Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Leos des Dreizehnter Anfänge. unendliche Volksmenge, welche bis dahin den Platz vor der Kirche angefüllt Um ein Viertel vor fünf Uhr erblickt man nach einigen Minuten gespannter Kann man die geschilderte Entwicklung als tragische, sowohl für das Papst¬ Besser ging es der Schweizergarde. Die Soldaten behaupteten, ein An¬ Leos des Dreizehnter Anfänge. unendliche Volksmenge, welche bis dahin den Platz vor der Kirche angefüllt Um ein Viertel vor fünf Uhr erblickt man nach einigen Minuten gespannter Kann man die geschilderte Entwicklung als tragische, sowohl für das Papst¬ Besser ging es der Schweizergarde. Die Soldaten behaupteten, ein An¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0530" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200635"/> <fw type="header" place="top"> Leos des Dreizehnter Anfänge.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1667" prev="#ID_1666"> unendliche Volksmenge, welche bis dahin den Platz vor der Kirche angefüllt<lb/> hatte, stürzte jetzt in dieselbe hinein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1668"> Um ein Viertel vor fünf Uhr erblickt man nach einigen Minuten gespannter<lb/> Erwartung das Kreuz, welches auf die Loggia getragen wurde. Der Papst<lb/> erscheint, umgeben von seinem Hofe. Ein vieltausendfacher Freudenschrei em¬<lb/> pfängt ihn. Alles schwenkt Hüte oder Taschentücher. Der Papst ist tief ge¬<lb/> rührt, er wartet, bis Stille eintritt. Dann spricht er mit bewegter, zit¬<lb/> ternder Stimme: „Unsre Hilfe ist im Namen des Herrn," und das Volk in<lb/> der Kirche antwortet: „der Himmel und Erde "gemacht hat." Der Papst fährt<lb/> fort: „Der Name des Herrn sei gelobt." Dann beugt er sich, so weit er kann,<lb/> über die Brüstung hinüber, erhebt die Hand und erteilt mit weithin schallender<lb/> Stimme den Segen. Ein lauter Freudenschrei antwortet ihm, alle in der Kirche<lb/> sind tiefbewegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1669"> Kann man die geschilderte Entwicklung als tragische, sowohl für das Papst¬<lb/> tum als für die allgemeine europäische Weltlage, bezeichnen, so fehlte der Tragödie<lb/> auch das Satyrspiel nicht. Die Herstellung eines gegen die Außenwelt abge¬<lb/> sperrten großen Raumes im Vatikan, welcher die Kardinäle mit ihrer Diener¬<lb/> schaft und den Beamten des Konklaves aufnahm, kostete natürlich Geld. Den<lb/> Bauplan hatte der Architekt Martinncci, ein Neffe des Zeremvnienmeisters, ent¬<lb/> worfen; als er aber seine Rechnung einreichte, wurde sie ihm so scharf beschnitten,<lb/> daß er den heiligen Stuhl vor den römischen Gerichten verklagte. Aber die<lb/> Richter erklärten sich für inkompetent, und Mcirtiuncci erhielt nichts.</p><lb/> <p xml:id="ID_1670"> Besser ging es der Schweizergarde. Die Soldaten behaupteten, ein An¬<lb/> recht auf einen bestimmten Sold während der Zeit des Konklaves zu haben.<lb/> Da sich das Gerücht verbreitet hatte, der neue Papst wolle dieses Recht nicht<lb/> anerkennen, so meuterten dreißig fromme Schweizer, befreiten drei ihrer in Arrest<lb/> sitzenden Kameraden, indem sie die Thür der Arrestlokales mit Kolbeustößen ein-<lb/> schlugen, und setzten den ganzen Vatikan in Schrecken. Die Revolte dauerte<lb/> vom 6. bis zum 9. März; die braven Leute beruhigten sich erst, als ihnen ihr<lb/> Geld ausgezahlt wurde und nachdem sie nahe daran gewesen waren, das ganze<lb/> System von der Gefangenschaft des Papstes auf ihre Weise umzustoßen; denn<lb/> die Umgebung Leos XIII. hatte schon ernstlich daran gedacht, die italienischen,<lb/> außerhalb des Vatikans aufgestellten Truppen um Hilfe anzurufen: so ironisch<lb/> gestaltet die gemeine Geschichte manchmal den menschlichen Willen in der<lb/> Politik um.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0530]
Leos des Dreizehnter Anfänge.
unendliche Volksmenge, welche bis dahin den Platz vor der Kirche angefüllt
hatte, stürzte jetzt in dieselbe hinein.
Um ein Viertel vor fünf Uhr erblickt man nach einigen Minuten gespannter
Erwartung das Kreuz, welches auf die Loggia getragen wurde. Der Papst
erscheint, umgeben von seinem Hofe. Ein vieltausendfacher Freudenschrei em¬
pfängt ihn. Alles schwenkt Hüte oder Taschentücher. Der Papst ist tief ge¬
rührt, er wartet, bis Stille eintritt. Dann spricht er mit bewegter, zit¬
ternder Stimme: „Unsre Hilfe ist im Namen des Herrn," und das Volk in
der Kirche antwortet: „der Himmel und Erde "gemacht hat." Der Papst fährt
fort: „Der Name des Herrn sei gelobt." Dann beugt er sich, so weit er kann,
über die Brüstung hinüber, erhebt die Hand und erteilt mit weithin schallender
Stimme den Segen. Ein lauter Freudenschrei antwortet ihm, alle in der Kirche
sind tiefbewegt.
Kann man die geschilderte Entwicklung als tragische, sowohl für das Papst¬
tum als für die allgemeine europäische Weltlage, bezeichnen, so fehlte der Tragödie
auch das Satyrspiel nicht. Die Herstellung eines gegen die Außenwelt abge¬
sperrten großen Raumes im Vatikan, welcher die Kardinäle mit ihrer Diener¬
schaft und den Beamten des Konklaves aufnahm, kostete natürlich Geld. Den
Bauplan hatte der Architekt Martinncci, ein Neffe des Zeremvnienmeisters, ent¬
worfen; als er aber seine Rechnung einreichte, wurde sie ihm so scharf beschnitten,
daß er den heiligen Stuhl vor den römischen Gerichten verklagte. Aber die
Richter erklärten sich für inkompetent, und Mcirtiuncci erhielt nichts.
Besser ging es der Schweizergarde. Die Soldaten behaupteten, ein An¬
recht auf einen bestimmten Sold während der Zeit des Konklaves zu haben.
Da sich das Gerücht verbreitet hatte, der neue Papst wolle dieses Recht nicht
anerkennen, so meuterten dreißig fromme Schweizer, befreiten drei ihrer in Arrest
sitzenden Kameraden, indem sie die Thür der Arrestlokales mit Kolbeustößen ein-
schlugen, und setzten den ganzen Vatikan in Schrecken. Die Revolte dauerte
vom 6. bis zum 9. März; die braven Leute beruhigten sich erst, als ihnen ihr
Geld ausgezahlt wurde und nachdem sie nahe daran gewesen waren, das ganze
System von der Gefangenschaft des Papstes auf ihre Weise umzustoßen; denn
die Umgebung Leos XIII. hatte schon ernstlich daran gedacht, die italienischen,
außerhalb des Vatikans aufgestellten Truppen um Hilfe anzurufen: so ironisch
gestaltet die gemeine Geschichte manchmal den menschlichen Willen in der
Politik um.
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