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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Paul Heyses Roman der Stiftsdame,

"Sie waren heute auch in der Kirche, gnädiges Fräulein, fing ich endlich
an, -- Ich mußte endlich etwas über meine Predigt hören. "Ja, erwiederte
sie und sah dabei ruhig auf die frischen Beete zur Seite. Aber ich werde nicht
wieder hingehen, wenn Sie predigen." Aus welchem Grunde? "Weil ich mir
meinen lieben Gott nicht von Ihnen verderben lassen will," Das war mir nun
doch zu stark. Ich blieb stehen, wie wenn mir eine blindgeladcne Pistole dicht
vor der Nase abgefeuert worden wäre. Erlauben Sie mir, zu fragen, sagte
ich, indem ich mich überlegen zu lächeln bemühte, worin sich Ihr lieber Gott
von dem unterscheidet, den wir alle und auch ich in unsrer heutigen Sonntag¬
feier angebetet haben. "O, erwiederte sie mit einem leichten Zucken um den
Mund, das ich trotz meiner sittlichen Entrüstung über ihre Geringschätzung sehr
reizend fand -- wenn Sie es denu wissen wollen: Sie haben sich einen lieben
Gott zurecht gemacht, der im Himmel ungefähr so regiert, wie ein aristokratischer
Kirchenpatron auf seinem Rittergut. Wenn hier Erntekranz ist und die Bauern
in den Schloßhof kommen, um der Gutsherrschaft ein Hoch auszubringen, stellen
sie sich ungefähr so auf der Rampe auf, wie in Ihrer Phantasie die Mensch¬
heit auf den Stufen jener Treppe: der Schulze obenan, und dann die Dorf¬
leute je nach ihrem Vermögen und Viehbestand abgestuft, und ganz nutenan
Mutter Lieschen, die nur eine schlechte Hütte besitzt, einen Hund und eine Ziege,
aber doch einen gnädigen Blick erhält, weil Sie, wie Sie meinen, arm an Geist
ist. Für gewisse Ohren mag das eine ganz vortreffliche Prophezeiung auf den
jüngsten Tag geworden sein. In Gottes Ohr wird es anders geklungen haben."
Also erkennen Sie eine stufenweise Entwicklung aller sterblichen Geschöpfe nicht
an? "Natürlich! Wer sollte sie leugnen? Nur daß sich das Bild der armen
Menschheit vor den allsehenden Augen Gottes doch wohl anders aufnimmt,
als durch die Brille unsrer hochmütigen Vorurteile. Wenn es eine solche
Treppe giebt, die bis zum Himmelsthor reicht, möchte Mutter Lieschen viel¬
leicht ans der obersten Stufe stehen und gewiß andre, denen Sie ein so schmeichel¬
haftes Zeugnis ausgestellt haben, ganz unten.""

Die Sicherheit, mit der das Stiftsfräulein hier vom lieben Gott spricht,
ist für ihr Wesen sehr bezeichnend. Dies klare Bewußtsein von dem, was dem
lieben Gott recht ist, leitet alle ihre Handlungen. Und einzig diesem religiös¬
schöpferischen Charakter zuliebe hat Heyse die launige Gestalt des schülerhaften
Kandidaten der Theologie eingeführt; durch die Kontraftirung dieser zwei reli¬
giösen Anschauungen wurde die edle Mystik Luisens klar.

