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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Wilhelm Lenzen.

War es schon längst sein Wunsch gewesen, "das Land ohne Menschen kennen
zu lernen, dem man die Menschen ohne Land zuführen könne." Im Herbst
1869 schiffte er sich uach Australien ein und landete schon schwer erkrankt zu
Weihnachten 1869 in Melbourne. Dort erlag er seinem Leiden am 26. Januar
1870. sein Grab ist drüben in der neuen Welt; im nördlichen Seitenschiff
der Christ-Church-Kathedrale zu Oxford aber erinnert ein Glasfenster, das
seine Freunde gestiftet haben, an den früh entschlafenen.

Eduard Denison war der erste Universit^-roxm, der, um im Osten Londons
zu wirken, sich dort für längere Zeit niedergelassen hatte. Er war in vollem
Sinne der Vorläufer Toynbees. Ein Hauptvertreter und Förderer jener sozial¬
politischen Bewegung, welche die englischen Universitäten mehr und mehr ergreift,
verdankte er die Anregung zu seiner Thätigkeit nicht einer vorwiegend religiösen
Richtung. Doch verkannte er nicht die unvergleichliche soziale Heilkraft des Christen¬
tums, derjenigen Religion, die gerade für die Verstoßenen der Gesellschaft ge¬
geben sei. Aber er wollte das Christentum uicht "von Pharisäern gelehrt und
von Sadduzäern illustrirt, sondern so, wie es sein Stifter selber gelebt hatte."
Dem gegenüber konnte er in der Verbreitung weltlicher Kenntnisse nichts schäd¬
liches erblicken. Sein Standpunkt war in dieser Hinsicht der jenes römischen
Kaisers, welcher auf die Mitteilung, daß die Christen die Tempel zerstörten,
ausrief: "Lasset die Götter sich selber verteidigen." (Fortsetzung folgt.)




Wilhelm Herzen.

in 27. Januar, morgens zehn Uhr, hat Wilhelm Herzen, der
langjährige erste Sekretär des Deutschen archäologischen Instituts
in Rom, nach achttägigen, schwerem Leiden die Augen für immer
geschlossen. Bis zum letzten Augenblicke von klaren Gedanken,
die er jedoch schon seit Tagen nicht mehr auszusprechen ver¬
mochte, starb er unter Gebetsworten eines jungen, im Institut anwesenden
Theologen als ein Gerechter nud als ein Christ.

Geboren am 24. Januar 1316 zu Bremen,") hatte Herzen in Bonn und
Berlin studirt, besonders eng an F. G. Welcker sich anschließend, mit dem er
auch im Januar 1842 von Rom, wohin er im Herbste des Jahres 1841 ge-



*) Diese Daten sind der "Geschichte des Deutschen archäologischen Instituts von Adolf
Michaelis" (Berlin, 1379) entnommen.
Wilhelm Lenzen.

War es schon längst sein Wunsch gewesen, „das Land ohne Menschen kennen
zu lernen, dem man die Menschen ohne Land zuführen könne." Im Herbst
1869 schiffte er sich uach Australien ein und landete schon schwer erkrankt zu
Weihnachten 1869 in Melbourne. Dort erlag er seinem Leiden am 26. Januar
1870. sein Grab ist drüben in der neuen Welt; im nördlichen Seitenschiff
der Christ-Church-Kathedrale zu Oxford aber erinnert ein Glasfenster, das
seine Freunde gestiftet haben, an den früh entschlafenen.

Eduard Denison war der erste Universit^-roxm, der, um im Osten Londons
zu wirken, sich dort für längere Zeit niedergelassen hatte. Er war in vollem
Sinne der Vorläufer Toynbees. Ein Hauptvertreter und Förderer jener sozial¬
politischen Bewegung, welche die englischen Universitäten mehr und mehr ergreift,
verdankte er die Anregung zu seiner Thätigkeit nicht einer vorwiegend religiösen
Richtung. Doch verkannte er nicht die unvergleichliche soziale Heilkraft des Christen¬
tums, derjenigen Religion, die gerade für die Verstoßenen der Gesellschaft ge¬
geben sei. Aber er wollte das Christentum uicht „von Pharisäern gelehrt und
von Sadduzäern illustrirt, sondern so, wie es sein Stifter selber gelebt hatte."
Dem gegenüber konnte er in der Verbreitung weltlicher Kenntnisse nichts schäd¬
liches erblicken. Sein Standpunkt war in dieser Hinsicht der jenes römischen
Kaisers, welcher auf die Mitteilung, daß die Christen die Tempel zerstörten,
ausrief: „Lasset die Götter sich selber verteidigen." (Fortsetzung folgt.)




