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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

ähnelte das bäuerliche Tischgebet damaliger Zeit einem Wechselgesange feierlichen
Inhalts und schloß mit Kniebeugung und Segenswunsch,

Unzähligemale habe ich solchen Tischgebeten beigewohnt, nie aber bin ich
Zeuge gewesen, daß ein junger, leichtsinniger Bursche oder eine lebenslustige
Dirne sich unwürdig dabei benommen hätte. Die Sitte heiligte das alte Her¬
kommen, wenn sich auch die Mehrzahl der Betenden schwerlich viel dabei denken
mochte. Darum war es nicht zu tadeln, daß man an dem Überlieferten fest¬
hielt; denn auch der wüsteste Gesell, die leichtfertigste Magd mußte sich zusammen¬
nehmen und sich geistig sammeln, wenn es ihnen gestattet werden sollte, an dem
gemeinschaftlichen Mahle teil zu nehmen und im Hause überhaupt geduldet zu
werden.

Wie es gegenwärtig in dieser Beziehung auf deu Bauernhöfen meines
Geburtslandes gehalten wird, ist mir unbekannt. Moderne städtische Sitte und
Tracht haben inzwischen die ländliche Bevölkerung vollständig erobert und in
ihre prunkenden Fesseln geschlagen; das aber sind Eindringlinge, die sich mit
den frommen Gewohnheiten der Urahnen schwerlich lange vertragen werden.

Es war nicht herkömmlich, daß der Dienstherr nebst Familie mit seinem
Hausgesinde die Mahlzeiten teilte. In dieser Beziehung machten sich bei dem
echten Bauer alten Schlages aristokratische Neigungen oder, wenn man lieber
will, in Fleisch und Blut übergegangene starre Standesvorurteile geltend, die
wahrscheinlich noch heutigen Tages in ungeschwächter Kraft fortbestehen. Der
Bauer betete willig und andächtig mit seinem Gesinde, die Mahlzeiten aber
nahm er allein ein. Er aß auch uicht die Speisen, an denen sich Knechte und
Mägde erlabten und die sehr einfach waren, er begehrte für sich und seine
Familie etwas Besondres. Für diese ward deshalb Frühstück, Mittagessen und
Abendbrot im Kabinet und, wo dieses fehlte, was auf manchem Gehöft vorkam,
im "Stubet" hergerichtet, einem besondern kleinen Zimmer, das mit der Gesinde¬
stube durch eine Zuschlagthür verbunden war.

Im Kabinet gab es außer einer Anzahl von Stühlen, deren Polstersitze
und Lehnen bei alten Familien dunkle Lederübcrzüge trugen, auch ein altes,
sehr hartes Kanapee. Über diesem hing an der Holzwand nnter Glas und
Rahme" ein in Carmoisin schimmerndes "Gottesauge" in der bekannten Form
des Dreiecks. Dies Bild zeigte in goldner Schrift, je nachdem man es von
horn, von der rechten oder linken Seite betrachtete, die Worte: "Vater, Sohn,
Heiliger Geist," Versinnlichte also aufs anschaulichste die Dreieinigkeit Gottes, von
der ja in Schule und Kirche immer die Rede war.

Von der geschwärzten Holzdecke herab an gesponnenem Gold- und Silber¬
draht schwebte über dem Tische, an welchem sich die Familie versammelte, der
heilige Geist in Gestalt einer Taube, aus dein schneeweißen Mark der Wasser¬
binse zierlich und kunstreich zuscnumeugefügt. Diese Kunstwerke wurden von den
Nonnen im Kloster Marienthal bei Ostritz verfertigt und auf Märkten feilge-


Grenzbvtcn I. 1887. 67
Jugenderinnerungen.

ähnelte das bäuerliche Tischgebet damaliger Zeit einem Wechselgesange feierlichen
Inhalts und schloß mit Kniebeugung und Segenswunsch,

Unzähligemale habe ich solchen Tischgebeten beigewohnt, nie aber bin ich
Zeuge gewesen, daß ein junger, leichtsinniger Bursche oder eine lebenslustige
Dirne sich unwürdig dabei benommen hätte. Die Sitte heiligte das alte Her¬
kommen, wenn sich auch die Mehrzahl der Betenden schwerlich viel dabei denken
mochte. Darum war es nicht zu tadeln, daß man an dem Überlieferten fest¬
hielt; denn auch der wüsteste Gesell, die leichtfertigste Magd mußte sich zusammen¬
nehmen und sich geistig sammeln, wenn es ihnen gestattet werden sollte, an dem
gemeinschaftlichen Mahle teil zu nehmen und im Hause überhaupt geduldet zu
werden.

Wie es gegenwärtig in dieser Beziehung auf deu Bauernhöfen meines
Geburtslandes gehalten wird, ist mir unbekannt. Moderne städtische Sitte und
Tracht haben inzwischen die ländliche Bevölkerung vollständig erobert und in
ihre prunkenden Fesseln geschlagen; das aber sind Eindringlinge, die sich mit
den frommen Gewohnheiten der Urahnen schwerlich lange vertragen werden.

