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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Ingendorinnerungen.

habe einzig und allein mir Preußen gewonnen, so wurde just dieses Land,
wenigstens in Sachsen, ein Gegenstand der entschiedensten Abneigung.

Es zeugte von wenig politischer Einsicht, daß man diese Abneigung in
den Gemütern der Jugend eher zu nähren als abzuschwächen suchte. Sie wuchs
mit uns groß und verstärkte sich bei manchem wohl bis zum thörichten Ingrimm,
der nur sehr langsam sich in sich selbst verzehrte. Ja ich bin überzeugt, daß
gegenwärtig noch genug alte Leute in Sachsen leben, die ihre Abneigung gegen
Preuße" noch nicht überwunden haben. So tief und fest wurzelt ein Vor¬
urteil, das früh der Kinderseele eingeimpft wird.

Es hätte durch Schule nud Lehrer manches geschehen können zur Auf¬
klärung der Jugend wie des Volkes, allein es geschah garnichts. Auch beim
Geschichtsunterricht in den Schulen wurde der kitzliche Punkt der Teilung
Sachsens, der uns stets in gelinde Wut versetzte, ohne irgend welche Bemerkung
berührt. Freilich waren damals aus Preußen auch keine begehrenswerte" Schütze
zu holen; es gab dort eher Einrichtungen, die in Sachsen niemand nachgeahmt
sehen mochte, und so darf denn wohl die allgemeine politische Trostlosigkeit, welche
das ganze Deutschland wie eine finstere Wetterwolke überdeckte, einigermaßen als
Entschuldigung auch für die politische Kurzsichtigkeit selbst der Gebildeten dienen.

Die erwähnten Kämpfe im Verein mit andern Knaben abgerechnet, kamen
wir mit Kindern der Ortseinwohner nur selten in Berührung, was sich aus
der Stellung des Vaters zur Gemeinde erklärte. Zwischen der Familie des
Predigers und allen andern Einwohnern des Dorfes klaffte eine weite und tiefe
Kluft, die schwer zu überbrücken war, ohne daß der Abstand zwischen beiden
Teilen, die einander nicht beigeordnet, sondern über- und untergeordnet waren,
empfunden worden wäre. Dem Bauer, auch dem aufgeweckten, galt vor sechs
Jahrzehnten der Prediger, welcher ihm allsonntäglich das Wort Gottes aus¬
legte, als der schlechthin Wissende, weil er auf der hohen Schule gewesen war
und dort studirt hatte, und weil er dahin nochmals auf kurze Zeit zurückkehren
mußte, um von dem Superintendenten ordinirt zu werden, ehe er als erwählter
Prediger sein Amt antreten konnte; darum mußte er c>" Kenntnissen auch die
Begabtesten und Klügsten in der Gemeinde weit überragen. Die Ordination,
die damals noch nicht öffentlich war, verlieh dem Pastor eine geheimnisvolle
Weihe. Richtig benutzt, konnte die hohe Achtung, welche der Bauer vor der
Würde des Priesters hatte, nach vielen Seiten hin Gutes wirken, falsch ver¬
standen und gemißbraucht aber auch faule Früchte zeitige,?.

Aber bei aller Trennung, die sonach zwischen dem Prediger und den
einzelnen Gemeindegliedern stattfand, fehlten doch keineswegs Vertrauen und
offenes Entgegenkommen. Beide steigerten sich zu herzlicher Verehrung, wenn
der Prediger statt des eingebildeten, sich über alle andern hoch erhaben
dünkenden Gelehrten den humanen, an allem, was die Gemeinde betraf, auf¬
richtig teilnehmenden Menschen herauskehrte.


Ingendorinnerungen.

habe einzig und allein mir Preußen gewonnen, so wurde just dieses Land,
wenigstens in Sachsen, ein Gegenstand der entschiedensten Abneigung.

Es zeugte von wenig politischer Einsicht, daß man diese Abneigung in
den Gemütern der Jugend eher zu nähren als abzuschwächen suchte. Sie wuchs
mit uns groß und verstärkte sich bei manchem wohl bis zum thörichten Ingrimm,
der nur sehr langsam sich in sich selbst verzehrte. Ja ich bin überzeugt, daß
gegenwärtig noch genug alte Leute in Sachsen leben, die ihre Abneigung gegen
Preuße» noch nicht überwunden haben. So tief und fest wurzelt ein Vor¬
urteil, das früh der Kinderseele eingeimpft wird.

Es hätte durch Schule nud Lehrer manches geschehen können zur Auf¬
klärung der Jugend wie des Volkes, allein es geschah garnichts. Auch beim
Geschichtsunterricht in den Schulen wurde der kitzliche Punkt der Teilung
Sachsens, der uns stets in gelinde Wut versetzte, ohne irgend welche Bemerkung
berührt. Freilich waren damals aus Preußen auch keine begehrenswerte» Schütze
zu holen; es gab dort eher Einrichtungen, die in Sachsen niemand nachgeahmt
sehen mochte, und so darf denn wohl die allgemeine politische Trostlosigkeit, welche
das ganze Deutschland wie eine finstere Wetterwolke überdeckte, einigermaßen als
Entschuldigung auch für die politische Kurzsichtigkeit selbst der Gebildeten dienen.