Die nächste Folge dieses Gespräches war die, daß Johannes sich bekehrte:
er legte seinen geistlichen Hochmut ab, schnitt sich die langen Haare kurz, die
Abteilung des Scheitels wurde von der Mitte des Kopfes auf die Seite, dem
Ohre zu geschoben, die scholastische Theologie wurde beseitigt, und schon nach
zwei Wochen (freilich unwahrscheinlich schnell) predigte er zur Zufriedenheit des
Stiftsfrüuleins. Das alles hatte die Liebe gethan, Luise hatte ihn inzwischen


Paul Heyses Roman der Stiftsdame,

„Sie waren heute auch in der Kirche, gnädiges Fräulein, fing ich endlich
an, — Ich mußte endlich etwas über meine Predigt hören. »Ja, erwiederte
sie und sah dabei ruhig auf die frischen Beete zur Seite. Aber ich werde nicht
wieder hingehen, wenn Sie predigen.« Aus welchem Grunde? »Weil ich mir
meinen lieben Gott nicht von Ihnen verderben lassen will,« Das war mir nun
doch zu stark. Ich blieb stehen, wie wenn mir eine blindgeladcne Pistole dicht
vor der Nase abgefeuert worden wäre. Erlauben Sie mir, zu fragen, sagte
ich, indem ich mich überlegen zu lächeln bemühte, worin sich Ihr lieber Gott
von dem unterscheidet, den wir alle und auch ich in unsrer heutigen Sonntag¬
feier angebetet haben. »O, erwiederte sie mit einem leichten Zucken um den
Mund, das ich trotz meiner sittlichen Entrüstung über ihre Geringschätzung sehr
reizend fand — wenn Sie es denu wissen wollen: Sie haben sich einen lieben
Gott zurecht gemacht, der im Himmel ungefähr so regiert, wie ein aristokratischer
Kirchenpatron auf seinem Rittergut. Wenn hier Erntekranz ist und die Bauern
in den Schloßhof kommen, um der Gutsherrschaft ein Hoch auszubringen, stellen
sie sich ungefähr so auf der Rampe auf, wie in Ihrer Phantasie die Mensch¬
heit auf den Stufen jener Treppe: der Schulze obenan, und dann die Dorf¬
leute je nach ihrem Vermögen und Viehbestand abgestuft, und ganz nutenan
Mutter Lieschen, die nur eine schlechte Hütte besitzt, einen Hund und eine Ziege,
aber doch einen gnädigen Blick erhält, weil Sie, wie Sie meinen, arm an Geist
ist. Für gewisse Ohren mag das eine ganz vortreffliche Prophezeiung auf den
jüngsten Tag geworden sein. In Gottes Ohr wird es anders geklungen haben.«
Also erkennen Sie eine stufenweise Entwicklung aller sterblichen Geschöpfe nicht
an? »Natürlich! Wer sollte sie leugnen? Nur daß sich das Bild der armen
Menschheit vor den allsehenden Augen Gottes doch wohl anders aufnimmt,
als durch die Brille unsrer hochmütigen Vorurteile. Wenn es eine solche
Treppe giebt, die bis zum Himmelsthor reicht, möchte Mutter Lieschen viel¬
leicht ans der obersten Stufe stehen und gewiß andre, denen Sie ein so schmeichel¬
haftes Zeugnis ausgestellt haben, ganz unten.«"

Die Sicherheit, mit der das Stiftsfräulein hier vom lieben Gott spricht,
ist für ihr Wesen sehr bezeichnend. Dies klare Bewußtsein von dem, was dem
lieben Gott recht ist, leitet alle ihre Handlungen. Und einzig diesem religiös¬
schöpferischen Charakter zuliebe hat Heyse die launige Gestalt des schülerhaften
Kandidaten der Theologie eingeführt; durch die Kontraftirung dieser zwei reli¬
giösen Anschauungen wurde die edle Mystik Luisens klar.