Es war nicht herkömmlich, daß der Dienstherr nebst Familie mit seinem
Hausgesinde die Mahlzeiten teilte. In dieser Beziehung machten sich bei dem
echten Bauer alten Schlages aristokratische Neigungen oder, wenn man lieber
will, in Fleisch und Blut übergegangene starre Standesvorurteile geltend, die
wahrscheinlich noch heutigen Tages in ungeschwächter Kraft fortbestehen. Der
Bauer betete willig und andächtig mit seinem Gesinde, die Mahlzeiten aber
nahm er allein ein. Er aß auch uicht die Speisen, an denen sich Knechte und
Mägde erlabten und die sehr einfach waren, er begehrte für sich und seine
Familie etwas Besondres. Für diese ward deshalb Frühstück, Mittagessen und
Abendbrot im Kabinet und, wo dieses fehlte, was auf manchem Gehöft vorkam,
im „Stubet" hergerichtet, einem besondern kleinen Zimmer, das mit der Gesinde¬
stube durch eine Zuschlagthür verbunden war.

Im Kabinet gab es außer einer Anzahl von Stühlen, deren Polstersitze
und Lehnen bei alten Familien dunkle Lederübcrzüge trugen, auch ein altes,
sehr hartes Kanapee. Über diesem hing an der Holzwand nnter Glas und
Rahme» ein in Carmoisin schimmerndes „Gottesauge" in der bekannten Form
des Dreiecks. Dies Bild zeigte in goldner Schrift, je nachdem man es von
horn, von der rechten oder linken Seite betrachtete, die Worte: „Vater, Sohn,
Heiliger Geist," Versinnlichte also aufs anschaulichste die Dreieinigkeit Gottes, von
der ja in Schule und Kirche immer die Rede war.

Von der geschwärzten Holzdecke herab an gesponnenem Gold- und Silber¬
draht schwebte über dem Tische, an welchem sich die Familie versammelte, der
heilige Geist in Gestalt einer Taube, aus dein schneeweißen Mark der Wasser¬
binse zierlich und kunstreich zuscnumeugefügt. Diese Kunstwerke wurden von den
Nonnen im Kloster Marienthal bei Ostritz verfertigt und auf Märkten feilge-


Grenzbvtcn I. 1887. 67
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[0457] Jugenderinnerungen. ähnelte das bäuerliche Tischgebet damaliger Zeit einem Wechselgesange feierlichen Inhalts und schloß mit Kniebeugung und Segenswunsch, Unzähligemale habe ich solchen Tischgebeten beigewohnt, nie aber bin ich Zeuge gewesen, daß ein junger, leichtsinniger Bursche oder eine lebenslustige Dirne sich unwürdig dabei benommen hätte. Die Sitte heiligte das alte Her¬ kommen, wenn sich auch die Mehrzahl der Betenden schwerlich viel dabei denken mochte. Darum war es nicht zu tadeln, daß man an dem Überlieferten fest¬ hielt; denn auch der wüsteste Gesell, die leichtfertigste Magd mußte sich zusammen¬ nehmen und sich geistig sammeln, wenn es ihnen gestattet werden sollte, an dem gemeinschaftlichen Mahle teil zu nehmen und im Hause überhaupt geduldet zu werden. Wie es gegenwärtig in dieser Beziehung auf deu Bauernhöfen meines Geburtslandes gehalten wird, ist mir unbekannt. Moderne städtische Sitte und Tracht haben inzwischen die ländliche Bevölkerung vollständig erobert und in ihre prunkenden Fesseln geschlagen; das aber sind Eindringlinge, die sich mit den frommen Gewohnheiten der Urahnen schwerlich lange vertragen werden. Es war nicht herkömmlich, daß der Dienstherr nebst Familie mit seinem Hausgesinde die Mahlzeiten teilte. In dieser Beziehung machten sich bei dem echten Bauer alten Schlages aristokratische Neigungen oder, wenn man lieber will, in Fleisch und Blut übergegangene starre Standesvorurteile geltend, die wahrscheinlich noch heutigen Tages in ungeschwächter Kraft fortbestehen. Der Bauer betete willig und andächtig mit seinem Gesinde, die Mahlzeiten aber nahm er allein ein. Er aß auch uicht die Speisen, an denen sich Knechte und Mägde erlabten und die sehr einfach waren, er begehrte für sich und seine Familie etwas Besondres. Für diese ward deshalb Frühstück, Mittagessen und Abendbrot im Kabinet und, wo dieses fehlte, was auf manchem Gehöft vorkam, im „Stubet" hergerichtet, einem besondern kleinen Zimmer, das mit der Gesinde¬ stube durch eine Zuschlagthür verbunden war. Im Kabinet gab es außer einer Anzahl von Stühlen, deren Polstersitze und Lehnen bei alten Familien dunkle Lederübcrzüge trugen, auch ein altes, sehr hartes Kanapee. Über diesem hing an der Holzwand nnter Glas und Rahme» ein in Carmoisin schimmerndes „Gottesauge" in der bekannten Form des Dreiecks. Dies Bild zeigte in goldner Schrift, je nachdem man es von horn, von der rechten oder linken Seite betrachtete, die Worte: „Vater, Sohn, Heiliger Geist," Versinnlichte also aufs anschaulichste die Dreieinigkeit Gottes, von der ja in Schule und Kirche immer die Rede war. Von der geschwärzten Holzdecke herab an gesponnenem Gold- und Silber¬ draht schwebte über dem Tische, an welchem sich die Familie versammelte, der heilige Geist in Gestalt einer Taube, aus dein schneeweißen Mark der Wasser¬ binse zierlich und kunstreich zuscnumeugefügt. Diese Kunstwerke wurden von den Nonnen im Kloster Marienthal bei Ostritz verfertigt und auf Märkten feilge- Grenzbvtcn I. 1887. 67

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/457>, abgerufen am 22.07.2024.