Die erwähnten Kämpfe im Verein mit andern Knaben abgerechnet, kamen
wir mit Kindern der Ortseinwohner nur selten in Berührung, was sich aus
der Stellung des Vaters zur Gemeinde erklärte. Zwischen der Familie des
Predigers und allen andern Einwohnern des Dorfes klaffte eine weite und tiefe
Kluft, die schwer zu überbrücken war, ohne daß der Abstand zwischen beiden
Teilen, die einander nicht beigeordnet, sondern über- und untergeordnet waren,
empfunden worden wäre. Dem Bauer, auch dem aufgeweckten, galt vor sechs
Jahrzehnten der Prediger, welcher ihm allsonntäglich das Wort Gottes aus¬
legte, als der schlechthin Wissende, weil er auf der hohen Schule gewesen war
und dort studirt hatte, und weil er dahin nochmals auf kurze Zeit zurückkehren
mußte, um von dem Superintendenten ordinirt zu werden, ehe er als erwählter
Prediger sein Amt antreten konnte; darum mußte er c>» Kenntnissen auch die
Begabtesten und Klügsten in der Gemeinde weit überragen. Die Ordination,
die damals noch nicht öffentlich war, verlieh dem Pastor eine geheimnisvolle
Weihe. Richtig benutzt, konnte die hohe Achtung, welche der Bauer vor der
Würde des Priesters hatte, nach vielen Seiten hin Gutes wirken, falsch ver¬
standen und gemißbraucht aber auch faule Früchte zeitige,?.

Aber bei aller Trennung, die sonach zwischen dem Prediger und den
einzelnen Gemeindegliedern stattfand, fehlten doch keineswegs Vertrauen und
offenes Entgegenkommen. Beide steigerten sich zu herzlicher Verehrung, wenn
der Prediger statt des eingebildeten, sich über alle andern hoch erhaben
dünkenden Gelehrten den humanen, an allem, was die Gemeinde betraf, auf¬
richtig teilnehmenden Menschen herauskehrte.


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[0346] Ingendorinnerungen. habe einzig und allein mir Preußen gewonnen, so wurde just dieses Land, wenigstens in Sachsen, ein Gegenstand der entschiedensten Abneigung. Es zeugte von wenig politischer Einsicht, daß man diese Abneigung in den Gemütern der Jugend eher zu nähren als abzuschwächen suchte. Sie wuchs mit uns groß und verstärkte sich bei manchem wohl bis zum thörichten Ingrimm, der nur sehr langsam sich in sich selbst verzehrte. Ja ich bin überzeugt, daß gegenwärtig noch genug alte Leute in Sachsen leben, die ihre Abneigung gegen Preuße» noch nicht überwunden haben. So tief und fest wurzelt ein Vor¬ urteil, das früh der Kinderseele eingeimpft wird. Es hätte durch Schule nud Lehrer manches geschehen können zur Auf¬ klärung der Jugend wie des Volkes, allein es geschah garnichts. Auch beim Geschichtsunterricht in den Schulen wurde der kitzliche Punkt der Teilung Sachsens, der uns stets in gelinde Wut versetzte, ohne irgend welche Bemerkung berührt. Freilich waren damals aus Preußen auch keine begehrenswerte» Schütze zu holen; es gab dort eher Einrichtungen, die in Sachsen niemand nachgeahmt sehen mochte, und so darf denn wohl die allgemeine politische Trostlosigkeit, welche das ganze Deutschland wie eine finstere Wetterwolke überdeckte, einigermaßen als Entschuldigung auch für die politische Kurzsichtigkeit selbst der Gebildeten dienen. Die erwähnten Kämpfe im Verein mit andern Knaben abgerechnet, kamen wir mit Kindern der Ortseinwohner nur selten in Berührung, was sich aus der Stellung des Vaters zur Gemeinde erklärte. Zwischen der Familie des Predigers und allen andern Einwohnern des Dorfes klaffte eine weite und tiefe Kluft, die schwer zu überbrücken war, ohne daß der Abstand zwischen beiden Teilen, die einander nicht beigeordnet, sondern über- und untergeordnet waren, empfunden worden wäre. Dem Bauer, auch dem aufgeweckten, galt vor sechs Jahrzehnten der Prediger, welcher ihm allsonntäglich das Wort Gottes aus¬ legte, als der schlechthin Wissende, weil er auf der hohen Schule gewesen war und dort studirt hatte, und weil er dahin nochmals auf kurze Zeit zurückkehren mußte, um von dem Superintendenten ordinirt zu werden, ehe er als erwählter Prediger sein Amt antreten konnte; darum mußte er c>» Kenntnissen auch die Begabtesten und Klügsten in der Gemeinde weit überragen. Die Ordination, die damals noch nicht öffentlich war, verlieh dem Pastor eine geheimnisvolle Weihe. Richtig benutzt, konnte die hohe Achtung, welche der Bauer vor der Würde des Priesters hatte, nach vielen Seiten hin Gutes wirken, falsch ver¬ standen und gemißbraucht aber auch faule Früchte zeitige,?. Aber bei aller Trennung, die sonach zwischen dem Prediger und den einzelnen Gemeindegliedern stattfand, fehlten doch keineswegs Vertrauen und offenes Entgegenkommen. Beide steigerten sich zu herzlicher Verehrung, wenn der Prediger statt des eingebildeten, sich über alle andern hoch erhaben dünkenden Gelehrten den humanen, an allem, was die Gemeinde betraf, auf¬ richtig teilnehmenden Menschen herauskehrte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/346>, abgerufen am 23.12.2024.