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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Programms den größten Wert legte. Es war dies ein Erbteil des Liberalis¬
mus früherer Zeit. Als Hauptvcvtreter dieser Richtung konnte der Abgeordnete
Laster gelten. Die zweite jener Eigenschaften aber war ein persönlicher Ehr¬
geiz, welcher in dem Maße des Einflusses, den die Partei übte, keine aus¬
reichende Befriedigung fand. Lange Zeit war diese Richtung nur latent. Sie
wurde frei, als zu Anfang des Jahres 1878 der Eintritt Bennigscns in das
Ministerium in Aussicht gestellt war. Von da an hat sie fortgewirkt und, wie
wir glaube", wesentlich zu der Sprengung der Partei beigetragen. Oder wie
sollen wir es sonst erklären, daß begabte Männer heute unter der Führung
Richters völlig im Gegensatze zu dem plädiren, was sie noch vor sieben oder
acht Jahren unter der Führung Bcunigsens platirt haben? Aber auch schon
vor 1878 waren diese Elemente der Partei auf das Gesamtverhalten derselben
keineswegs ohne Einfluß. Namentlich nahm der Abgeordnete Laster lange Zeit
eine fast herrschende Stellung ein. Auch Herr von Bennigsen, welcher nach
außen als das Haupt der Partei galt und ohne Zweifel dem rechten Flügel
angehörte, entzog sich nicht ganz diesem Einfluß und vermied es, gegen die Be¬
strebungen des linke" Flügels mit Entschiedenheit aufzutreten. Er mochte dabei
von dem gewiß berechtigten Wunsche geleitet werden, die Partei möglichst zu¬
sammenzuhalten, zumal da auf dem linken Flügel vorzügliche Redekräfte vor¬
handen waren.

Die hier geschilderten Schwierigkeiten werden nun heute in der Partei
weit weniger bestehen. Durch die Lostrennung der Sezessionisten ist die Partei
in sich selbst gleichartiger geworden, und die Führer werden sich durch ungleiche
Elemente weniger zu Schwankungen hingezogen fühlen. Freilich hat die Partei
durch jene Trennung eine Anzahl hervorragender Redner verloren, die ihr bisher
kaum ersetzt worden sind. Schließlich hängt aber die Bedeutung einer Partei
doch nicht davon ab, ob etwas mehr oder minder glänzende Reden aus ihrer
Mitte gehalten werden.

Schwieriger aber ist die Stellung der Partei dadurch geworden, daß den
heftigen Angriffen gegenüber, die sie von linker Seite erfahren hat, es für sie
schwer geworden ist, ihre Unbefangenheit ganz zu bewahren. Man hat ihr
"Verrat an der liberalen Sache" vorgeworfen und sie mit der Schmähung,
"daß sie gar keine liberale Partei mehr sei," heimgesucht. Ließe sich dadurch
die Partei verleiten, nun doch zeigen zu wollen, daß sie "vor allem eine liberale
Partei" sei, so fürchten wir, daß sich Fehler ähnlicher Art einstellen könnten,
wie sie früher vorgekommen sind. Wir haben schon neulich in diesen Blättern
(Heft 45, 1886) unter der Rubrik "Liberal und konservativ" auszuführen ge¬
sucht, daß der Gegensatz von liberal und konservativ in unsern heutigen Ver¬
hältnissen seine entscheidende Bedeutung verloren hat. Fast alles, was vor
einem Vierteljahrhundert die Liberalen ans ihr Programm geschrieben hatten,
ist inzwischen erreicht worden. Was davon nicht erreicht worden ist, ist jeden-


Programms den größten Wert legte. Es war dies ein Erbteil des Liberalis¬
mus früherer Zeit. Als Hauptvcvtreter dieser Richtung konnte der Abgeordnete
Laster gelten. Die zweite jener Eigenschaften aber war ein persönlicher Ehr¬
geiz, welcher in dem Maße des Einflusses, den die Partei übte, keine aus¬
reichende Befriedigung fand. Lange Zeit war diese Richtung nur latent. Sie
wurde frei, als zu Anfang des Jahres 1878 der Eintritt Bennigscns in das
Ministerium in Aussicht gestellt war. Von da an hat sie fortgewirkt und, wie
wir glaube», wesentlich zu der Sprengung der Partei beigetragen. Oder wie
sollen wir es sonst erklären, daß begabte Männer heute unter der Führung
Richters völlig im Gegensatze zu dem plädiren, was sie noch vor sieben oder
acht Jahren unter der Führung Bcunigsens platirt haben? Aber auch schon
vor 1878 waren diese Elemente der Partei auf das Gesamtverhalten derselben
keineswegs ohne Einfluß. Namentlich nahm der Abgeordnete Laster lange Zeit
eine fast herrschende Stellung ein. Auch Herr von Bennigsen, welcher nach
außen als das Haupt der Partei galt und ohne Zweifel dem rechten Flügel
angehörte, entzog sich nicht ganz diesem Einfluß und vermied es, gegen die Be¬
strebungen des linke» Flügels mit Entschiedenheit aufzutreten. Er mochte dabei
von dem gewiß berechtigten Wunsche geleitet werden, die Partei möglichst zu¬
sammenzuhalten, zumal da auf dem linken Flügel vorzügliche Redekräfte vor¬
handen waren.

