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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Lin englischer Taktiker über den deutsch-französischen Krieg.

hielt, erwiesen hatten. Das lag an dem objektiven Sinne der angelsächsischen
Nasse, an der ihr eingeborne" Neigung zum Wahren und Wirklichen, an ihrer
instinktiven Abneigung vor Wahngebilden, Illusionen und Hirngespinnsten. Es
ist das derselbe Zug, der die englische Presse, namentlich denjenigen Teil der¬
selben, der aus Wochen- und Monatsschriften besteht, zur objektivster und
pragmatischsten der Welt macht.

So hat es denn in England auch nicht an Stimmen gefehlt, welche sich
über die deutsche Kriegskunst, wie sie sich in dem Kriege von 1870 offenbarte,
aussprachen. Man glaubt auf dem Kontinent nicht sehr an die militärische
Maßgeblichkeit der englischen Offiziere; dennoch giebt es unter ihnen Männer
von großer Bildung und gründlichen Kenntnissen, Männer, deren Meinung
Beachtung erheischt, und so verdient auch eines der neueren Werke der kriegs¬
wissenschaftlichen Literatur Englands ein besondres Interesse in Deutschland,
insofern es die taktischen Erfahrungen während des deutsch-französischen Krieges
einer eingehenden Betrachtung unterwirft. Sein Verfasser, der Kapitän
F. Gleadowe Stone, ist Mitglied des Generalstabs und Justruktor der Be¬
festigungskunde am Millin-^ Oo1I<zg'"z zu Sandhurst.

Herrn Gleadowe Stores I^otioat Lwcliss trollt tluz ^rAnoo-Osrin-ur "Wm-
ol 1870 -- 1871 (London, 1884) entwickeln die Ansicht, daß der deutsch-fran¬
zösische Krieg der letzte und bedeutendste sei, der aus die Taktik von bestimmenden
Einflüsse gewesen sei. Wenn sich auch die Kriegskunst nicht, nach einem be¬
liebten, aber sehr übertriebenen Ausspruche Napoleons, alle zehn Jahre voll¬
kommen umgestaltet, so ist es doch ersichtlich, daß viele taktische Probleme und
Theorien uach jedem bedeutenderen Feldzuge beträchtliche Abänderungen erleiden.
Der letzte Krieg, der das technische Interesse der Militärs aller Nationen
fesselte, war der russische Einmarsch in die Türkei vom Jahre 1877. Es ist
aber vom militärischen Standpunkte aus eine der sonderbarsten Erscheinungen,
daß es Rußland bei seinem Kriegszuge gegen die Türkei versäumt hat, die
praktischen Lehren des deutsch-französischen Krieges zu verwerten. Besonders
trifft dieser Vorwurf zu in Bezug auf die geeignete Anwendung der Reiterei,
auf die kombinirte Aktion der Artillerie, auf die Würdigung der weittragenden
Feuerwaffen, und endlich auf die durch die moderne Kriegführung erwiesene
Notwendigkeit, den Vorstoß durch die Feuerwirlnng zu ersetze". Ju allen diesen
wichtige,? Frage" siud die Erfahrungen des russisch-türkischen Krieges bloße
Wiederholungen des deutsch-fra"zösischen und weisen mithin nach keiner andern
Richtung als die letztern, nur mit weniger Klarheit und Entschiedenheit. In
Übereinstimmung mit der Meinung unsrer militärischen Kreise ist es deshalb
auch Kapitän Stores Ansicht, daß die Ereignisse von 1870 ohne Zweifel noch
immer die geeignetsten Beispiele für das kritische Studium der Strategie und
Taktik tiefer", besonders aber jene Reihe heißer Kämpfe, die, abschließend mit
der Kapitulation von Sedan, den erste" Abschmtt des Feldzuges bilden.


Lin englischer Taktiker über den deutsch-französischen Krieg.

hielt, erwiesen hatten. Das lag an dem objektiven Sinne der angelsächsischen
Nasse, an der ihr eingeborne» Neigung zum Wahren und Wirklichen, an ihrer
instinktiven Abneigung vor Wahngebilden, Illusionen und Hirngespinnsten. Es
ist das derselbe Zug, der die englische Presse, namentlich denjenigen Teil der¬
selben, der aus Wochen- und Monatsschriften besteht, zur objektivster und
pragmatischsten der Welt macht.

So hat es denn in England auch nicht an Stimmen gefehlt, welche sich
über die deutsche Kriegskunst, wie sie sich in dem Kriege von 1870 offenbarte,
aussprachen. Man glaubt auf dem Kontinent nicht sehr an die militärische
Maßgeblichkeit der englischen Offiziere; dennoch giebt es unter ihnen Männer
von großer Bildung und gründlichen Kenntnissen, Männer, deren Meinung
Beachtung erheischt, und so verdient auch eines der neueren Werke der kriegs¬
wissenschaftlichen Literatur Englands ein besondres Interesse in Deutschland,
insofern es die taktischen Erfahrungen während des deutsch-französischen Krieges
einer eingehenden Betrachtung unterwirft. Sein Verfasser, der Kapitän
F. Gleadowe Stone, ist Mitglied des Generalstabs und Justruktor der Be¬
festigungskunde am Millin-^ Oo1I<zg'«z zu Sandhurst.

