Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Geschichte der Nationalliberalen.

einigte Landtag von 1847 jene andre Strömung wieder verstärkte. Allein noch
in der deutschen Nationalversammlung erntete ein preußischer Abgeordneter,
der in den endlosen Verhandlungen über die Zentralgewalt beantragte, diese der
Krone Preußen zu übertragen, nur schallendes Hohngelächter. Der Mann hat
freilich seine Rechtfertigung nicht erlebt, aber es ist billig, ihn der Vergangen¬
heit zu entreißen. Braun hieß er. Das Schicksal seines Antrages wird ihn
schwerlich überrascht haben. Stand man doch thatsächlich auf revolutionärem
Boden, die Versammlung war eine Schöpfung des Vorparlaments, das selbst
wieder das Kind der von niemand bevollmächtigen Versammlung zu Heidelberg
gewesen war; Gagern hielt noch eine Entschuldigung für notwendig, daß er
einen Reichsverweser aus fürstlichem Hause vorzuschlagen wagte; und vollends
Preußen erfreute sich damals nur sehr geringer Sympathien. Verhängnisvoller
war allerdings, daß "Kasino" und "Würtenberger Hof," aus welchen dann die
Kleindeutsche Partei hervorgehen sollte, zwar sehr viele ehrliche, nationalgesinnte,
gelehrte und beredte Mitglieder zählten, aber sehr wenige Staatsmänner, und
daß auch diese wenigen, wie Mathh, nicht zur vollen Geltung kamen. schlug
doch Welcker noch 1849 für das Rcichsoberhanpt einen sechsjährigen Wechsel
vor! Der Vorwurf, zu doktrinär gewesen zu sein, die Zeit, in welcher die Be¬
schlüsse der Nationalversammlung kaum irgendeinem Widerstande begegneten und
daher ein Rechtsboden und eine Machtsphäre für dieselbe geschaffen werden
konnten, mit Reden über die Grundrechte vergeudet zu haben, endlich eine Krone
vergeben zu haben, deren Annahme mindestens höchst zweifelhaft war -- diese
und andre Vorwürfe trafen auch die erbkaiserliche Partei. Doch mußte der
Billigdenkende berücksichtigen, daß die Mäuner, welche abgesandt worden waren,
"des Vaterlands Größe, des Vaterlands Glück dem Volke zurückzubringen,"
wie die Aufschrift in der Paulskirche mahnte, zum allergrößten Teile dem
Studenten gliche", der piUÄg-rg,Mos wohl einstudirt hat, aber dnrch den ersten
Fall, ihren Inhalt praktisch zu verwerten, in die peinlichste Verlegenheit ge¬
bracht wird. Auch waren es nicht solche Vorwürfe, die den Altliberalen nach
dem Scheitern des Verfassungswerkes von beiden Seiten zugeschlendert wurden.
Auf der äußersten Rechten hatte man überhaupt sür die nationale Bewegung
nie viel übrig gehabt, immer über die "Kuhblume," die dreifarbige Kokarde,
gespottet; die Republikaner aber, die, was oft vergessen wird, schon damals
mit den Ultramontanen verbündet waren, höhnten über die Charakterlosen,
welche das unbedacht abgegebene Versprechen, an der Reichsverfassung festhalten
zu wollen, nicht mehr als bindend betrachteten, weil diese Verfassung ein wert¬
loses Papier, oder sagen wir: ein geschichtliches Dokument geworden war.

Die nächsten Jahre nach 1849 brachten der Partei die bittersten Er¬
fahrungen. Alle Opfer waren umsonst gewesen, Manteuffel wich vor den In¬
triguen Beusts und den Drohungen Schwarzenbergs zurück, der ganze nationale
Aufschwung sollte ein Traum gewesen sein, und die alles daran gesetzt hatten,


Zur Geschichte der Nationalliberalen.

