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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Leos des Dreizehnter Anfänge.

daß er einmal länger als von neun bis zwölf Uhr in der Vatikanischen Biblio¬
thek sitzen und seine Opfer arbeiten lassen sollte, wollte sich Monsignor Mar-
tinucci halb tot lachen.

So wie sich die Glocken der Peterskirche in Bewegung setzten, folgten
ihnen die sämtlicher Kirchen der Stadt, und die Menge der Neugierigen strömte
auf deu Petersplatz und in die Kirche selbst. Allgemein glaubte man, der
Papst werde vou der äußern Loggia aus nach alter Sitte den Segen erteilen.

Mittlerweile war Caterini in die Sixtinische Kapelle zurückgekehrt, und
der Papst erhob sich, um sich in seine Gemächer zu begeben. Das Kreuz wurde
vorangetragen. Der Zug ging durch die sogenannte ssla, cwvalö, wo die Kon¬
klaviften den Papst sogleich umringten, ihm den Fischerring küßten und ihn um
seinen Segen baten. Er gewährte ihn mit freundlichem Lächeln. Während
er dann die Stufen des Saales unter den Segenswünschen der Konklaviften
hinanstieg, stimmte er mit schluchzender Stimme die lateinische Formel an: Der
Name des Herrn sei gelobt.

Der Papst, die Kardinäle und die Konklaviften konnten nnn endlich daran
denken, etwas zu essen, und so trat eine Pause in der Entwicklung der ganzen
Ereignisse ein.

Vom Vatikan aus beobachtete man die Vorgänge auf dem Petersplatze
selbstverständlich mit dem gespanntesten Interesse. In der ungeheuern, dort
versammelten Menschenmenge war nichts zu bemerken, was auf eine feindliche
oder auch nur mißgünstige Stimmung schließen ließ; ja der Papst rief, als er
die Menschen betrachtete, die Kopf an Kopf gedrängt auf der ungeheuern Treppe,
welche zu der Kirche herausführt, dem weiten Raume zwischen den Arkaden und
in den Säulengängen selbst, schweigend sein Erscheinen erwarteten, gerührt aus:
Seht, wie sehr das gute Volk an den Päpsten hängt!

Aber nicht nur auf dem Platze war keine Feindseligkeit vorhanden, sondern
die italienische Regierung hatte sogar daran gedacht, wie man sich zu verhalten
habe, wenn sich der zu erwählende Papst außerhalb des Vatikans zeige, das
heißt wenn mit der Fabel der Gefangenschaft in dem engen vatikanischen
Kerker -- in welchem sich, nebenbei bemerkt, etwa elftausend Säle oder Zimmer
befinden, und dessen Gesamtumfang ebenso groß ist, als der der Stadt Turin
in den dreißiger Jahren war, selbstverständlich die ausgedehnten herrlichen
Gartenanlagen mitgerechnet -- endgiltig gebrochen würde: der Kriegsminister
Mezzacapo hatte Seiner königlichen Hoheit dem Herzoge von Aosta als Kom¬
mandanten des siebenten Armeekorps mitgeteilt, daß er im Interesse der mög¬
lichsten Beschleunigung der Sache dein Kommandeur der in Rom stationirten
Division den Befehl erteilt habe, dem Papste bei öffentlichem Erscheinen könig¬
liche Ehren von den Soldaten erweisen zu lassen. Jeder Soldat mußte bei
seinem Anblicke in einer Entfernung von zehn Metern von seiner Person Halt
machen und grüßen; jede im Marsch begriffene Truppenabteilung hatte sofort


Leos des Dreizehnter Anfänge.

daß er einmal länger als von neun bis zwölf Uhr in der Vatikanischen Biblio¬
thek sitzen und seine Opfer arbeiten lassen sollte, wollte sich Monsignor Mar-
tinucci halb tot lachen.

So wie sich die Glocken der Peterskirche in Bewegung setzten, folgten
ihnen die sämtlicher Kirchen der Stadt, und die Menge der Neugierigen strömte
auf deu Petersplatz und in die Kirche selbst. Allgemein glaubte man, der
Papst werde vou der äußern Loggia aus nach alter Sitte den Segen erteilen.

Mittlerweile war Caterini in die Sixtinische Kapelle zurückgekehrt, und
der Papst erhob sich, um sich in seine Gemächer zu begeben. Das Kreuz wurde
vorangetragen. Der Zug ging durch die sogenannte ssla, cwvalö, wo die Kon¬
klaviften den Papst sogleich umringten, ihm den Fischerring küßten und ihn um
seinen Segen baten. Er gewährte ihn mit freundlichem Lächeln. Während
er dann die Stufen des Saales unter den Segenswünschen der Konklaviften
hinanstieg, stimmte er mit schluchzender Stimme die lateinische Formel an: Der
Name des Herrn sei gelobt.

Der Papst, die Kardinäle und die Konklaviften konnten nnn endlich daran
denken, etwas zu essen, und so trat eine Pause in der Entwicklung der ganzen
Ereignisse ein.