Die nächste Folge dieses Gespräches war die, daß Johannes sich bekehrte:
er legte seinen geistlichen Hochmut ab, schnitt sich die langen Haare kurz, die
Abteilung des Scheitels wurde von der Mitte des Kopfes auf die Seite, dem
Ohre zu geschoben, die scholastische Theologie wurde beseitigt, und schon nach
zwei Wochen (freilich unwahrscheinlich schnell) predigte er zur Zufriedenheit des
Stiftsfrüuleins. Das alles hatte die Liebe gethan, Luise hatte ihn inzwischen


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[0437] Paul Heyses Roman der Stiftsdame, „Sie waren heute auch in der Kirche, gnädiges Fräulein, fing ich endlich an, — Ich mußte endlich etwas über meine Predigt hören. »Ja, erwiederte sie und sah dabei ruhig auf die frischen Beete zur Seite. Aber ich werde nicht wieder hingehen, wenn Sie predigen.« Aus welchem Grunde? »Weil ich mir meinen lieben Gott nicht von Ihnen verderben lassen will,« Das war mir nun doch zu stark. Ich blieb stehen, wie wenn mir eine blindgeladcne Pistole dicht vor der Nase abgefeuert worden wäre. Erlauben Sie mir, zu fragen, sagte ich, indem ich mich überlegen zu lächeln bemühte, worin sich Ihr lieber Gott von dem unterscheidet, den wir alle und auch ich in unsrer heutigen Sonntag¬ feier angebetet haben. »O, erwiederte sie mit einem leichten Zucken um den Mund, das ich trotz meiner sittlichen Entrüstung über ihre Geringschätzung sehr reizend fand — wenn Sie es denu wissen wollen: Sie haben sich einen lieben Gott zurecht gemacht, der im Himmel ungefähr so regiert, wie ein aristokratischer Kirchenpatron auf seinem Rittergut. Wenn hier Erntekranz ist und die Bauern in den Schloßhof kommen, um der Gutsherrschaft ein Hoch auszubringen, stellen sie sich ungefähr so auf der Rampe auf, wie in Ihrer Phantasie die Mensch¬ heit auf den Stufen jener Treppe: der Schulze obenan, und dann die Dorf¬ leute je nach ihrem Vermögen und Viehbestand abgestuft, und ganz nutenan Mutter Lieschen, die nur eine schlechte Hütte besitzt, einen Hund und eine Ziege, aber doch einen gnädigen Blick erhält, weil Sie, wie Sie meinen, arm an Geist ist. Für gewisse Ohren mag das eine ganz vortreffliche Prophezeiung auf den jüngsten Tag geworden sein. In Gottes Ohr wird es anders geklungen haben.« Also erkennen Sie eine stufenweise Entwicklung aller sterblichen Geschöpfe nicht an? »Natürlich! Wer sollte sie leugnen? Nur daß sich das Bild der armen Menschheit vor den allsehenden Augen Gottes doch wohl anders aufnimmt, als durch die Brille unsrer hochmütigen Vorurteile. Wenn es eine solche Treppe giebt, die bis zum Himmelsthor reicht, möchte Mutter Lieschen viel¬ leicht ans der obersten Stufe stehen und gewiß andre, denen Sie ein so schmeichel¬ haftes Zeugnis ausgestellt haben, ganz unten.«" Die Sicherheit, mit der das Stiftsfräulein hier vom lieben Gott spricht, ist für ihr Wesen sehr bezeichnend. Dies klare Bewußtsein von dem, was dem lieben Gott recht ist, leitet alle ihre Handlungen. Und einzig diesem religiös¬ schöpferischen Charakter zuliebe hat Heyse die launige Gestalt des schülerhaften Kandidaten der Theologie eingeführt; durch die Kontraftirung dieser zwei reli¬ giösen Anschauungen wurde die edle Mystik Luisens klar. Die nächste Folge dieses Gespräches war die, daß Johannes sich bekehrte: er legte seinen geistlichen Hochmut ab, schnitt sich die langen Haare kurz, die Abteilung des Scheitels wurde von der Mitte des Kopfes auf die Seite, dem Ohre zu geschoben, die scholastische Theologie wurde beseitigt, und schon nach zwei Wochen (freilich unwahrscheinlich schnell) predigte er zur Zufriedenheit des Stiftsfrüuleins. Das alles hatte die Liebe gethan, Luise hatte ihn inzwischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/437>, abgerufen am 22.07.2024.