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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Zugenderinnerungen.

tismus. Selbst mit diesem konnten sich gewisse Gaue noch nicht vollkommen
befreunden, wenigstens hatten die Oberlausitzer neben dem großen sächsischen
noch einen ganz aparten Oberlausitzer Patriotismus, auf den sie sich nicht wenig
zu Gute thaten.

Heutigen Tages findet dies vielleicht das jüngere Geschlecht unverständlich,
es erklärt sich aber sehr leicht durch die damals geteilte Regierung und Ver¬
waltung der bei Sachsen verbliebenen Obcrlmisitz, Dieses Lciudchen mit seinen
alten sechs Städten Vautzen, Görlitz, Zitta", Löbau, Kamenz und Lauban bildete
das Markgrafeutum Oberlausitz, wurde durch einen Landeshauptmann, welcher in
Budissin, d, h. Bautzen, residirte, regiert und hielt (wie noch jetzt) in letztgenannter
Stadt seine eignen Landtage ab, auf welchen von den Deputirten der Städte
das Wohl des Landes in Sitzungen beraten wurde, von deren Verhandlungen
nie jemand ein Sterbenswörtchen vernahm. Wo hätte da wohl wahrer deutscher
Patriotismus herkommen sollen! Der Sachse war und blieb eben kraft seiner
Geburt sein Leben lang nur Sachse, der Baier nur Baier. Dieser scharf aus¬
geprägte Partikularpatriotismus, der leider bis auf diesen Tag noch nicht ver¬
schwunden ist, ja möglicherweise nie ganz ausgetilgt werden wird, machte sich
nach den Stürmen von und 1849 manchmal noch in oft komischer Weise
bemerkbar. Mehr als einmal wenigstens habe ich in den spätern fünfziger
Jahren bei Gelegenheit politischer Erörterungen, die bereits Mode geworden
waren, von einem wohlsituirten alten Hamburger, der am liebsten Plattdeutsch
sprach, wenn ihm jemand die Ehre anthat, ihn einen ehrlichen Deutschen zu
nennen, die Äußerung hören müssen: "Nee, Herr, ick bün kann Dütscher, ick bün
en Hamborger!"

Mich dünkt, es war leichter, das neue deutsche Reich aufzurichten und ihm
ein politisches Oberhaupt zu geben, als dieses um mächtige Kaiserreich auch
mit lauter echt deutscheu Bewohnern zu bevölkern. Unsre eigensinnige Indivi¬
dualität, die auch der Beste mir widerstrebend aufgiebt, ist der schlimmste und
am schwersten niederzukämpfende Feind des deutschen Patriotismus.

Hoher Sinn liegt oft im kind'schen Spiel. Dies Wort Schillers fällt
mir jedesmal ein, wenn ich des erbitterten Kriegsspieles der Knabenzeit ge¬
denke. Was war uns Preußen, was der politisch-diplomatische Hader, der
Sachsen zu einen machtlosen Staate herabdrückte! Wie das so gekommen war
und wie es kaum anders kommen konnte, kümmerte uns ganz und gar uicht.
Wir tobten in unserm Spiele, das einzig dazu erfunden ward, die Preußen zu
klopfen, nur den verhaltenen Groll der Erwachsenen aus, der die Demütigung
Sachsens nicht vergessen konnte und stets mit schelem Auge auf das größer ge¬
wordene, ungeliebte Preußen blickte. Seltsamerweise ward unser lärmendes
Spiel, bei dem es ohne Schrammen und Beulen nicht abging, von vorüber¬
gehenden Erwachsenen nicht gestört. Wir bemerkten vielmehr, daß sie verstohlen
lachten, wenn sie erfuhren, um welche Dinge wir mit so großem Eifer kämpften.


Zugenderinnerungen.

tismus. Selbst mit diesem konnten sich gewisse Gaue noch nicht vollkommen
befreunden, wenigstens hatten die Oberlausitzer neben dem großen sächsischen
noch einen ganz aparten Oberlausitzer Patriotismus, auf den sie sich nicht wenig
zu Gute thaten.

Heutigen Tages findet dies vielleicht das jüngere Geschlecht unverständlich,
es erklärt sich aber sehr leicht durch die damals geteilte Regierung und Ver¬
waltung der bei Sachsen verbliebenen Obcrlmisitz, Dieses Lciudchen mit seinen
alten sechs Städten Vautzen, Görlitz, Zitta», Löbau, Kamenz und Lauban bildete
das Markgrafeutum Oberlausitz, wurde durch einen Landeshauptmann, welcher in
Budissin, d, h. Bautzen, residirte, regiert und hielt (wie noch jetzt) in letztgenannter
Stadt seine eignen Landtage ab, auf welchen von den Deputirten der Städte
das Wohl des Landes in Sitzungen beraten wurde, von deren Verhandlungen
nie jemand ein Sterbenswörtchen vernahm. Wo hätte da wohl wahrer deutscher
Patriotismus herkommen sollen! Der Sachse war und blieb eben kraft seiner
Geburt sein Leben lang nur Sachse, der Baier nur Baier. Dieser scharf aus¬
geprägte Partikularpatriotismus, der leider bis auf diesen Tag noch nicht ver¬
schwunden ist, ja möglicherweise nie ganz ausgetilgt werden wird, machte sich
nach den Stürmen von und 1849 manchmal noch in oft komischer Weise
bemerkbar. Mehr als einmal wenigstens habe ich in den spätern fünfziger
Jahren bei Gelegenheit politischer Erörterungen, die bereits Mode geworden
waren, von einem wohlsituirten alten Hamburger, der am liebsten Plattdeutsch
sprach, wenn ihm jemand die Ehre anthat, ihn einen ehrlichen Deutschen zu
nennen, die Äußerung hören müssen: „Nee, Herr, ick bün kann Dütscher, ick bün
en Hamborger!"