einigte Landtag von 1847 jene andre Strömung wieder verstärkte. Allein noch
in der deutschen Nationalversammlung erntete ein preußischer Abgeordneter,
der in den endlosen Verhandlungen über die Zentralgewalt beantragte, diese der
Krone Preußen zu übertragen, nur schallendes Hohngelächter. Der Mann hat
freilich seine Rechtfertigung nicht erlebt, aber es ist billig, ihn der Vergangen¬
heit zu entreißen. Braun hieß er. Das Schicksal seines Antrages wird ihn
schwerlich überrascht haben. Stand man doch thatsächlich auf revolutionärem
Boden, die Versammlung war eine Schöpfung des Vorparlaments, das selbst
wieder das Kind der von niemand bevollmächtigen Versammlung zu Heidelberg
gewesen war; Gagern hielt noch eine Entschuldigung für notwendig, daß er
einen Reichsverweser aus fürstlichem Hause vorzuschlagen wagte; und vollends
Preußen erfreute sich damals nur sehr geringer Sympathien. Verhängnisvoller
war allerdings, daß „Kasino" und „Würtenberger Hof," aus welchen dann die
Kleindeutsche Partei hervorgehen sollte, zwar sehr viele ehrliche, nationalgesinnte,
gelehrte und beredte Mitglieder zählten, aber sehr wenige Staatsmänner, und
daß auch diese wenigen, wie Mathh, nicht zur vollen Geltung kamen. schlug
doch Welcker noch 1849 für das Rcichsoberhanpt einen sechsjährigen Wechsel
vor! Der Vorwurf, zu doktrinär gewesen zu sein, die Zeit, in welcher die Be¬
schlüsse der Nationalversammlung kaum irgendeinem Widerstande begegneten und
daher ein Rechtsboden und eine Machtsphäre für dieselbe geschaffen werden
konnten, mit Reden über die Grundrechte vergeudet zu haben, endlich eine Krone
vergeben zu haben, deren Annahme mindestens höchst zweifelhaft war — diese
und andre Vorwürfe trafen auch die erbkaiserliche Partei. Doch mußte der
Billigdenkende berücksichtigen, daß die Mäuner, welche abgesandt worden waren,
„des Vaterlands Größe, des Vaterlands Glück dem Volke zurückzubringen,"
wie die Aufschrift in der Paulskirche mahnte, zum allergrößten Teile dem
Studenten gliche», der piUÄg-rg,Mos wohl einstudirt hat, aber dnrch den ersten
Fall, ihren Inhalt praktisch zu verwerten, in die peinlichste Verlegenheit ge¬
bracht wird. Auch waren es nicht solche Vorwürfe, die den Altliberalen nach
dem Scheitern des Verfassungswerkes von beiden Seiten zugeschlendert wurden.
Auf der äußersten Rechten hatte man überhaupt sür die nationale Bewegung
nie viel übrig gehabt, immer über die „Kuhblume," die dreifarbige Kokarde,
gespottet; die Republikaner aber, die, was oft vergessen wird, schon damals
mit den Ultramontanen verbündet waren, höhnten über die Charakterlosen,
welche das unbedacht abgegebene Versprechen, an der Reichsverfassung festhalten
zu wollen, nicht mehr als bindend betrachteten, weil diese Verfassung ein wert¬
loses Papier, oder sagen wir: ein geschichtliches Dokument geworden war.

