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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Nach den Wahlen.

gefesselt sein, und es darf seine Kräfte nicht in einem Streite mit Österreich
oder England beschäftigt sehen. Ans diesem Grunde wird in den höchsten
Kreisen Rußlands der bulgarischen Frage jetzt weniger Aufmerksamkeit geschenkt,
Rußlands Blick muß vielmehr sich unablässig dem Rheine zuwenden, und es
darf nur geringe Notiz von den platonischen Unterhandlungen nehmen, welche
jetzt ohne irgendwelche Aussicht auf Erfolg in Konstantinopel betrieben werden.
Das wird genügen, um Deutschland zu verhindern, daß es mit derselben Sicher¬
heit wie 1870 handelt, und daß es wie damals seine östliche Grenze von Truppen
entblößt läßt. Auf diese Weise werden die Streitkräfte Deutschlands und Frank¬
reichs ausgeglichen sein.

Dieser Gedankengang kann Beunruhigung erwecken, weil er aus der nächsten
Umgebung eines Staatsmannes zu stammen scheint, welcher bisher als eine
Hauptstütze der guten Beziehung unsers östlichen Nachbars zur Regierung des
deutschen Reiches galt. Allerdings läßt sich der Betrachtung eine Deutung
geben, welche weniger Bedenken einschließt. Die kühle Sprache, in welcher die
bulgarische Angelegenheit erwähnt wird, konnte Schein sein, ja es wäre denkbar,
daß diese Frage gerade die bewegende Ursache des ganzen Vorgehens der Russen
in der Presse wäre. Mau könnte damit die Absicht verfolgen, die deutsche
Politik durch Drohungen von einer auch nur mittelbaren Einmischung in die
Balkanfrage abzubringen, oder man konnte damit einen Vorwnnd aufgegriffen
haben, mit dem sich ein beabsichtigter vorläufiger Rückzug der russischen Politik
in Bulgarien erklären ließe. Diese Vermutungen haben indes wenig Zutreffendes,
und zwar schou deshalb, weil die deutsche Politik in der bulgarischen Frage
bisher nur vermittelt, nicht Partei ergriffen hat, anch nichts vorliegt, woraus
geschlossen werdeu könnte, sie werde in Zukunft andre Wege einschlagen. Ist
der Verdacht gerechtfertigt, daß die erwähnten Äußerungen von Blättern, die
notorisch in Verbindung mit hohen russischen Kreisen stehen, die Meinung und
Absicht dieser Kreise wiederspiegeln, so beginnt unsre in Ur. 6 geäußerte Be¬
fürchtung einzutreffen. Wir haben dann in jenen Äußerungen nicht, was sie
sein wollen, ein Vorgehen zur Sicherung des Friedens, sondern eine Ermutigung
der Franzosen zum Kriege vor uus, dem wir, weil uns ein Sieg über sie keine
genügende Entschädigung für seine Kosten an Blut und Geld und Risiko ver¬
spricht, niemals suchen werden, und zugleich eine Bedrohung Deutschlands.
Man sagt den Franzosen: Ihr könnt es immerhin wagen, denn ihr könnt viel
gewinnen, aber nicht viel verlieren, weil wir das nicht dulden werden. Wir
werden sorgen, daß der Sieger euch schont. Und das wird nur den Franzosen,
die allein an einen Angriff denken, verheißen, nicht auch den Deutschen, den vor¬
aussichtlich Angegriffnen. Die Schwächung der Franzosen ist von Bedeutung, die
Schwächung der Deutschen nicht, die Macht Deutschlands ist ein schwerer Schade
für Nußland, von der Allmacht Frankreichs nach der Niederwerfung seines nächsten
östlichen Nachbars schweigt des Säugers Höflichkeit. Das heißt offen für


Nach den Wahlen.

gefesselt sein, und es darf seine Kräfte nicht in einem Streite mit Österreich
oder England beschäftigt sehen. Ans diesem Grunde wird in den höchsten
Kreisen Rußlands der bulgarischen Frage jetzt weniger Aufmerksamkeit geschenkt,
Rußlands Blick muß vielmehr sich unablässig dem Rheine zuwenden, und es
darf nur geringe Notiz von den platonischen Unterhandlungen nehmen, welche
jetzt ohne irgendwelche Aussicht auf Erfolg in Konstantinopel betrieben werden.
Das wird genügen, um Deutschland zu verhindern, daß es mit derselben Sicher¬
heit wie 1870 handelt, und daß es wie damals seine östliche Grenze von Truppen
entblößt läßt. Auf diese Weise werden die Streitkräfte Deutschlands und Frank¬
reichs ausgeglichen sein.

Dieser Gedankengang kann Beunruhigung erwecken, weil er aus der nächsten
Umgebung eines Staatsmannes zu stammen scheint, welcher bisher als eine
Hauptstütze der guten Beziehung unsers östlichen Nachbars zur Regierung des
deutschen Reiches galt. Allerdings läßt sich der Betrachtung eine Deutung
geben, welche weniger Bedenken einschließt. Die kühle Sprache, in welcher die
bulgarische Angelegenheit erwähnt wird, konnte Schein sein, ja es wäre denkbar,
daß diese Frage gerade die bewegende Ursache des ganzen Vorgehens der Russen
in der Presse wäre. Mau könnte damit die Absicht verfolgen, die deutsche
Politik durch Drohungen von einer auch nur mittelbaren Einmischung in die
Balkanfrage abzubringen, oder man konnte damit einen Vorwnnd aufgegriffen
haben, mit dem sich ein beabsichtigter vorläufiger Rückzug der russischen Politik
in Bulgarien erklären ließe. Diese Vermutungen haben indes wenig Zutreffendes,
und zwar schou deshalb, weil die deutsche Politik in der bulgarischen Frage
bisher nur vermittelt, nicht Partei ergriffen hat, anch nichts vorliegt, woraus
geschlossen werdeu könnte, sie werde in Zukunft andre Wege einschlagen. Ist
der Verdacht gerechtfertigt, daß die erwähnten Äußerungen von Blättern, die
notorisch in Verbindung mit hohen russischen Kreisen stehen, die Meinung und
Absicht dieser Kreise wiederspiegeln, so beginnt unsre in Ur. 6 geäußerte Be¬
fürchtung einzutreffen. Wir haben dann in jenen Äußerungen nicht, was sie
sein wollen, ein Vorgehen zur Sicherung des Friedens, sondern eine Ermutigung
der Franzosen zum Kriege vor uus, dem wir, weil uns ein Sieg über sie keine
genügende Entschädigung für seine Kosten an Blut und Geld und Risiko ver¬
spricht, niemals suchen werden, und zugleich eine Bedrohung Deutschlands.
Man sagt den Franzosen: Ihr könnt es immerhin wagen, denn ihr könnt viel
gewinnen, aber nicht viel verlieren, weil wir das nicht dulden werden. Wir
werden sorgen, daß der Sieger euch schont. Und das wird nur den Franzosen,
die allein an einen Angriff denken, verheißen, nicht auch den Deutschen, den vor¬
aussichtlich Angegriffnen. Die Schwächung der Franzosen ist von Bedeutung, die
Schwächung der Deutschen nicht, die Macht Deutschlands ist ein schwerer Schade
für Nußland, von der Allmacht Frankreichs nach der Niederwerfung seines nächsten
östlichen Nachbars schweigt des Säugers Höflichkeit. Das heißt offen für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/470>, abgerufen am 22.12.2024.