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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Nach den Wahlen.

großen viel Gutes damit erreicht worden. Wir sind mit der Beseitigung der
oppositionellen Mehrheit gegenüber der Militärvorlage, die sich aus verbohrten
Demokraten, ultramontanen Partikularsten, Sozialisten und Rcichsfeinden aus
den Kreisen der Polacken und Talmifranzosen zusammensetzte, einen Alp von
der Brust los geworden. Die Mittelparteien im Verein mit den Konservativen
haben fortan zunächst für einige Jahre in parlamentarischen Angelegenheiten die
Oberhand, und es ist gute Aussicht vorhanden, daß sie ihnen weiter verbleiben
werde, wie fest auch Herr Richter überzeugt sein mag, daß er und sein Gefolge
das Gegenteil zu hoffen haben. Den Löwenanteil am Siege trugen die
Nationalliberalen davon, und wir gönnen ihnen denselben in der Voraussetzung,
daß sie, die seit dem Abzüge der bedenklichen Elemente ihres Lagers unter die
Fahnen Richters nud Virchows eine Partei geworden sind, mit der man wieder
rechnen und wenigstens Kompromisse schließen kann, nicht wieder in alte Fehler
und Irrtümer verfallen, sondern wie beim Entstehen der Partei mehr den Ton
auf die erste als auf die letzte Hälfte ihres Namens legen, wenn es zu Gesetz¬
vorschlägen der Regierung Stellung zu nehmen gilt. Von den zweiundfünfzig
Sitzen, die sie im letzten Reichstage einnahmen, sind sie bereits im ersten Wahl¬
gänge auf einige über siebzig gekommen, und wenn ihnen von den Ergebnissen
der Stichwahlen auch nur ein Drittel zuteil wird, so werden sie der Zahl nach
die zweite, ja vielleicht die erste Stelle im Reichstage einnehmen wie in der Zeit
vor 1879.

Das deutsche Volk hat durch die Wahlen vom 21. Februar dem Verstände
über den Unsinn, der Wahrheit über die Lüge, dem Patriotismus über die
partikularistische und sozialistische Vaterlandslvsigkeit zum Siege verholfen. Es
hat, sagt man, mit der Stellung, die es zum Septennat eingenommen hat,
Deutschland und Europa den Frieden gesichert. Unser Heer wird infolge der
Wahlen in dem Maße verstärkt werden, daß dem Erbfeinde im Westen die
Lust vergehen wird, die lange von ihm vorbereitete Revanche ins Werk zu
setzen, und wir haben anderseits den Franzosen gezeigt, daß der deutsche
Einheitsgedanke und das Vertrauen zu der Weisheit der Reichsregierung die
Mehrheit der Nation um sich geschart sehen. So wahr dies aber auch ist,
so werden in Betreff der Sicherheit des Friedens doch auch jetzt noch einige Be¬
denken gestattet sein. Was wir schon vor vier Wochen schrieben,*) hat sich
seitdem zu bestätigen begonnen. Sehr bald nach unsern dort geäußerten
Zweifeln an der russischen Freundschaft begegnete man in den panslawistischen
Blättern des Zarenreiches der Meinung, daß dieses bei einem deutsch-franzö¬
sischen Kriege durchaus nicht die Rolle von 1870 spielen dürfe, sondern eine
gänzliche Niederwerfung Frankreichs verhindern müsse. Das waren Partei¬
stimmen. In der letzten Woche aber folgten Kundgebungen ähnlichen Sinnes,



") In dem Artikel "Die Kriegswolke im Westen," Seite 255.
Nach den Wahlen.

großen viel Gutes damit erreicht worden. Wir sind mit der Beseitigung der
oppositionellen Mehrheit gegenüber der Militärvorlage, die sich aus verbohrten
Demokraten, ultramontanen Partikularsten, Sozialisten und Rcichsfeinden aus
den Kreisen der Polacken und Talmifranzosen zusammensetzte, einen Alp von
der Brust los geworden. Die Mittelparteien im Verein mit den Konservativen
haben fortan zunächst für einige Jahre in parlamentarischen Angelegenheiten die
Oberhand, und es ist gute Aussicht vorhanden, daß sie ihnen weiter verbleiben
werde, wie fest auch Herr Richter überzeugt sein mag, daß er und sein Gefolge
das Gegenteil zu hoffen haben. Den Löwenanteil am Siege trugen die
Nationalliberalen davon, und wir gönnen ihnen denselben in der Voraussetzung,
daß sie, die seit dem Abzüge der bedenklichen Elemente ihres Lagers unter die
Fahnen Richters nud Virchows eine Partei geworden sind, mit der man wieder
rechnen und wenigstens Kompromisse schließen kann, nicht wieder in alte Fehler
und Irrtümer verfallen, sondern wie beim Entstehen der Partei mehr den Ton
auf die erste als auf die letzte Hälfte ihres Namens legen, wenn es zu Gesetz¬
vorschlägen der Regierung Stellung zu nehmen gilt. Von den zweiundfünfzig
Sitzen, die sie im letzten Reichstage einnahmen, sind sie bereits im ersten Wahl¬
gänge auf einige über siebzig gekommen, und wenn ihnen von den Ergebnissen
der Stichwahlen auch nur ein Drittel zuteil wird, so werden sie der Zahl nach
die zweite, ja vielleicht die erste Stelle im Reichstage einnehmen wie in der Zeit
vor 1879.

