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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Zunahme der Rohheit in Deutschland.

Auch ein andres Blatt der Rheinprovinz, der " Düsseldorfer Anzeiger,"
führte vor kurzem bittere Klage darüber, daß in Fällen, wo ein Unrecht nach
dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl wegen der gemeinen Gesinnung des Thäters
strengere Strafe verdient habe, die Gerichte eine mildere Strafe ausgesprochen
hätten. Diese Äußerung zweier verbreiteten Zeitungen der Rheinprovinz ist ein
Zeugnis dafür, daß man nicht nur in juristischen, sondern auch in Laienkreisen
die Milde der Rechtspflege nachgerade als das erkennt, was sie ist, als eine
drohende Gefährdung der Grundlagen des staatlichen und gesellschaftlichen
Lebens.

Die milde Bestrafung der Körperverletzungen, insbesondre der gefährlichen,
wird in hervorragendem Maße dadurch gefördert, daß der Richter der Trunken¬
heit einen strafmildernden Einfluß beimißt, der ihr in keiner Weise gebührt. Wir
wollen auf die schwierige Frage, ob nicht die Gesetzgebung zu bestimmen habe,
daß die Trunkenheit sowohl als Strafausschließungs- wie Strafmilderungsgrund
zu beseitigen sei, hier nicht näher eingehen; für einen unbedingten Ausschluß in
beiderlei Richtung möchte ein Kriminalist Wohl schwerlich eintreten. Dagegen ist
es nicht zweifelhaft, daß die Gerichte in der Anerkennung als strafmildernden
Umstandes viel zu weit gehen und infolge einer unrichtigen Auffassung des
Strafgesetzbuches § 51 sie auch in solchen Fällen zu Gunsten des Angeklagten
in die Wagschale werfen, wo ein vernünftiger Grund hierzu anch nicht entfernt
vorhanden ist.*)

Wenn man einfach in dem Umstände, daß jemand in trunkenem Zustande
eine Körperverletzung verübt, schlechthin und ohne nähere Prüfung des Sach¬
verhaltes einen mildernden Umstand erblickt, wie dies in zahllosen Füllen im
neuen Reiche geschieht, dann giebt man dem Trunkenbold, dem Schnapslump,
also dem Menschen, der unter allen Verbrechern am tiefsten steht, einen förm¬
lichen Freibrief zur Verletzung seiner Nebenmenschen, dann ermuntert man ihn,
auch in der Zukunft sich der Völlerei zu ergeben und infolge dessen Körper¬
verletzungen zu verüben. Es muß geradezu als empörend bezeichnet werden, daß
man unterschiedslos die Trunkenheit als mildernden Umstand gelten läßt. Wenn
es in der That der Wille des Gesetzes wäre, auch denjenigen Verbrecher milder
zu bestrafen, welcher weiß, daß er in trunkenem Zustande Rohheiten begeht und
trotzdem sich viehisch betrinkt, dann wäre unser Strafgesetz das Papier nicht
wert, auf dem es gedruckt ist, dann wäre es für den Völkerpsychologen ein schwer



*) Vergl. die Ausführung des Amtsrichters Dr. von Schwarze aus, der Jahresversamm¬
lung des deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke zu Dresden am 23. Mai
1S8S (Bremen, Rousel, 188S): "Ob nicht die Gerichte bei der Aburteilung der hierher ge¬
hörigen Fälle wiederholt von einer nicht völlig zutreffenden Auslegung des angeführten 8 S1
ausgegangen sind und hierbei auch der Trunkenheit eine" zu starken Einfluß auf die Abmessung
der Strafen zugestanden haben, ist eine Frage, die von dem Berein nach seiner Aufgabe und
eiuer Zusammensetzung nicht erörtert werden kann."
Die Zunahme der Rohheit in Deutschland.

Auch ein andres Blatt der Rheinprovinz, der „ Düsseldorfer Anzeiger,"
führte vor kurzem bittere Klage darüber, daß in Fällen, wo ein Unrecht nach
dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl wegen der gemeinen Gesinnung des Thäters
strengere Strafe verdient habe, die Gerichte eine mildere Strafe ausgesprochen
hätten. Diese Äußerung zweier verbreiteten Zeitungen der Rheinprovinz ist ein
Zeugnis dafür, daß man nicht nur in juristischen, sondern auch in Laienkreisen
die Milde der Rechtspflege nachgerade als das erkennt, was sie ist, als eine
drohende Gefährdung der Grundlagen des staatlichen und gesellschaftlichen
Lebens.

Die milde Bestrafung der Körperverletzungen, insbesondre der gefährlichen,
wird in hervorragendem Maße dadurch gefördert, daß der Richter der Trunken¬
heit einen strafmildernden Einfluß beimißt, der ihr in keiner Weise gebührt. Wir
wollen auf die schwierige Frage, ob nicht die Gesetzgebung zu bestimmen habe,
daß die Trunkenheit sowohl als Strafausschließungs- wie Strafmilderungsgrund
zu beseitigen sei, hier nicht näher eingehen; für einen unbedingten Ausschluß in
beiderlei Richtung möchte ein Kriminalist Wohl schwerlich eintreten. Dagegen ist
es nicht zweifelhaft, daß die Gerichte in der Anerkennung als strafmildernden
Umstandes viel zu weit gehen und infolge einer unrichtigen Auffassung des
Strafgesetzbuches § 51 sie auch in solchen Fällen zu Gunsten des Angeklagten
in die Wagschale werfen, wo ein vernünftiger Grund hierzu anch nicht entfernt
vorhanden ist.*)

