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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

mich Wittenberg zogen, um die neue Wahrheit an ihrer Quelle zu studiren,
und anderseits eine Anzahl deutscher Prädikcmten ins Land kamen. Die Prager
Protestanten erbauten sich zwei große Kirchen, in denen deutsch gepredigt wurde,
und errichteten deutsche Schulen, zu deren Leitung Lehrer aus Leipzig berufen
wurden. Ähnlich verfuhren die Bürger von Eger, Kaadcn, Brüx, Friedland,
Braunen und mehreren andern Orten. Deutsche Gelehrte oder doch in Deutsch¬
land ausgebildete waren an der Universität thätig. Auch die Mehrzahl der
böhmischen Jesuiten, welche dem Luthcrtume entgegenwirkten, gehörten der
deutschen Nation an. Wieder sah man, daß Böhmen sich trotz der extremsten
Bestrebungen der Tschechen niemals ans die Dauer von Deutschland zu eman-
zipiren vermochte, und allenthalben leuchtete das böhmische Gefilde von der
hinter den Bergen im Norden aufgegangenen Sonne. Dazu ferner der gleichfalls
von Deutschen ins Land getragene Humanismus, dazu auch der Umstand, daß
mich in den tschechischen Orten das deutsche Recht in Geltung geblieben war.
Die an der schlesischen Grenze holten sich Nechtsbelehrung in Breslau oder
Glatz, die im Norden beim Leitmcritzer Schöffengerichte, das nach Magdeburger
Recht entschied, andre in Eger. wo das Nürnberger galt, und als Rudolf II.
die Autonomie der Städte vernichtet und für alle den Prager Appellhof als
letzte Instanz hingestellt hatte, war es nur süddeutsches Recht, welches über das
norddeutsche siegte. Kurz, der blutige Versuch der hussitischen Tschechen, Böhme"
von Deutschland zu scheiden, hatte für die Dentschböhmcn sehr traurige Folgen,
vermochte aber deren Wiederaufleben nicht unmöglich zu machen und verfehlte
seinen letzten Zweck gänzlich. Dieselben Tschechen, welche dem Deutschtum? in
ihrer Mitte den Untergang geschworen hatten, erhoben in den Habsburger,:
ein deutsches Geschlecht auf den böhmischen Thron, und als sie ihm abgesagt
hatten, griffen sie wiederum, durch die Wahl Friedrichs von der Pfalz, nach einem
deutschen Fürsten. Mit offenen Armen empfingen sie den deutschen Humanismus
und die deutsche Reformation. Auch die Unifizirnng des Rechtes war in ge¬
wissem Sinne eine Germanisirung. Auch die Eiumandernng deutscher Elemente
war nicht ganz aufzuhalten. Das beinahe vollständig im Tschechentum ver¬
sunkene Prag wurde wieder deutscher, und das Vordringen der deutschen Land¬
bevölkerung nach der Mitte hin begann von neuem. Karl von Zcrotiu macht
wiederholt seinem Unwillen darüber Luft, und der Leitmeritzer Stadtschreiber
Stranski sagt in seinem "Staat von Böhmen" bei Besprechung des wieder
erzdentsch gewordenen Kommotau: "Die meisten Deutschen siud von jeher des
unsteten Wanderns gewohnt gewesen. Leicht verlassen sie den Ort ihrer Geburt
und suchen wie in verflossenen Zeiten auch jetzt noch unter uns neue Sitze,
aber zu nicht geringem Nachteile unsrer Sprache. Denn so lieb ihnen der
Aufenthalt unter uns ist, für so entbehrlich halten sie es, unsre Sprache zu
lernen." Von Brüx bedauert derselbe Schriftsteller, daß die Stadt das
Tschechische bereits (um 1620) vollständig verloren habe, und meint, daran


Deutsch-böhmische Briefe.