Mich dünkt, es war leichter, das neue deutsche Reich aufzurichten und ihm
ein politisches Oberhaupt zu geben, als dieses um mächtige Kaiserreich auch
mit lauter echt deutscheu Bewohnern zu bevölkern. Unsre eigensinnige Indivi¬
dualität, die auch der Beste mir widerstrebend aufgiebt, ist der schlimmste und
am schwersten niederzukämpfende Feind des deutschen Patriotismus.

Hoher Sinn liegt oft im kind'schen Spiel. Dies Wort Schillers fällt
mir jedesmal ein, wenn ich des erbitterten Kriegsspieles der Knabenzeit ge¬
denke. Was war uns Preußen, was der politisch-diplomatische Hader, der
Sachsen zu einen machtlosen Staate herabdrückte! Wie das so gekommen war
und wie es kaum anders kommen konnte, kümmerte uns ganz und gar uicht.
Wir tobten in unserm Spiele, das einzig dazu erfunden ward, die Preußen zu
klopfen, nur den verhaltenen Groll der Erwachsenen aus, der die Demütigung
Sachsens nicht vergessen konnte und stets mit schelem Auge auf das größer ge¬
wordene, ungeliebte Preußen blickte. Seltsamerweise ward unser lärmendes
Spiel, bei dem es ohne Schrammen und Beulen nicht abging, von vorüber¬
gehenden Erwachsenen nicht gestört. Wir bemerkten vielmehr, daß sie verstohlen
lachten, wenn sie erfuhren, um welche Dinge wir mit so großem Eifer kämpften.


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[0344] Zugenderinnerungen. tismus. Selbst mit diesem konnten sich gewisse Gaue noch nicht vollkommen befreunden, wenigstens hatten die Oberlausitzer neben dem großen sächsischen noch einen ganz aparten Oberlausitzer Patriotismus, auf den sie sich nicht wenig zu Gute thaten. Heutigen Tages findet dies vielleicht das jüngere Geschlecht unverständlich, es erklärt sich aber sehr leicht durch die damals geteilte Regierung und Ver¬ waltung der bei Sachsen verbliebenen Obcrlmisitz, Dieses Lciudchen mit seinen alten sechs Städten Vautzen, Görlitz, Zitta», Löbau, Kamenz und Lauban bildete das Markgrafeutum Oberlausitz, wurde durch einen Landeshauptmann, welcher in Budissin, d, h. Bautzen, residirte, regiert und hielt (wie noch jetzt) in letztgenannter Stadt seine eignen Landtage ab, auf welchen von den Deputirten der Städte das Wohl des Landes in Sitzungen beraten wurde, von deren Verhandlungen nie jemand ein Sterbenswörtchen vernahm. Wo hätte da wohl wahrer deutscher Patriotismus herkommen sollen! Der Sachse war und blieb eben kraft seiner Geburt sein Leben lang nur Sachse, der Baier nur Baier. Dieser scharf aus¬ geprägte Partikularpatriotismus, der leider bis auf diesen Tag noch nicht ver¬ schwunden ist, ja möglicherweise nie ganz ausgetilgt werden wird, machte sich nach den Stürmen von und 1849 manchmal noch in oft komischer Weise bemerkbar. Mehr als einmal wenigstens habe ich in den spätern fünfziger Jahren bei Gelegenheit politischer Erörterungen, die bereits Mode geworden waren, von einem wohlsituirten alten Hamburger, der am liebsten Plattdeutsch sprach, wenn ihm jemand die Ehre anthat, ihn einen ehrlichen Deutschen zu nennen, die Äußerung hören müssen: „Nee, Herr, ick bün kann Dütscher, ick bün en Hamborger!" Mich dünkt, es war leichter, das neue deutsche Reich aufzurichten und ihm ein politisches Oberhaupt zu geben, als dieses um mächtige Kaiserreich auch mit lauter echt deutscheu Bewohnern zu bevölkern. Unsre eigensinnige Indivi¬ dualität, die auch der Beste mir widerstrebend aufgiebt, ist der schlimmste und am schwersten niederzukämpfende Feind des deutschen Patriotismus. Hoher Sinn liegt oft im kind'schen Spiel. Dies Wort Schillers fällt mir jedesmal ein, wenn ich des erbitterten Kriegsspieles der Knabenzeit ge¬ denke. Was war uns Preußen, was der politisch-diplomatische Hader, der Sachsen zu einen machtlosen Staate herabdrückte! Wie das so gekommen war und wie es kaum anders kommen konnte, kümmerte uns ganz und gar uicht. Wir tobten in unserm Spiele, das einzig dazu erfunden ward, die Preußen zu klopfen, nur den verhaltenen Groll der Erwachsenen aus, der die Demütigung Sachsens nicht vergessen konnte und stets mit schelem Auge auf das größer ge¬ wordene, ungeliebte Preußen blickte. Seltsamerweise ward unser lärmendes Spiel, bei dem es ohne Schrammen und Beulen nicht abging, von vorüber¬ gehenden Erwachsenen nicht gestört. Wir bemerkten vielmehr, daß sie verstohlen lachten, wenn sie erfuhren, um welche Dinge wir mit so großem Eifer kämpften.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/344>, abgerufen am 22.07.2024.