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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Deutsch-böhmische Briefe.

fordert keine Zinsen, verschafft ihnen Kredit, steht für den Schaden und laßt
ihnen allen Gewinn." Auch das gewerbliche Leben sank nach der Umwandlung
der Städte, welche die Deutschen auftrieb oder in die zweite Reihe herunter-
stelltc. Die tschechischen Neubürger befaßten sich fast nur mit dem Kleinbetriebe
des Handwerks, der die gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse lieferte, und nur das
Brauwesen, die Fabrikation von Waffen und die Linnen- und Tuchweberei
wurden von ihnen in etwas größeren Maßstabe gepflegt; doch geschah dies
bei den beiden letzten Industriezweigen auch in dieser Periode mehr Vonseiten
der nordböhmischen Deutschen. Ebenso wie der Handel und die Industrie, litt
der Bergbau unter den Folgen des Sieges der Tschechen. Die deutschen Knappen
und Bcrgverständigen waren entweder für die Sache ihres Königs gefallen oder
ausgewandert. Die Wasserkünste waren verfallen, die Grube" infolge dessen
zum Teile ersoffen, und es fehlte vor allem an Geld, da die Tschechen davon
wenig besaßen und deutsche Gewerke wegen der die Niederlassung von Aus¬
ländern erschwerenden neuen Gesetze sich nicht leicht finden ließen. So blieben
die Zechen von Dentschbrod verlassen, Eule erlangte das frühere Leben nicht
entfernt wieder, und dasselbe war mit dem Vergreichensteiner Revier der Fall.
Nur die erzgebirgischen Werke Preßnitz, Joachimsthal und Graupen und die
im südböhmischcn Krummau, welche mit deutschen Kräften betrieben wurden,
machten von dieser Stagnation eine Ausnahme. Kuttenberg dagegen vermochte
sich nur halb zu erholen.

Wie kam es nun, daß die Dentschböhmen dem Hussitenstnrme so kläglich
erlagen? Die Hnuptursache ihrer Schwäche bei ihrer bedeutenden Zahl und
ihrem Wohlstande war der Mangel an Einigkeit, die Zersplitterung ihrer Kräfte
gegenüber den Tschechen, die sich wie ein Mann gegen sie erhoben und mit der
Gewalt eines neuen Glaubens gegen sie, die Vertreter des alten, anstürmten.
Unter Heinrich von Kärnten und Johann von Luxemburg hatte ein Städte¬
bund die deutschen Bürger Böhmens vereinigt und damit Erfolge erzielt. Jetzt
hätte ein solcher ein Heer aufstellen können, welches imstande gewesen wäre, zu
verhindern, daß das Deutschtum Ort nach Ort, wie eine Artischocke Blatt für
Blatt, von dem Hasse des Tschechentums aufgezehrt wurde. Aber es fehlte an
dem Bewußtsein der Interessengemeinschaft und an dem Manne, der ihnen diese
klar gemacht und sie daraufhin handeln gelehrt hätte. Die Folgen bildeten eine
Mahnung für ihre heutigen Nachkommen, welche allgemeine Beherzigung'verdient.

Der Umstand, daß 1526 das Haus der Habsburger in den Besitz des
böhmischen Thrones gelangte, besserte die Lage der Deutschen wenig, obwohl
Ferdinand I., nachdem er die Revolution von 1547 besiegt hatte, sehr wohl in
der Lage gewesen wäre, ihnen gründlich zu helfen. Maximilian II. hielt einen
deutschen Hof, besaß aber wenig Energie und keinerlei Interesse für nationale
Dinge. Mathias endlich verhielt sich gegenüber den tschechisch gesinnten Stände"
ganz willenlos und bestätigte 1615 ohne Anstand ein Sprachengesetz des Land-


Deutsch-böhmische Briefe.

fordert keine Zinsen, verschafft ihnen Kredit, steht für den Schaden und laßt
ihnen allen Gewinn." Auch das gewerbliche Leben sank nach der Umwandlung
der Städte, welche die Deutschen auftrieb oder in die zweite Reihe herunter-
stelltc. Die tschechischen Neubürger befaßten sich fast nur mit dem Kleinbetriebe
des Handwerks, der die gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse lieferte, und nur das
Brauwesen, die Fabrikation von Waffen und die Linnen- und Tuchweberei
wurden von ihnen in etwas größeren Maßstabe gepflegt; doch geschah dies
bei den beiden letzten Industriezweigen auch in dieser Periode mehr Vonseiten
der nordböhmischen Deutschen. Ebenso wie der Handel und die Industrie, litt
der Bergbau unter den Folgen des Sieges der Tschechen. Die deutschen Knappen
und Bcrgverständigen waren entweder für die Sache ihres Königs gefallen oder
ausgewandert. Die Wasserkünste waren verfallen, die Grube» infolge dessen
zum Teile ersoffen, und es fehlte vor allem an Geld, da die Tschechen davon
wenig besaßen und deutsche Gewerke wegen der die Niederlassung von Aus¬
ländern erschwerenden neuen Gesetze sich nicht leicht finden ließen. So blieben
die Zechen von Dentschbrod verlassen, Eule erlangte das frühere Leben nicht
entfernt wieder, und dasselbe war mit dem Vergreichensteiner Revier der Fall.
Nur die erzgebirgischen Werke Preßnitz, Joachimsthal und Graupen und die
im südböhmischcn Krummau, welche mit deutschen Kräften betrieben wurden,
machten von dieser Stagnation eine Ausnahme. Kuttenberg dagegen vermochte
sich nur halb zu erholen.

