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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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sind wohl die häufigen Heiraten der Stadtmädcheu mit den Meißncrn schuld;
aber auch unsrer Obrigkeiten gesetzt und vernunftwidrige Sorglosigkeit in Betreff
der Ausbildung unsrer Sprache," "In Aussig -- klagt er weiter -- kennen
nur sehr wenige unsre Muttersprache, aus denselben Gründen, ans welchen dieser
Mißbrauch in Brüx eingerissen ist,"

Das Sprachenzwangsgcsctz, welches der Landtag von 1615 beschlossen hatte,
war mit seinen drakonischen Paragraphen ganz darauf berechnet, dem deutschen
Wesen i" Böhmen, soweit es der Dreschflegel der Taboriten verschont hatte,
den Garaus zu macheu. Allein was die gewaltige Revolution der Hussiten nicht
hatte ertöten können, vermochte ein bloßer böswilliger Ständebeschluß noch viel
weniger aus dem Leben zu schaffen. So viele Edikte zur Absperrung, Ver¬
treibung und Tschechisirung gegen die Deutschen ins Land hinausgingen, so
wenig wurde damit auf die Dauer erreicht; mir zeitweilig war sogar die Menge
von Plackerei, Demütigung und Beeinträchtigung, die sie verfügten. Böhmen
ließ sich nun einmal nicht aus seiner geographischen Lage Herausreißen, sein
Deutschtum mußte mit dem außcrböhmischen leben, steigen, sinken und wieder
steigen bis auf den heutigen Tag, und das wird, soweit Menschenaugcn sehen,
auch in Zukunft nicht anders sein. Die slawische Sprachinsel besitzt, wie sehr
sie sich auch in diesem Jahrhundert gehoben hat, viel zu wenig geistige und
materielle Kraft, um in dem deutscheu Kulturmeere, das sie umwogt, neues
Laud zu erobern; im Gegenteile, der Prozeß, der sich abspielt, muß im großen
und ganzen, wenn auch mit Unterbrechungen und Rückgängen, weiterschreiten,
und deutschfeindliche legislatorische Machwerke können den natürlichen Gang der
Dinge wohl aufhalten, aber nicht für ewig und wohl mich nicht auf lange.
Es ist in der That sehr bezeichnend, daß wenige Jahre nach 1613, als die
Sprachenbeschlüsse der Stände noch in frischem Andenken standen und in Prag,
gegen dessen deutsche Elemente sie vorzüglich gerichtet waren, noch Anwendung
fanden, ein deutscher Kurfürst mit deutschem Gefolge in Prag als böhmischer
König einzog, und daß in der ersten Sitzung des Landtags von 1618 die drei
Stände desselben nach einem tschechischen Liede das deutsche "Allein Gott in
der Höh' sei Ehr" anstimmten.

Am 8. November 1620 wurden ans dem Weißen Berge bei Prag wich¬
tige Tagesfragen mit dein Schwerte entschieden. Ferdinand II. gewann seinen
böhmischen Thron wieder, und es trat ein vollständiger Wechsel im System
der Regierung ein, an die Stelle des ständischen Wesens gelangte der Absolu¬
tismus, der auch die Religion in seinen Bereich zog und infolgedessen den Pro¬
testantismus aus dem Lande verbannte. War letzteres ein Berlust auch für
die Deutschböhmen, so war die Verfasfungsveränderung insofern ein Gewinn
für sie, als sie dein terroristischen Übermutc der Tschechen im Landtage ein
Ende machte. In der Ferdinandeischen Landesordnung von 1627 wurde die
gleiche Berechtigung der beiden Landessprachen gesetzlich ausgesprochen und der


sind wohl die häufigen Heiraten der Stadtmädcheu mit den Meißncrn schuld;
aber auch unsrer Obrigkeiten gesetzt und vernunftwidrige Sorglosigkeit in Betreff
der Ausbildung unsrer Sprache," „In Aussig — klagt er weiter — kennen
nur sehr wenige unsre Muttersprache, aus denselben Gründen, ans welchen dieser
Mißbrauch in Brüx eingerissen ist,"

Das Sprachenzwangsgcsctz, welches der Landtag von 1615 beschlossen hatte,
war mit seinen drakonischen Paragraphen ganz darauf berechnet, dem deutschen
Wesen i» Böhmen, soweit es der Dreschflegel der Taboriten verschont hatte,
den Garaus zu macheu. Allein was die gewaltige Revolution der Hussiten nicht
hatte ertöten können, vermochte ein bloßer böswilliger Ständebeschluß noch viel
weniger aus dem Leben zu schaffen. So viele Edikte zur Absperrung, Ver¬
treibung und Tschechisirung gegen die Deutschen ins Land hinausgingen, so
wenig wurde damit auf die Dauer erreicht; mir zeitweilig war sogar die Menge
von Plackerei, Demütigung und Beeinträchtigung, die sie verfügten. Böhmen
ließ sich nun einmal nicht aus seiner geographischen Lage Herausreißen, sein
Deutschtum mußte mit dem außcrböhmischen leben, steigen, sinken und wieder
steigen bis auf den heutigen Tag, und das wird, soweit Menschenaugcn sehen,
auch in Zukunft nicht anders sein. Die slawische Sprachinsel besitzt, wie sehr
sie sich auch in diesem Jahrhundert gehoben hat, viel zu wenig geistige und
materielle Kraft, um in dem deutscheu Kulturmeere, das sie umwogt, neues
Laud zu erobern; im Gegenteile, der Prozeß, der sich abspielt, muß im großen
und ganzen, wenn auch mit Unterbrechungen und Rückgängen, weiterschreiten,
und deutschfeindliche legislatorische Machwerke können den natürlichen Gang der
Dinge wohl aufhalten, aber nicht für ewig und wohl mich nicht auf lange.
Es ist in der That sehr bezeichnend, daß wenige Jahre nach 1613, als die
Sprachenbeschlüsse der Stände noch in frischem Andenken standen und in Prag,
gegen dessen deutsche Elemente sie vorzüglich gerichtet waren, noch Anwendung
fanden, ein deutscher Kurfürst mit deutschem Gefolge in Prag als böhmischer
König einzog, und daß in der ersten Sitzung des Landtags von 1618 die drei
Stände desselben nach einem tschechischen Liede das deutsche „Allein Gott in
der Höh' sei Ehr" anstimmten.

Am 8. November 1620 wurden ans dem Weißen Berge bei Prag wich¬
tige Tagesfragen mit dein Schwerte entschieden. Ferdinand II. gewann seinen
böhmischen Thron wieder, und es trat ein vollständiger Wechsel im System
der Regierung ein, an die Stelle des ständischen Wesens gelangte der Absolu¬
tismus, der auch die Religion in seinen Bereich zog und infolgedessen den Pro¬
testantismus aus dem Lande verbannte. War letzteres ein Berlust auch für
die Deutschböhmen, so war die Verfasfungsveränderung insofern ein Gewinn
für sie, als sie dein terroristischen Übermutc der Tschechen im Landtage ein
Ende machte. In der Ferdinandeischen Landesordnung von 1627 wurde die
gleiche Berechtigung der beiden Landessprachen gesetzlich ausgesprochen und der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/415>, abgerufen am 22.07.2024.