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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Kunstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer.

Solche Philosophieprofessoren, welche nebenbei Kunstgeschichte doziren, giebt es
übrigens noch heute an kleinen Universitäten, die sich den Luxus eines Pro¬
fessors der Kunstgeschichte nicht erlauben können.

Obwohl die Kunstwissenschaft demnach eines der jüngsten wissenschaftlichen
Fächer ist, sind Schnaase und Kugler, welche man mit Recht die Begründer
dieser Wissenschaft nennt, sehr schnell dem Schicksal verfallen, daß ihre Schriften,
die zu ihrer Zeit als grundlegend und epochemachend galten, veraltet sind. In
Schnaases großem Werke werden vielleicht nur die kulturgeschichtlichen Schilde¬
rungen und die feinen ästhetischen Bemerkungen einigen Wert behalten. Da¬
gegen ist das thatsächliche Material, mit welchem heute die kunstgeschichtliche
Betrachtung zu rechnen hat, seit dem Abschlüsse von Schnaases Werk so un¬
endlich gewachsen, daß der weite Nahmen desselben längst zu eng geworden ist.
Dazu kommt eine völlig veränderte Methode der Forschung und Kritik. An¬
fangs lernte die Kunstwissenschaft von der Archäologie, ohne über dem Klein¬
kram ihre großen Gesichtspunkte aus den Augen zu verlieren. Daneben wid¬
meten Historiker wie Anton Springer ihre Kräfte der Wissenschaft, und verliehen
ihr gewissermaßen erst ein dauerhaftes Knochengerüst. Als Springer vor zwei
Jahren sein fünfundzwanzigjähriges Profcsforenjubiläum feierte, durfte er mit
Genugthuung auf eine stattliche Zahl von Schülern blicken, welche das geistige
Rüstzeug, das er ihnen mit auf den Lebensweg gegeben hat, in alle" Fücheru
der Kunstwissenschaft zu brauchen wissen, wofür ihre Jubilüumsgabc, ein statt¬
licher Folioband mit Spezialuutersuchungen, ein erfreuliches Zeugnis ablegte.
Neben der Leipziger Schule von Knnstforschern steht eine Wiener und Berliner
Schule, deren jede sich wieder in mehrere Richtungen scheidet, die aber alle
darin übereinstimmen, daß sie die Arbeiten ihrer Vorgänger mit möglichst mi߬
trauischen Blicken betrachten. Kugler hat es gewiß sich nicht träumen lassen,
daß die knustwissenschaftliche Forschung dereinst die Bildung der Ohrmuscheln,
die Krümmung der Finger und die Stellung der Zehen in den Bereich ihres
Apparates ziehen würde, um damit Bilderkritik zu üben. Daneben bilden die
Mouogrammenschnüffler eine besondre Kategorie der Kunstforschung, und es
wird den unbeteiligten Zuschauer, der nur mit der Teilnahme des gebildeten
Mannes den neuesten Bestrebungen aus dem Gebiete der Kunstwissenschaft folgt,
nicht überraschen, wenn auch dem Geruchs- und Tastsinn eine noch bedeutsamere
Stellung eingeräumt werden wird, als es bereits jetzt der Fall ist.

Wenn man Springer und Lübke mit dem allerneuesten Maßstabe messen
wollte, würde man sie kaum vor dem Vorwurfe philisterhafter Pedanterie oder
gar des irrlichtelirenden Dilettantismus schützen können. Lübke gegenüber ist
der Vorwurf unwissenschaftlichen Zusammentragens sogar schon, verblümt
und unverblümt, erhoben worden, und doch besitzt der greise Meister mehr
organisatorisches Tcileut, mehr historischen Sinn als alle die schriftstellernden
Architekten und registrirenden Bilderkcnner zusammengenommen, welche jeden


Kunstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer.

Solche Philosophieprofessoren, welche nebenbei Kunstgeschichte doziren, giebt es
übrigens noch heute an kleinen Universitäten, die sich den Luxus eines Pro¬
fessors der Kunstgeschichte nicht erlauben können.

Obwohl die Kunstwissenschaft demnach eines der jüngsten wissenschaftlichen
Fächer ist, sind Schnaase und Kugler, welche man mit Recht die Begründer
dieser Wissenschaft nennt, sehr schnell dem Schicksal verfallen, daß ihre Schriften,
die zu ihrer Zeit als grundlegend und epochemachend galten, veraltet sind. In
Schnaases großem Werke werden vielleicht nur die kulturgeschichtlichen Schilde¬
rungen und die feinen ästhetischen Bemerkungen einigen Wert behalten. Da¬
gegen ist das thatsächliche Material, mit welchem heute die kunstgeschichtliche
Betrachtung zu rechnen hat, seit dem Abschlüsse von Schnaases Werk so un¬
endlich gewachsen, daß der weite Nahmen desselben längst zu eng geworden ist.
Dazu kommt eine völlig veränderte Methode der Forschung und Kritik. An¬
fangs lernte die Kunstwissenschaft von der Archäologie, ohne über dem Klein¬
kram ihre großen Gesichtspunkte aus den Augen zu verlieren. Daneben wid¬
meten Historiker wie Anton Springer ihre Kräfte der Wissenschaft, und verliehen
ihr gewissermaßen erst ein dauerhaftes Knochengerüst. Als Springer vor zwei
Jahren sein fünfundzwanzigjähriges Profcsforenjubiläum feierte, durfte er mit
Genugthuung auf eine stattliche Zahl von Schülern blicken, welche das geistige
Rüstzeug, das er ihnen mit auf den Lebensweg gegeben hat, in alle» Fücheru
der Kunstwissenschaft zu brauchen wissen, wofür ihre Jubilüumsgabc, ein statt¬
licher Folioband mit Spezialuutersuchungen, ein erfreuliches Zeugnis ablegte.
Neben der Leipziger Schule von Knnstforschern steht eine Wiener und Berliner
Schule, deren jede sich wieder in mehrere Richtungen scheidet, die aber alle
darin übereinstimmen, daß sie die Arbeiten ihrer Vorgänger mit möglichst mi߬
trauischen Blicken betrachten. Kugler hat es gewiß sich nicht träumen lassen,
daß die knustwissenschaftliche Forschung dereinst die Bildung der Ohrmuscheln,
die Krümmung der Finger und die Stellung der Zehen in den Bereich ihres
Apparates ziehen würde, um damit Bilderkritik zu üben. Daneben bilden die
Mouogrammenschnüffler eine besondre Kategorie der Kunstforschung, und es
wird den unbeteiligten Zuschauer, der nur mit der Teilnahme des gebildeten
Mannes den neuesten Bestrebungen aus dem Gebiete der Kunstwissenschaft folgt,
nicht überraschen, wenn auch dem Geruchs- und Tastsinn eine noch bedeutsamere
Stellung eingeräumt werden wird, als es bereits jetzt der Fall ist.