Die hier geschilderten Schwierigkeiten werden nun heute in der Partei
weit weniger bestehen. Durch die Lostrennung der Sezessionisten ist die Partei
in sich selbst gleichartiger geworden, und die Führer werden sich durch ungleiche
Elemente weniger zu Schwankungen hingezogen fühlen. Freilich hat die Partei
durch jene Trennung eine Anzahl hervorragender Redner verloren, die ihr bisher
kaum ersetzt worden sind. Schließlich hängt aber die Bedeutung einer Partei
doch nicht davon ab, ob etwas mehr oder minder glänzende Reden aus ihrer
Mitte gehalten werden.

Schwieriger aber ist die Stellung der Partei dadurch geworden, daß den
heftigen Angriffen gegenüber, die sie von linker Seite erfahren hat, es für sie
schwer geworden ist, ihre Unbefangenheit ganz zu bewahren. Man hat ihr
„Verrat an der liberalen Sache" vorgeworfen und sie mit der Schmähung,
„daß sie gar keine liberale Partei mehr sei," heimgesucht. Ließe sich dadurch
die Partei verleiten, nun doch zeigen zu wollen, daß sie „vor allem eine liberale
Partei" sei, so fürchten wir, daß sich Fehler ähnlicher Art einstellen könnten,
wie sie früher vorgekommen sind. Wir haben schon neulich in diesen Blättern
(Heft 45, 1886) unter der Rubrik „Liberal und konservativ" auszuführen ge¬
sucht, daß der Gegensatz von liberal und konservativ in unsern heutigen Ver¬
hältnissen seine entscheidende Bedeutung verloren hat. Fast alles, was vor
einem Vierteljahrhundert die Liberalen ans ihr Programm geschrieben hatten,
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[0514] Programms den größten Wert legte. Es war dies ein Erbteil des Liberalis¬ mus früherer Zeit. Als Hauptvcvtreter dieser Richtung konnte der Abgeordnete Laster gelten. Die zweite jener Eigenschaften aber war ein persönlicher Ehr¬ geiz, welcher in dem Maße des Einflusses, den die Partei übte, keine aus¬ reichende Befriedigung fand. Lange Zeit war diese Richtung nur latent. Sie wurde frei, als zu Anfang des Jahres 1878 der Eintritt Bennigscns in das Ministerium in Aussicht gestellt war. Von da an hat sie fortgewirkt und, wie wir glaube», wesentlich zu der Sprengung der Partei beigetragen. Oder wie sollen wir es sonst erklären, daß begabte Männer heute unter der Führung Richters völlig im Gegensatze zu dem plädiren, was sie noch vor sieben oder acht Jahren unter der Führung Bcunigsens platirt haben? Aber auch schon vor 1878 waren diese Elemente der Partei auf das Gesamtverhalten derselben keineswegs ohne Einfluß. Namentlich nahm der Abgeordnete Laster lange Zeit eine fast herrschende Stellung ein. Auch Herr von Bennigsen, welcher nach außen als das Haupt der Partei galt und ohne Zweifel dem rechten Flügel angehörte, entzog sich nicht ganz diesem Einfluß und vermied es, gegen die Be¬ strebungen des linke» Flügels mit Entschiedenheit aufzutreten. Er mochte dabei von dem gewiß berechtigten Wunsche geleitet werden, die Partei möglichst zu¬ sammenzuhalten, zumal da auf dem linken Flügel vorzügliche Redekräfte vor¬ handen waren. Die hier geschilderten Schwierigkeiten werden nun heute in der Partei weit weniger bestehen. Durch die Lostrennung der Sezessionisten ist die Partei in sich selbst gleichartiger geworden, und die Führer werden sich durch ungleiche Elemente weniger zu Schwankungen hingezogen fühlen. Freilich hat die Partei durch jene Trennung eine Anzahl hervorragender Redner verloren, die ihr bisher kaum ersetzt worden sind. Schließlich hängt aber die Bedeutung einer Partei doch nicht davon ab, ob etwas mehr oder minder glänzende Reden aus ihrer Mitte gehalten werden. Schwieriger aber ist die Stellung der Partei dadurch geworden, daß den heftigen Angriffen gegenüber, die sie von linker Seite erfahren hat, es für sie schwer geworden ist, ihre Unbefangenheit ganz zu bewahren. Man hat ihr „Verrat an der liberalen Sache" vorgeworfen und sie mit der Schmähung, „daß sie gar keine liberale Partei mehr sei," heimgesucht. Ließe sich dadurch die Partei verleiten, nun doch zeigen zu wollen, daß sie „vor allem eine liberale Partei" sei, so fürchten wir, daß sich Fehler ähnlicher Art einstellen könnten, wie sie früher vorgekommen sind. Wir haben schon neulich in diesen Blättern (Heft 45, 1886) unter der Rubrik „Liberal und konservativ" auszuführen ge¬ sucht, daß der Gegensatz von liberal und konservativ in unsern heutigen Ver¬ hältnissen seine entscheidende Bedeutung verloren hat. Fast alles, was vor einem Vierteljahrhundert die Liberalen ans ihr Programm geschrieben hatten, ist inzwischen erreicht worden. Was davon nicht erreicht worden ist, ist jeden-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/514>, abgerufen am 22.12.2024.