Die nächsten Jahre nach 1849 brachten der Partei die bittersten Er¬
fahrungen. Alle Opfer waren umsonst gewesen, Manteuffel wich vor den In¬
triguen Beusts und den Drohungen Schwarzenbergs zurück, der ganze nationale
Aufschwung sollte ein Traum gewesen sein, und die alles daran gesetzt hatten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0517" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200622"/>
          <fw type="header" place="top"> Zur Geschichte der Nationalliberalen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1610" prev="#ID_1609"> einigte Landtag von 1847 jene andre Strömung wieder verstärkte. Allein noch<lb/>
in der deutschen Nationalversammlung erntete ein preußischer Abgeordneter,<lb/>
der in den endlosen Verhandlungen über die Zentralgewalt beantragte, diese der<lb/>
Krone Preußen zu übertragen, nur schallendes Hohngelächter. Der Mann hat<lb/>
freilich seine Rechtfertigung nicht erlebt, aber es ist billig, ihn der Vergangen¬<lb/>
heit zu entreißen. Braun hieß er. Das Schicksal seines Antrages wird ihn<lb/>
schwerlich überrascht haben. Stand man doch thatsächlich auf revolutionärem<lb/>
Boden, die Versammlung war eine Schöpfung des Vorparlaments, das selbst<lb/>
wieder das Kind der von niemand bevollmächtigen Versammlung zu Heidelberg<lb/>
gewesen war; Gagern hielt noch eine Entschuldigung für notwendig, daß er<lb/>
einen Reichsverweser aus fürstlichem Hause vorzuschlagen wagte; und vollends<lb/>
Preußen erfreute sich damals nur sehr geringer Sympathien. Verhängnisvoller<lb/>
war allerdings, daß &#x201E;Kasino" und &#x201E;Würtenberger Hof," aus welchen dann die<lb/>
Kleindeutsche Partei hervorgehen sollte, zwar sehr viele ehrliche, nationalgesinnte,<lb/>
gelehrte und beredte Mitglieder zählten, aber sehr wenige Staatsmänner, und<lb/>
daß auch diese wenigen, wie Mathh, nicht zur vollen Geltung kamen. schlug<lb/>
doch Welcker noch 1849 für das Rcichsoberhanpt einen sechsjährigen Wechsel<lb/>
vor! Der Vorwurf, zu doktrinär gewesen zu sein, die Zeit, in welcher die Be¬<lb/>
schlüsse der Nationalversammlung kaum irgendeinem Widerstande begegneten und<lb/>
daher ein Rechtsboden und eine Machtsphäre für dieselbe geschaffen werden<lb/>
konnten, mit Reden über die Grundrechte vergeudet zu haben, endlich eine Krone<lb/>
vergeben zu haben, deren Annahme mindestens höchst zweifelhaft war &#x2014; diese<lb/>
und andre Vorwürfe trafen auch die erbkaiserliche Partei. Doch mußte der<lb/>
Billigdenkende berücksichtigen, daß die Mäuner, welche abgesandt worden waren,<lb/>
&#x201E;des Vaterlands Größe, des Vaterlands Glück dem Volke zurückzubringen,"<lb/>
wie die Aufschrift in der Paulskirche mahnte, zum allergrößten Teile dem<lb/>
Studenten gliche», der piUÄg-rg,Mos wohl einstudirt hat, aber dnrch den ersten<lb/>
Fall, ihren Inhalt praktisch zu verwerten, in die peinlichste Verlegenheit ge¬<lb/>
bracht wird. Auch waren es nicht solche Vorwürfe, die den Altliberalen nach<lb/>
dem Scheitern des Verfassungswerkes von beiden Seiten zugeschlendert wurden.<lb/>
Auf der äußersten Rechten hatte man überhaupt sür die nationale Bewegung<lb/>
nie viel übrig gehabt, immer über die &#x201E;Kuhblume," die dreifarbige Kokarde,<lb/>
gespottet; die Republikaner aber, die, was oft vergessen wird, schon damals<lb/>
mit den Ultramontanen verbündet waren, höhnten über die Charakterlosen,<lb/>
welche das unbedacht abgegebene Versprechen, an der Reichsverfassung festhalten<lb/>
zu wollen, nicht mehr als bindend betrachteten, weil diese Verfassung ein wert¬<lb/>
loses Papier, oder sagen wir: ein geschichtliches Dokument geworden war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1611" next="#ID_1612"> Die nächsten Jahre nach 1849 brachten der Partei die bittersten Er¬<lb/>