Vom Vatikan aus beobachtete man die Vorgänge auf dem Petersplatze
selbstverständlich mit dem gespanntesten Interesse. In der ungeheuern, dort
versammelten Menschenmenge war nichts zu bemerken, was auf eine feindliche
oder auch nur mißgünstige Stimmung schließen ließ; ja der Papst rief, als er
die Menschen betrachtete, die Kopf an Kopf gedrängt auf der ungeheuern Treppe,
welche zu der Kirche herausführt, dem weiten Raume zwischen den Arkaden und
in den Säulengängen selbst, schweigend sein Erscheinen erwarteten, gerührt aus:
Seht, wie sehr das gute Volk an den Päpsten hängt!

Aber nicht nur auf dem Platze war keine Feindseligkeit vorhanden, sondern
die italienische Regierung hatte sogar daran gedacht, wie man sich zu verhalten
habe, wenn sich der zu erwählende Papst außerhalb des Vatikans zeige, das
heißt wenn mit der Fabel der Gefangenschaft in dem engen vatikanischen
Kerker — in welchem sich, nebenbei bemerkt, etwa elftausend Säle oder Zimmer
befinden, und dessen Gesamtumfang ebenso groß ist, als der der Stadt Turin
in den dreißiger Jahren war, selbstverständlich die ausgedehnten herrlichen
Gartenanlagen mitgerechnet — endgiltig gebrochen würde: der Kriegsminister
Mezzacapo hatte Seiner königlichen Hoheit dem Herzoge von Aosta als Kom¬
mandanten des siebenten Armeekorps mitgeteilt, daß er im Interesse der mög¬
lichsten Beschleunigung der Sache dein Kommandeur der in Rom stationirten
Division den Befehl erteilt habe, dem Papste bei öffentlichem Erscheinen könig¬
liche Ehren von den Soldaten erweisen zu lassen. Jeder Soldat mußte bei
seinem Anblicke in einer Entfernung von zehn Metern von seiner Person Halt
machen und grüßen; jede im Marsch begriffene Truppenabteilung hatte sofort


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[0527] Leos des Dreizehnter Anfänge. daß er einmal länger als von neun bis zwölf Uhr in der Vatikanischen Biblio¬ thek sitzen und seine Opfer arbeiten lassen sollte, wollte sich Monsignor Mar- tinucci halb tot lachen. So wie sich die Glocken der Peterskirche in Bewegung setzten, folgten ihnen die sämtlicher Kirchen der Stadt, und die Menge der Neugierigen strömte auf deu Petersplatz und in die Kirche selbst. Allgemein glaubte man, der Papst werde vou der äußern Loggia aus nach alter Sitte den Segen erteilen. Mittlerweile war Caterini in die Sixtinische Kapelle zurückgekehrt, und der Papst erhob sich, um sich in seine Gemächer zu begeben. Das Kreuz wurde vorangetragen. Der Zug ging durch die sogenannte ssla, cwvalö, wo die Kon¬ klaviften den Papst sogleich umringten, ihm den Fischerring küßten und ihn um seinen Segen baten. Er gewährte ihn mit freundlichem Lächeln. Während er dann die Stufen des Saales unter den Segenswünschen der Konklaviften hinanstieg, stimmte er mit schluchzender Stimme die lateinische Formel an: Der Name des Herrn sei gelobt. Der Papst, die Kardinäle und die Konklaviften konnten nnn endlich daran denken, etwas zu essen, und so trat eine Pause in der Entwicklung der ganzen Ereignisse ein. Vom Vatikan aus beobachtete man die Vorgänge auf dem Petersplatze selbstverständlich mit dem gespanntesten Interesse. In der ungeheuern, dort versammelten Menschenmenge war nichts zu bemerken, was auf eine feindliche oder auch nur mißgünstige Stimmung schließen ließ; ja der Papst rief, als er die Menschen betrachtete, die Kopf an Kopf gedrängt auf der ungeheuern Treppe, welche zu der Kirche herausführt, dem weiten Raume zwischen den Arkaden und in den Säulengängen selbst, schweigend sein Erscheinen erwarteten, gerührt aus: Seht, wie sehr das gute Volk an den Päpsten hängt! Aber nicht nur auf dem Platze war keine Feindseligkeit vorhanden, sondern die italienische Regierung hatte sogar daran gedacht, wie man sich zu verhalten habe, wenn sich der zu erwählende Papst außerhalb des Vatikans zeige, das heißt wenn mit der Fabel der Gefangenschaft in dem engen vatikanischen Kerker — in welchem sich, nebenbei bemerkt, etwa elftausend Säle oder Zimmer befinden, und dessen Gesamtumfang ebenso groß ist, als der der Stadt Turin in den dreißiger Jahren war, selbstverständlich die ausgedehnten herrlichen Gartenanlagen mitgerechnet — endgiltig gebrochen würde: der Kriegsminister Mezzacapo hatte Seiner königlichen Hoheit dem Herzoge von Aosta als Kom¬ mandanten des siebenten Armeekorps mitgeteilt, daß er im Interesse der mög¬ lichsten Beschleunigung der Sache dein Kommandeur der in Rom stationirten Division den Befehl erteilt habe, dem Papste bei öffentlichem Erscheinen könig¬ liche Ehren von den Soldaten erweisen zu lassen. Jeder Soldat mußte bei seinem Anblicke in einer Entfernung von zehn Metern von seiner Person Halt machen und grüßen; jede im Marsch begriffene Truppenabteilung hatte sofort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/527>, abgerufen am 23.07.2024.