Wie kam es nun, daß die Dentschböhmen dem Hussitenstnrme so kläglich
erlagen? Die Hnuptursache ihrer Schwäche bei ihrer bedeutenden Zahl und
ihrem Wohlstande war der Mangel an Einigkeit, die Zersplitterung ihrer Kräfte
gegenüber den Tschechen, die sich wie ein Mann gegen sie erhoben und mit der
Gewalt eines neuen Glaubens gegen sie, die Vertreter des alten, anstürmten.
Unter Heinrich von Kärnten und Johann von Luxemburg hatte ein Städte¬
bund die deutschen Bürger Böhmens vereinigt und damit Erfolge erzielt. Jetzt
hätte ein solcher ein Heer aufstellen können, welches imstande gewesen wäre, zu
verhindern, daß das Deutschtum Ort nach Ort, wie eine Artischocke Blatt für
Blatt, von dem Hasse des Tschechentums aufgezehrt wurde. Aber es fehlte an
dem Bewußtsein der Interessengemeinschaft und an dem Manne, der ihnen diese
klar gemacht und sie daraufhin handeln gelehrt hätte. Die Folgen bildeten eine
Mahnung für ihre heutigen Nachkommen, welche allgemeine Beherzigung'verdient.

Der Umstand, daß 1526 das Haus der Habsburger in den Besitz des
böhmischen Thrones gelangte, besserte die Lage der Deutschen wenig, obwohl
Ferdinand I., nachdem er die Revolution von 1547 besiegt hatte, sehr wohl in
der Lage gewesen wäre, ihnen gründlich zu helfen. Maximilian II. hielt einen
deutschen Hof, besaß aber wenig Energie und keinerlei Interesse für nationale
Dinge. Mathias endlich verhielt sich gegenüber den tschechisch gesinnten Stände»
ganz willenlos und bestätigte 1615 ohne Anstand ein Sprachengesetz des Land-


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[0412] Deutsch-böhmische Briefe. fordert keine Zinsen, verschafft ihnen Kredit, steht für den Schaden und laßt ihnen allen Gewinn." Auch das gewerbliche Leben sank nach der Umwandlung der Städte, welche die Deutschen auftrieb oder in die zweite Reihe herunter- stelltc. Die tschechischen Neubürger befaßten sich fast nur mit dem Kleinbetriebe des Handwerks, der die gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse lieferte, und nur das Brauwesen, die Fabrikation von Waffen und die Linnen- und Tuchweberei wurden von ihnen in etwas größeren Maßstabe gepflegt; doch geschah dies bei den beiden letzten Industriezweigen auch in dieser Periode mehr Vonseiten der nordböhmischen Deutschen. Ebenso wie der Handel und die Industrie, litt der Bergbau unter den Folgen des Sieges der Tschechen. Die deutschen Knappen und Bcrgverständigen waren entweder für die Sache ihres Königs gefallen oder ausgewandert. Die Wasserkünste waren verfallen, die Grube» infolge dessen zum Teile ersoffen, und es fehlte vor allem an Geld, da die Tschechen davon wenig besaßen und deutsche Gewerke wegen der die Niederlassung von Aus¬ ländern erschwerenden neuen Gesetze sich nicht leicht finden ließen. So blieben die Zechen von Dentschbrod verlassen, Eule erlangte das frühere Leben nicht entfernt wieder, und dasselbe war mit dem Vergreichensteiner Revier der Fall. Nur die erzgebirgischen Werke Preßnitz, Joachimsthal und Graupen und die im südböhmischcn Krummau, welche mit deutschen Kräften betrieben wurden, machten von dieser Stagnation eine Ausnahme. Kuttenberg dagegen vermochte sich nur halb zu erholen. Wie kam es nun, daß die Dentschböhmen dem Hussitenstnrme so kläglich erlagen? Die Hnuptursache ihrer Schwäche bei ihrer bedeutenden Zahl und ihrem Wohlstande war der Mangel an Einigkeit, die Zersplitterung ihrer Kräfte gegenüber den Tschechen, die sich wie ein Mann gegen sie erhoben und mit der Gewalt eines neuen Glaubens gegen sie, die Vertreter des alten, anstürmten. Unter Heinrich von Kärnten und Johann von Luxemburg hatte ein Städte¬ bund die deutschen Bürger Böhmens vereinigt und damit Erfolge erzielt. Jetzt hätte ein solcher ein Heer aufstellen können, welches imstande gewesen wäre, zu verhindern, daß das Deutschtum Ort nach Ort, wie eine Artischocke Blatt für Blatt, von dem Hasse des Tschechentums aufgezehrt wurde. Aber es fehlte an dem Bewußtsein der Interessengemeinschaft und an dem Manne, der ihnen diese klar gemacht und sie daraufhin handeln gelehrt hätte. Die Folgen bildeten eine Mahnung für ihre heutigen Nachkommen, welche allgemeine Beherzigung'verdient. Der Umstand, daß 1526 das Haus der Habsburger in den Besitz des böhmischen Thrones gelangte, besserte die Lage der Deutschen wenig, obwohl Ferdinand I., nachdem er die Revolution von 1547 besiegt hatte, sehr wohl in der Lage gewesen wäre, ihnen gründlich zu helfen. Maximilian II. hielt einen deutschen Hof, besaß aber wenig Energie und keinerlei Interesse für nationale Dinge. Mathias endlich verhielt sich gegenüber den tschechisch gesinnten Stände» ganz willenlos und bestätigte 1615 ohne Anstand ein Sprachengesetz des Land-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/412>, abgerufen am 22.07.2024.