erwarten, wenn Herr Reiher als Verfasser neuer „Briefe
eines in Deutschland reisenden Franzosen" — gjnstvsL » l'Ksaro xrossuto —
etwa zufällig nach Stuckert, Dicwinge u. f. w. käme!

Herr Reiher läßt es sich bei seinen weiter» gelehrten Untersuchungen nicht
an einem kurzen Hinweis auf die keltische» und gallischen, gallisch-römische»
und germanischen Sprachwurzeln der „ureigner elsässischen Sprache" genügen;


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[0533] Ein elsässisches Oeuvre cke reconkort. Jahrhunderte früher von einem Elscisser auf Grund einer französischen Dichtung behandelt worden war! Eingehender verbreitet sich Herr Reiher über Sprache und Literatur im Elsaß in den schon erwähnten „Zurückfvrderungcn," welche nach seiner Erklärung dahin abzielen, „dem alten Frankreich eine beträchtliche Anzahl von Rechten zurückzuerstatten, die man sich bisher jenseits des Rheins allzu reichlich an¬ geeignet" habe. Daß der Elscisser eine Sprache für sich hat, erfährt man schon im Vorwort: „Wenn er spricht, verstehen ihn die Deutschen garnicht. »Mer buwe bim Alte«, sagt er in seiner bezeichnenden Redeweise, und allem eigennützigen Wort¬ schwall unsrer rechtsrheinischen Nachbarn gegenüber begnügt er sich, die tovische Stelle aus dem alten Geographen anzuführen: Wivnus lwvius, ani Hg-Aos cll- viclit a (l<zring.ruf!" Wie diese ureigne Sprache der Elscisser entstand, legt Herr Reiher im Anhang seines Buches folgendermaßen dar: „Aus einer Art natür¬ licher Wahl hatten sich im oberen Teile des Rheinthales arbeitsame und fried¬ liebende Stämme zusammengethan und zu starker Vereinigung gegen die Angriffe von anßen verbunden. Das Volk der Helvetier, mochte es gallischen oder ger¬ manischen Stammes sein, diente diesem Bunde zum Mittelpunkt. Lauge vor den großen Völkcreinfälleu des fünften Jahrhunderts bewohnte dasselbe die Alpen und deren Ausläufer. Als ein um seine Ungestörtheit sehr besorgtes Hirtenvolk wußte es sich tapfer gegen alle Angriffe, die sie bedrohten, zu ver¬ teidigen. Natürlich mußte sich daher die ursprüngliche Sprache des germanisch- arischen Zweiges hier erhalten und herrschend werden, während sich dieselbe durch das Ab- und Zuströmen der Völkerwanderung und andre Ursachen in den verschiedenen Teilen des großen Germaniens nach und nach, und sehr wesent¬ lich, veränderte. Hieraus erklärt sich, warum die elsässische Mundart, welche eine feststehend gebliebene Sprache ist, für die zeitgenössischen Deutschen durchaus unverständlich wurde. Es sei hier zugleich bemerkt, daß das heutige Deutsch nichts ist als die mündliche Entwicklung des Hochdeutsch oder vielmehr Hof¬ deutsch, welches im sechzehnten Jahrhundert die in allen Teilen des Reiches übliche amtliche Sprache war. Beispiele werden beweisen, wie sehr diese diplomatische Schriftsprache von der mündlichen abwich. So lautete u. c>. die durch den Büreaukratismus der Kanzleien des Heiligen Reiches im Elsaß eingeführte amt¬ liche Schreibweise Molshcim, Schiltigheim u. s. w., während diese Orte im Vvlksmunde Mvlsa, Schick« u. s. w. heißen." Welch wertvolle Aufschlüsse wären dementsprechend zu erwarten, wenn Herr Reiher als Verfasser neuer „Briefe eines in Deutschland reisenden Franzosen" — gjnstvsL » l'Ksaro xrossuto — etwa zufällig nach Stuckert, Dicwinge u. f. w. käme! Herr Reiher läßt es sich bei seinen weiter» gelehrten Untersuchungen nicht an einem kurzen Hinweis auf die keltische» und gallischen, gallisch-römische» und germanischen Sprachwurzeln der „ureigner elsässischen Sprache" genügen;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/533>, abgerufen am 23.07.2024.