Das deutsche Volk hat durch die Wahlen vom 21. Februar dem Verstände
über den Unsinn, der Wahrheit über die Lüge, dem Patriotismus über die
partikularistische und sozialistische Vaterlandslvsigkeit zum Siege verholfen. Es
hat, sagt man, mit der Stellung, die es zum Septennat eingenommen hat,
Deutschland und Europa den Frieden gesichert. Unser Heer wird infolge der
Wahlen in dem Maße verstärkt werden, daß dem Erbfeinde im Westen die
Lust vergehen wird, die lange von ihm vorbereitete Revanche ins Werk zu
setzen, und wir haben anderseits den Franzosen gezeigt, daß der deutsche
Einheitsgedanke und das Vertrauen zu der Weisheit der Reichsregierung die
Mehrheit der Nation um sich geschart sehen. So wahr dies aber auch ist,
so werden in Betreff der Sicherheit des Friedens doch auch jetzt noch einige Be¬
denken gestattet sein. Was wir schon vor vier Wochen schrieben,*) hat sich
seitdem zu bestätigen begonnen. Sehr bald nach unsern dort geäußerten
Zweifeln an der russischen Freundschaft begegnete man in den panslawistischen
Blättern des Zarenreiches der Meinung, daß dieses bei einem deutsch-franzö¬
sischen Kriege durchaus nicht die Rolle von 1870 spielen dürfe, sondern eine
gänzliche Niederwerfung Frankreichs verhindern müsse. Das waren Partei¬
stimmen. In der letzten Woche aber folgten Kundgebungen ähnlichen Sinnes,



») In dem Artikel „Die Kriegswolke im Westen," Seite 255.
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[0468] Nach den Wahlen. großen viel Gutes damit erreicht worden. Wir sind mit der Beseitigung der oppositionellen Mehrheit gegenüber der Militärvorlage, die sich aus verbohrten Demokraten, ultramontanen Partikularsten, Sozialisten und Rcichsfeinden aus den Kreisen der Polacken und Talmifranzosen zusammensetzte, einen Alp von der Brust los geworden. Die Mittelparteien im Verein mit den Konservativen haben fortan zunächst für einige Jahre in parlamentarischen Angelegenheiten die Oberhand, und es ist gute Aussicht vorhanden, daß sie ihnen weiter verbleiben werde, wie fest auch Herr Richter überzeugt sein mag, daß er und sein Gefolge das Gegenteil zu hoffen haben. Den Löwenanteil am Siege trugen die Nationalliberalen davon, und wir gönnen ihnen denselben in der Voraussetzung, daß sie, die seit dem Abzüge der bedenklichen Elemente ihres Lagers unter die Fahnen Richters nud Virchows eine Partei geworden sind, mit der man wieder rechnen und wenigstens Kompromisse schließen kann, nicht wieder in alte Fehler und Irrtümer verfallen, sondern wie beim Entstehen der Partei mehr den Ton auf die erste als auf die letzte Hälfte ihres Namens legen, wenn es zu Gesetz¬ vorschlägen der Regierung Stellung zu nehmen gilt. Von den zweiundfünfzig Sitzen, die sie im letzten Reichstage einnahmen, sind sie bereits im ersten Wahl¬ gänge auf einige über siebzig gekommen, und wenn ihnen von den Ergebnissen der Stichwahlen auch nur ein Drittel zuteil wird, so werden sie der Zahl nach die zweite, ja vielleicht die erste Stelle im Reichstage einnehmen wie in der Zeit vor 1879. Das deutsche Volk hat durch die Wahlen vom 21. Februar dem Verstände über den Unsinn, der Wahrheit über die Lüge, dem Patriotismus über die partikularistische und sozialistische Vaterlandslvsigkeit zum Siege verholfen. Es hat, sagt man, mit der Stellung, die es zum Septennat eingenommen hat, Deutschland und Europa den Frieden gesichert. Unser Heer wird infolge der Wahlen in dem Maße verstärkt werden, daß dem Erbfeinde im Westen die Lust vergehen wird, die lange von ihm vorbereitete Revanche ins Werk zu setzen, und wir haben anderseits den Franzosen gezeigt, daß der deutsche Einheitsgedanke und das Vertrauen zu der Weisheit der Reichsregierung die Mehrheit der Nation um sich geschart sehen. So wahr dies aber auch ist, so werden in Betreff der Sicherheit des Friedens doch auch jetzt noch einige Be¬ denken gestattet sein. Was wir schon vor vier Wochen schrieben,*) hat sich seitdem zu bestätigen begonnen. Sehr bald nach unsern dort geäußerten Zweifeln an der russischen Freundschaft begegnete man in den panslawistischen Blättern des Zarenreiches der Meinung, daß dieses bei einem deutsch-franzö¬ sischen Kriege durchaus nicht die Rolle von 1870 spielen dürfe, sondern eine gänzliche Niederwerfung Frankreichs verhindern müsse. Das waren Partei¬ stimmen. In der letzten Woche aber folgten Kundgebungen ähnlichen Sinnes, ») In dem Artikel „Die Kriegswolke im Westen," Seite 255.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/468>, abgerufen am 22.07.2024.