Wenn man einfach in dem Umstände, daß jemand in trunkenem Zustande
eine Körperverletzung verübt, schlechthin und ohne nähere Prüfung des Sach¬
verhaltes einen mildernden Umstand erblickt, wie dies in zahllosen Füllen im
neuen Reiche geschieht, dann giebt man dem Trunkenbold, dem Schnapslump,
also dem Menschen, der unter allen Verbrechern am tiefsten steht, einen förm¬
lichen Freibrief zur Verletzung seiner Nebenmenschen, dann ermuntert man ihn,
auch in der Zukunft sich der Völlerei zu ergeben und infolge dessen Körper¬
verletzungen zu verüben. Es muß geradezu als empörend bezeichnet werden, daß
man unterschiedslos die Trunkenheit als mildernden Umstand gelten läßt. Wenn
es in der That der Wille des Gesetzes wäre, auch denjenigen Verbrecher milder
zu bestrafen, welcher weiß, daß er in trunkenem Zustande Rohheiten begeht und
trotzdem sich viehisch betrinkt, dann wäre unser Strafgesetz das Papier nicht
wert, auf dem es gedruckt ist, dann wäre es für den Völkerpsychologen ein schwer



*) Vergl. die Ausführung des Amtsrichters Dr. von Schwarze aus, der Jahresversamm¬
lung des deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke zu Dresden am 23. Mai
1S8S (Bremen, Rousel, 188S): „Ob nicht die Gerichte bei der Aburteilung der hierher ge¬
hörigen Fälle wiederholt von einer nicht völlig zutreffenden Auslegung des angeführten 8 S1
ausgegangen sind und hierbei auch der Trunkenheit eine» zu starken Einfluß auf die Abmessung
der Strafen zugestanden haben, ist eine Frage, die von dem Berein nach seiner Aufgabe und
eiuer Zusammensetzung nicht erörtert werden kann."
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[0487] Die Zunahme der Rohheit in Deutschland. Auch ein andres Blatt der Rheinprovinz, der „ Düsseldorfer Anzeiger," führte vor kurzem bittere Klage darüber, daß in Fällen, wo ein Unrecht nach dem allgemeinen Gerechtigkeitsgefühl wegen der gemeinen Gesinnung des Thäters strengere Strafe verdient habe, die Gerichte eine mildere Strafe ausgesprochen hätten. Diese Äußerung zweier verbreiteten Zeitungen der Rheinprovinz ist ein Zeugnis dafür, daß man nicht nur in juristischen, sondern auch in Laienkreisen die Milde der Rechtspflege nachgerade als das erkennt, was sie ist, als eine drohende Gefährdung der Grundlagen des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens. Die milde Bestrafung der Körperverletzungen, insbesondre der gefährlichen, wird in hervorragendem Maße dadurch gefördert, daß der Richter der Trunken¬ heit einen strafmildernden Einfluß beimißt, der ihr in keiner Weise gebührt. Wir wollen auf die schwierige Frage, ob nicht die Gesetzgebung zu bestimmen habe, daß die Trunkenheit sowohl als Strafausschließungs- wie Strafmilderungsgrund zu beseitigen sei, hier nicht näher eingehen; für einen unbedingten Ausschluß in beiderlei Richtung möchte ein Kriminalist Wohl schwerlich eintreten. Dagegen ist es nicht zweifelhaft, daß die Gerichte in der Anerkennung als strafmildernden Umstandes viel zu weit gehen und infolge einer unrichtigen Auffassung des Strafgesetzbuches § 51 sie auch in solchen Fällen zu Gunsten des Angeklagten in die Wagschale werfen, wo ein vernünftiger Grund hierzu anch nicht entfernt vorhanden ist.*) Wenn man einfach in dem Umstände, daß jemand in trunkenem Zustande eine Körperverletzung verübt, schlechthin und ohne nähere Prüfung des Sach¬ verhaltes einen mildernden Umstand erblickt, wie dies in zahllosen Füllen im neuen Reiche geschieht, dann giebt man dem Trunkenbold, dem Schnapslump, also dem Menschen, der unter allen Verbrechern am tiefsten steht, einen förm¬ lichen Freibrief zur Verletzung seiner Nebenmenschen, dann ermuntert man ihn, auch in der Zukunft sich der Völlerei zu ergeben und infolge dessen Körper¬ verletzungen zu verüben. Es muß geradezu als empörend bezeichnet werden, daß man unterschiedslos die Trunkenheit als mildernden Umstand gelten läßt. Wenn es in der That der Wille des Gesetzes wäre, auch denjenigen Verbrecher milder zu bestrafen, welcher weiß, daß er in trunkenem Zustande Rohheiten begeht und trotzdem sich viehisch betrinkt, dann wäre unser Strafgesetz das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt ist, dann wäre es für den Völkerpsychologen ein schwer *) Vergl. die Ausführung des Amtsrichters Dr. von Schwarze aus, der Jahresversamm¬ lung des deutschen Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke zu Dresden am 23. Mai 1S8S (Bremen, Rousel, 188S): „Ob nicht die Gerichte bei der Aburteilung der hierher ge¬ hörigen Fälle wiederholt von einer nicht völlig zutreffenden Auslegung des angeführten 8 S1 ausgegangen sind und hierbei auch der Trunkenheit eine» zu starken Einfluß auf die Abmessung der Strafen zugestanden haben, ist eine Frage, die von dem Berein nach seiner Aufgabe und eiuer Zusammensetzung nicht erörtert werden kann."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/487>, abgerufen am 03.07.2024.