Wenn man Springer und Lübke mit dem allerneuesten Maßstabe messen
wollte, würde man sie kaum vor dem Vorwurfe philisterhafter Pedanterie oder
gar des irrlichtelirenden Dilettantismus schützen können. Lübke gegenüber ist
der Vorwurf unwissenschaftlichen Zusammentragens sogar schon, verblümt
und unverblümt, erhoben worden, und doch besitzt der greise Meister mehr
organisatorisches Tcileut, mehr historischen Sinn als alle die schriftstellernden
Architekten und registrirenden Bilderkcnner zusammengenommen, welche jeden


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[0443] Kunstgeschichtliche Aufsätze von Lübke und Springer. Solche Philosophieprofessoren, welche nebenbei Kunstgeschichte doziren, giebt es übrigens noch heute an kleinen Universitäten, die sich den Luxus eines Pro¬ fessors der Kunstgeschichte nicht erlauben können. Obwohl die Kunstwissenschaft demnach eines der jüngsten wissenschaftlichen Fächer ist, sind Schnaase und Kugler, welche man mit Recht die Begründer dieser Wissenschaft nennt, sehr schnell dem Schicksal verfallen, daß ihre Schriften, die zu ihrer Zeit als grundlegend und epochemachend galten, veraltet sind. In Schnaases großem Werke werden vielleicht nur die kulturgeschichtlichen Schilde¬ rungen und die feinen ästhetischen Bemerkungen einigen Wert behalten. Da¬ gegen ist das thatsächliche Material, mit welchem heute die kunstgeschichtliche Betrachtung zu rechnen hat, seit dem Abschlüsse von Schnaases Werk so un¬ endlich gewachsen, daß der weite Nahmen desselben längst zu eng geworden ist. Dazu kommt eine völlig veränderte Methode der Forschung und Kritik. An¬ fangs lernte die Kunstwissenschaft von der Archäologie, ohne über dem Klein¬ kram ihre großen Gesichtspunkte aus den Augen zu verlieren. Daneben wid¬ meten Historiker wie Anton Springer ihre Kräfte der Wissenschaft, und verliehen ihr gewissermaßen erst ein dauerhaftes Knochengerüst. Als Springer vor zwei Jahren sein fünfundzwanzigjähriges Profcsforenjubiläum feierte, durfte er mit Genugthuung auf eine stattliche Zahl von Schülern blicken, welche das geistige Rüstzeug, das er ihnen mit auf den Lebensweg gegeben hat, in alle» Fücheru der Kunstwissenschaft zu brauchen wissen, wofür ihre Jubilüumsgabc, ein statt¬ licher Folioband mit Spezialuutersuchungen, ein erfreuliches Zeugnis ablegte. Neben der Leipziger Schule von Knnstforschern steht eine Wiener und Berliner Schule, deren jede sich wieder in mehrere Richtungen scheidet, die aber alle darin übereinstimmen, daß sie die Arbeiten ihrer Vorgänger mit möglichst mi߬ trauischen Blicken betrachten. Kugler hat es gewiß sich nicht träumen lassen, daß die knustwissenschaftliche Forschung dereinst die Bildung der Ohrmuscheln, die Krümmung der Finger und die Stellung der Zehen in den Bereich ihres Apparates ziehen würde, um damit Bilderkritik zu üben. Daneben bilden die Mouogrammenschnüffler eine besondre Kategorie der Kunstforschung, und es wird den unbeteiligten Zuschauer, der nur mit der Teilnahme des gebildeten Mannes den neuesten Bestrebungen aus dem Gebiete der Kunstwissenschaft folgt, nicht überraschen, wenn auch dem Geruchs- und Tastsinn eine noch bedeutsamere Stellung eingeräumt werden wird, als es bereits jetzt der Fall ist. Wenn man Springer und Lübke mit dem allerneuesten Maßstabe messen wollte, würde man sie kaum vor dem Vorwurfe philisterhafter Pedanterie oder gar des irrlichtelirenden Dilettantismus schützen können. Lübke gegenüber ist der Vorwurf unwissenschaftlichen Zusammentragens sogar schon, verblümt und unverblümt, erhoben worden, und doch besitzt der greise Meister mehr organisatorisches Tcileut, mehr historischen Sinn als alle die schriftstellernden Architekten und registrirenden Bilderkcnner zusammengenommen, welche jeden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/443>, abgerufen am 22.12.2024.