Herrn Gleadowe Stores I^otioat Lwcliss trollt tluz ^rAnoo-Osrin-ur "Wm-
ol 1870 — 1871 (London, 1884) entwickeln die Ansicht, daß der deutsch-fran¬
zösische Krieg der letzte und bedeutendste sei, der aus die Taktik von bestimmenden
Einflüsse gewesen sei. Wenn sich auch die Kriegskunst nicht, nach einem be¬
liebten, aber sehr übertriebenen Ausspruche Napoleons, alle zehn Jahre voll¬
kommen umgestaltet, so ist es doch ersichtlich, daß viele taktische Probleme und
Theorien uach jedem bedeutenderen Feldzuge beträchtliche Abänderungen erleiden.
Der letzte Krieg, der das technische Interesse der Militärs aller Nationen
fesselte, war der russische Einmarsch in die Türkei vom Jahre 1877. Es ist
aber vom militärischen Standpunkte aus eine der sonderbarsten Erscheinungen,
daß es Rußland bei seinem Kriegszuge gegen die Türkei versäumt hat, die
praktischen Lehren des deutsch-französischen Krieges zu verwerten. Besonders
trifft dieser Vorwurf zu in Bezug auf die geeignete Anwendung der Reiterei,
auf die kombinirte Aktion der Artillerie, auf die Würdigung der weittragenden
Feuerwaffen, und endlich auf die durch die moderne Kriegführung erwiesene
Notwendigkeit, den Vorstoß durch die Feuerwirlnng zu ersetze». Ju allen diesen
wichtige,? Frage» siud die Erfahrungen des russisch-türkischen Krieges bloße
Wiederholungen des deutsch-fra»zösischen und weisen mithin nach keiner andern
Richtung als die letztern, nur mit weniger Klarheit und Entschiedenheit. In
Übereinstimmung mit der Meinung unsrer militärischen Kreise ist es deshalb
auch Kapitän Stores Ansicht, daß die Ereignisse von 1870 ohne Zweifel noch
immer die geeignetsten Beispiele für das kritische Studium der Strategie und
Taktik tiefer», besonders aber jene Reihe heißer Kämpfe, die, abschließend mit
der Kapitulation von Sedan, den erste» Abschmtt des Feldzuges bilden.


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[0372] Lin englischer Taktiker über den deutsch-französischen Krieg. hielt, erwiesen hatten. Das lag an dem objektiven Sinne der angelsächsischen Nasse, an der ihr eingeborne» Neigung zum Wahren und Wirklichen, an ihrer instinktiven Abneigung vor Wahngebilden, Illusionen und Hirngespinnsten. Es ist das derselbe Zug, der die englische Presse, namentlich denjenigen Teil der¬ selben, der aus Wochen- und Monatsschriften besteht, zur objektivster und pragmatischsten der Welt macht. So hat es denn in England auch nicht an Stimmen gefehlt, welche sich über die deutsche Kriegskunst, wie sie sich in dem Kriege von 1870 offenbarte, aussprachen. Man glaubt auf dem Kontinent nicht sehr an die militärische Maßgeblichkeit der englischen Offiziere; dennoch giebt es unter ihnen Männer von großer Bildung und gründlichen Kenntnissen, Männer, deren Meinung Beachtung erheischt, und so verdient auch eines der neueren Werke der kriegs¬ wissenschaftlichen Literatur Englands ein besondres Interesse in Deutschland, insofern es die taktischen Erfahrungen während des deutsch-französischen Krieges einer eingehenden Betrachtung unterwirft. Sein Verfasser, der Kapitän F. Gleadowe Stone, ist Mitglied des Generalstabs und Justruktor der Be¬ festigungskunde am Millin-^ Oo1I<zg'«z zu Sandhurst. Herrn Gleadowe Stores I^otioat Lwcliss trollt tluz ^rAnoo-Osrin-ur "Wm- ol 1870 — 1871 (London, 1884) entwickeln die Ansicht, daß der deutsch-fran¬ zösische Krieg der letzte und bedeutendste sei, der aus die Taktik von bestimmenden Einflüsse gewesen sei. Wenn sich auch die Kriegskunst nicht, nach einem be¬ liebten, aber sehr übertriebenen Ausspruche Napoleons, alle zehn Jahre voll¬ kommen umgestaltet, so ist es doch ersichtlich, daß viele taktische Probleme und Theorien uach jedem bedeutenderen Feldzuge beträchtliche Abänderungen erleiden. Der letzte Krieg, der das technische Interesse der Militärs aller Nationen fesselte, war der russische Einmarsch in die Türkei vom Jahre 1877. Es ist aber vom militärischen Standpunkte aus eine der sonderbarsten Erscheinungen, daß es Rußland bei seinem Kriegszuge gegen die Türkei versäumt hat, die praktischen Lehren des deutsch-französischen Krieges zu verwerten. Besonders trifft dieser Vorwurf zu in Bezug auf die geeignete Anwendung der Reiterei, auf die kombinirte Aktion der Artillerie, auf die Würdigung der weittragenden Feuerwaffen, und endlich auf die durch die moderne Kriegführung erwiesene Notwendigkeit, den Vorstoß durch die Feuerwirlnng zu ersetze». Ju allen diesen wichtige,? Frage» siud die Erfahrungen des russisch-türkischen Krieges bloße Wiederholungen des deutsch-fra»zösischen und weisen mithin nach keiner andern Richtung als die letztern, nur mit weniger Klarheit und Entschiedenheit. In Übereinstimmung mit der Meinung unsrer militärischen Kreise ist es deshalb auch Kapitän Stores Ansicht, daß die Ereignisse von 1870 ohne Zweifel noch immer die geeignetsten Beispiele für das kritische Studium der Strategie und Taktik tiefer», besonders aber jene Reihe heißer Kämpfe, die, abschließend mit der Kapitulation von Sedan, den erste» Abschmtt des Feldzuges bilden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/372>, abgerufen am 22.07.2024.