mich Wittenberg zogen, um die neue Wahrheit an ihrer Quelle zu studiren,
und anderseits eine Anzahl deutscher Prädikcmten ins Land kamen. Die Prager
Protestanten erbauten sich zwei große Kirchen, in denen deutsch gepredigt wurde,
und errichteten deutsche Schulen, zu deren Leitung Lehrer aus Leipzig berufen
wurden. Ähnlich verfuhren die Bürger von Eger, Kaadcn, Brüx, Friedland,
Braunen und mehreren andern Orten. Deutsche Gelehrte oder doch in Deutsch¬
land ausgebildete waren an der Universität thätig. Auch die Mehrzahl der
böhmischen Jesuiten, welche dem Luthcrtume entgegenwirkten, gehörten der
deutschen Nation an. Wieder sah man, daß Böhmen sich trotz der extremsten
Bestrebungen der Tschechen niemals ans die Dauer von Deutschland zu eman-
zipiren vermochte, und allenthalben leuchtete das böhmische Gefilde von der
hinter den Bergen im Norden aufgegangenen Sonne. Dazu ferner der gleichfalls
von Deutschen ins Land getragene Humanismus, dazu auch der Umstand, daß
mich in den tschechischen Orten das deutsche Recht in Geltung geblieben war.
Die an der schlesischen Grenze holten sich Nechtsbelehrung in Breslau oder
Glatz, die im Norden beim Leitmcritzer Schöffengerichte, das nach Magdeburger
Recht entschied, andre in Eger. wo das Nürnberger galt, und als Rudolf II.
die Autonomie der Städte vernichtet und für alle den Prager Appellhof als
letzte Instanz hingestellt hatte, war es nur süddeutsches Recht, welches über das
norddeutsche siegte. Kurz, der blutige Versuch der hussitischen Tschechen, Böhme»
von Deutschland zu scheiden, hatte für die Dentschböhmcn sehr traurige Folgen,
vermochte aber deren Wiederaufleben nicht unmöglich zu machen und verfehlte
seinen letzten Zweck gänzlich. Dieselben Tschechen, welche dem Deutschtum? in
ihrer Mitte den Untergang geschworen hatten, erhoben in den Habsburger,:
ein deutsches Geschlecht auf den böhmischen Thron, und als sie ihm abgesagt
hatten, griffen sie wiederum, durch die Wahl Friedrichs von der Pfalz, nach einem
deutschen Fürsten. Mit offenen Armen empfingen sie den deutschen Humanismus
und die deutsche Reformation. Auch die Unifizirnng des Rechtes war in ge¬
wissem Sinne eine Germanisirung. Auch die Eiumandernng deutscher Elemente
war nicht ganz aufzuhalten. Das beinahe vollständig im Tschechentum ver¬
sunkene Prag wurde wieder deutscher, und das Vordringen der deutschen Land¬
bevölkerung nach der Mitte hin begann von neuem. Karl von Zcrotiu macht
wiederholt seinem Unwillen darüber Luft, und der Leitmeritzer Stadtschreiber
Stranski sagt in seinem „Staat von Böhmen" bei Besprechung des wieder
erzdentsch gewordenen Kommotau: „Die meisten Deutschen siud von jeher des
unsteten Wanderns gewohnt gewesen. Leicht verlassen sie den Ort ihrer Geburt
und suchen wie in verflossenen Zeiten auch jetzt noch unter uns neue Sitze,
aber zu nicht geringem Nachteile unsrer Sprache. Denn so lieb ihnen der
Aufenthalt unter uns ist, für so entbehrlich halten sie es, unsre Sprache zu
lernen." Von Brüx bedauert derselbe Schriftsteller, daß die Stadt das
Tschechische bereits (um 1620) vollständig verloren habe, und meint, daran


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[0414] Deutsch-böhmische Briefe. mich Wittenberg zogen, um die neue Wahrheit an ihrer Quelle zu studiren, und anderseits eine Anzahl deutscher Prädikcmten ins Land kamen. Die Prager Protestanten erbauten sich zwei große Kirchen, in denen deutsch gepredigt wurde, und errichteten deutsche Schulen, zu deren Leitung Lehrer aus Leipzig berufen wurden. Ähnlich verfuhren die Bürger von Eger, Kaadcn, Brüx, Friedland, Braunen und mehreren andern Orten. Deutsche Gelehrte oder doch in Deutsch¬ land ausgebildete waren an der Universität thätig. Auch die Mehrzahl der böhmischen Jesuiten, welche dem Luthcrtume entgegenwirkten, gehörten der deutschen Nation an. Wieder sah man, daß Böhmen sich trotz der extremsten Bestrebungen der Tschechen niemals ans die Dauer von Deutschland zu eman- zipiren vermochte, und allenthalben leuchtete das böhmische Gefilde von der hinter den Bergen im Norden aufgegangenen Sonne. Dazu ferner der gleichfalls von Deutschen ins Land getragene Humanismus, dazu auch der Umstand, daß mich in den tschechischen Orten das deutsche Recht in Geltung geblieben war. Die an der schlesischen Grenze holten sich Nechtsbelehrung in Breslau oder Glatz, die im Norden beim Leitmcritzer Schöffengerichte, das nach Magdeburger Recht entschied, andre in Eger. wo das Nürnberger galt, und als Rudolf II. die Autonomie der Städte vernichtet und für alle den Prager Appellhof als letzte Instanz hingestellt hatte, war es nur süddeutsches Recht, welches über das norddeutsche siegte. Kurz, der blutige Versuch der hussitischen Tschechen, Böhme» von Deutschland zu scheiden, hatte für die Dentschböhmcn sehr traurige Folgen, vermochte aber deren Wiederaufleben nicht unmöglich zu machen und verfehlte seinen letzten Zweck gänzlich. Dieselben Tschechen, welche dem Deutschtum? in ihrer Mitte den Untergang geschworen hatten, erhoben in den Habsburger,: ein deutsches Geschlecht auf den böhmischen Thron, und als sie ihm abgesagt hatten, griffen sie wiederum, durch die Wahl Friedrichs von der Pfalz, nach einem deutschen Fürsten. Mit offenen Armen empfingen sie den deutschen Humanismus und die deutsche Reformation. Auch die Unifizirnng des Rechtes war in ge¬ wissem Sinne eine Germanisirung. Auch die Eiumandernng deutscher Elemente war nicht ganz aufzuhalten. Das beinahe vollständig im Tschechentum ver¬ sunkene Prag wurde wieder deutscher, und das Vordringen der deutschen Land¬ bevölkerung nach der Mitte hin begann von neuem. Karl von Zcrotiu macht wiederholt seinem Unwillen darüber Luft, und der Leitmeritzer Stadtschreiber Stranski sagt in seinem „Staat von Böhmen" bei Besprechung des wieder erzdentsch gewordenen Kommotau: „Die meisten Deutschen siud von jeher des unsteten Wanderns gewohnt gewesen. Leicht verlassen sie den Ort ihrer Geburt und suchen wie in verflossenen Zeiten auch jetzt noch unter uns neue Sitze, aber zu nicht geringem Nachteile unsrer Sprache. Denn so lieb ihnen der Aufenthalt unter uns ist, für so entbehrlich halten sie es, unsre Sprache zu lernen." Von Brüx bedauert derselbe Schriftsteller, daß die Stadt das Tschechische bereits (um 1620) vollständig verloren habe, und meint, daran

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/414>, abgerufen am 03.07.2024.