fahrungen. Alle Opfer waren umsonst gewesen, Manteuffel wich vor den In¬<lb/>
triguen Beusts und den Drohungen Schwarzenbergs zurück, der ganze nationale<lb/>
Aufschwung sollte ein Traum gewesen sein, und die alles daran gesetzt hatten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0517] Zur Geschichte der Nationalliberalen. einigte Landtag von 1847 jene andre Strömung wieder verstärkte. Allein noch in der deutschen Nationalversammlung erntete ein preußischer Abgeordneter, der in den endlosen Verhandlungen über die Zentralgewalt beantragte, diese der Krone Preußen zu übertragen, nur schallendes Hohngelächter. Der Mann hat freilich seine Rechtfertigung nicht erlebt, aber es ist billig, ihn der Vergangen¬ heit zu entreißen. Braun hieß er. Das Schicksal seines Antrages wird ihn schwerlich überrascht haben. Stand man doch thatsächlich auf revolutionärem Boden, die Versammlung war eine Schöpfung des Vorparlaments, das selbst wieder das Kind der von niemand bevollmächtigen Versammlung zu Heidelberg gewesen war; Gagern hielt noch eine Entschuldigung für notwendig, daß er einen Reichsverweser aus fürstlichem Hause vorzuschlagen wagte; und vollends Preußen erfreute sich damals nur sehr geringer Sympathien. Verhängnisvoller war allerdings, daß „Kasino" und „Würtenberger Hof," aus welchen dann die Kleindeutsche Partei hervorgehen sollte, zwar sehr viele ehrliche, nationalgesinnte, gelehrte und beredte Mitglieder zählten, aber sehr wenige Staatsmänner, und daß auch diese wenigen, wie Mathh, nicht zur vollen Geltung kamen. schlug doch Welcker noch 1849 für das Rcichsoberhanpt einen sechsjährigen Wechsel vor! Der Vorwurf, zu doktrinär gewesen zu sein, die Zeit, in welcher die Be¬ schlüsse der Nationalversammlung kaum irgendeinem Widerstande begegneten und daher ein Rechtsboden und eine Machtsphäre für dieselbe geschaffen werden konnten, mit Reden über die Grundrechte vergeudet zu haben, endlich eine Krone vergeben zu haben, deren Annahme mindestens höchst zweifelhaft war — diese und andre Vorwürfe trafen auch die erbkaiserliche Partei. Doch mußte der Billigdenkende berücksichtigen, daß die Mäuner, welche abgesandt worden waren, „des Vaterlands Größe, des Vaterlands Glück dem Volke zurückzubringen," wie die Aufschrift in der Paulskirche mahnte, zum allergrößten Teile dem Studenten gliche», der piUÄg-rg,Mos wohl einstudirt hat, aber dnrch den ersten Fall, ihren Inhalt praktisch zu verwerten, in die peinlichste Verlegenheit ge¬ bracht wird. Auch waren es nicht solche Vorwürfe, die den Altliberalen nach dem Scheitern des Verfassungswerkes von beiden Seiten zugeschlendert wurden. Auf der äußersten Rechten hatte man überhaupt sür die nationale Bewegung nie viel übrig gehabt, immer über die „Kuhblume," die dreifarbige Kokarde, gespottet; die Republikaner aber, die, was oft vergessen wird, schon damals mit den Ultramontanen verbündet waren, höhnten über die Charakterlosen, welche das unbedacht abgegebene Versprechen, an der Reichsverfassung festhalten zu wollen, nicht mehr als bindend betrachteten, weil diese Verfassung ein wert¬ loses Papier, oder sagen wir: ein geschichtliches Dokument geworden war. Die nächsten Jahre nach 1849 brachten der Partei die bittersten Er¬ fahrungen. Alle Opfer waren umsonst gewesen, Manteuffel wich vor den In¬ triguen Beusts und den Drohungen Schwarzenbergs zurück, der ganze nationale Aufschwung sollte ein Traum gewesen sein, und die alles daran gesetzt hatten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/517
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/517>, abgerufen am 01.07.2024.