Wilhelm Herzen.

in 27. Januar, morgens zehn Uhr, hat Wilhelm Herzen, der
langjährige erste Sekretär des Deutschen archäologischen Instituts
in Rom, nach achttägigen, schwerem Leiden die Augen für immer
geschlossen. Bis zum letzten Augenblicke von klaren Gedanken,
die er jedoch schon seit Tagen nicht mehr auszusprechen ver¬
mochte, starb er unter Gebetsworten eines jungen, im Institut anwesenden
Theologen als ein Gerechter nud als ein Christ.

Geboren am 24. Januar 1316 zu Bremen,") hatte Herzen in Bonn und
Berlin studirt, besonders eng an F. G. Welcker sich anschließend, mit dem er
auch im Januar 1842 von Rom, wohin er im Herbste des Jahres 1841 ge-



*) Diese Daten sind der „Geschichte des Deutschen archäologischen Instituts von Adolf
Michaelis" (Berlin, 1379) entnommen.
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[0427] Wilhelm Lenzen. War es schon längst sein Wunsch gewesen, „das Land ohne Menschen kennen zu lernen, dem man die Menschen ohne Land zuführen könne." Im Herbst 1869 schiffte er sich uach Australien ein und landete schon schwer erkrankt zu Weihnachten 1869 in Melbourne. Dort erlag er seinem Leiden am 26. Januar 1870. sein Grab ist drüben in der neuen Welt; im nördlichen Seitenschiff der Christ-Church-Kathedrale zu Oxford aber erinnert ein Glasfenster, das seine Freunde gestiftet haben, an den früh entschlafenen. Eduard Denison war der erste Universit^-roxm, der, um im Osten Londons zu wirken, sich dort für längere Zeit niedergelassen hatte. Er war in vollem Sinne der Vorläufer Toynbees. Ein Hauptvertreter und Förderer jener sozial¬ politischen Bewegung, welche die englischen Universitäten mehr und mehr ergreift, verdankte er die Anregung zu seiner Thätigkeit nicht einer vorwiegend religiösen Richtung. Doch verkannte er nicht die unvergleichliche soziale Heilkraft des Christen¬ tums, derjenigen Religion, die gerade für die Verstoßenen der Gesellschaft ge¬ geben sei. Aber er wollte das Christentum uicht „von Pharisäern gelehrt und von Sadduzäern illustrirt, sondern so, wie es sein Stifter selber gelebt hatte." Dem gegenüber konnte er in der Verbreitung weltlicher Kenntnisse nichts schäd¬ liches erblicken. Sein Standpunkt war in dieser Hinsicht der jenes römischen Kaisers, welcher auf die Mitteilung, daß die Christen die Tempel zerstörten, ausrief: „Lasset die Götter sich selber verteidigen." (Fortsetzung folgt.) Wilhelm Herzen. in 27. Januar, morgens zehn Uhr, hat Wilhelm Herzen, der langjährige erste Sekretär des Deutschen archäologischen Instituts in Rom, nach achttägigen, schwerem Leiden die Augen für immer geschlossen. Bis zum letzten Augenblicke von klaren Gedanken, die er jedoch schon seit Tagen nicht mehr auszusprechen ver¬ mochte, starb er unter Gebetsworten eines jungen, im Institut anwesenden Theologen als ein Gerechter nud als ein Christ. Geboren am 24. Januar 1316 zu Bremen,") hatte Herzen in Bonn und Berlin studirt, besonders eng an F. G. Welcker sich anschließend, mit dem er auch im Januar 1842 von Rom, wohin er im Herbste des Jahres 1841 ge- *) Diese Daten sind der „Geschichte des Deutschen archäologischen Instituts von Adolf Michaelis" (Berlin, 1379) entnommen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/427>, abgerufen am 03.07.2024.