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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen,

Eroberer vorzugsweise zu danken hatten, sollte nach Beendigung des Krieges für
diese Opfer entschädigt werden. Der ganzen Sachlage nach konnte dies nur auf
Kosten Sachsens geschehen, dessen Souverän ans mißverstandenen Gerechtigkeits¬
gefühl bis zum letzten Augenblicke seinem mächtigen Verbündeten treu geblieben
war. Diese Anhänglichkeit des Königs Friedrich August an den französischen Kaiser
hatten wohl die Einsichtigeren bedauert, aber sie hatten nicht vermutet, daß die
Strafe dafür eine so herbe sein werde. In dieser Härte erblickten anch ruhig
urteilende eine dem Lande und Volke zugefügte Ungerechtigkeit, während man
Preußen der Ländergier bezichtigte.

Äußerungen des erwähnten Onkels ließen uns annehmen, daß er mit seinen
Gefühlen ganz und gar eingefleischter Sachse sei; der Vater widersprach nicht,
obwohl er mit seiner eignen Ansicht zurückhielt, und so glaubten wir Kinder
in vollem Rechte zu sein, wenn wir in den Preußen unsre Feinde erblickten.
Bald sollten wir gewahr werden, daß die Stimmung des Volkes eine ganz
ähnliche sei, nur machte sie sich bei diesem durch sehr herbe Worte bemerkbarer.
Die Landleute machten in ihren Gesprächen, die sich gewöhnlich um den er¬
littenen Landverlust drehten, gar kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen Preußen,
ja die Worte: " Preußen hat uns das Land gestohlen" waren allgemein
gäng und gebe. Es machte sich darin der Unmut Luft, welcher seit der
Teilung Sachsens die Bevölkerung ergriffen hatte. Dieser Unmut war
gerade in der südlichsten Ecke der Oberlausitz deshalb besonders stark und tief,
weil die politische Trennung auch tief in die Familienverhältnisse zahlreicher
Landesbewohner eingriff. Die neue Grenze war nur wenige Stunden von uns
entfernt und berührte fast das Zittauische Gebiet. Es wohnten in dem an
Preußen gefallenen Teile der Oberlausitz nahe Verwandte einer großen Menge
von Familien, die ihrem Stamme nach in dem sächsischen Anteile ansässig waren.
Da nun besonders im Anfange die Grenzkontrole sehr streng und meistenteils
von Personen gehandhabt wurde, die sich an der scharfen Aussprache schon als
echte Altpreußen verrieten, so gab es bei der im Volke einmal vorherrschenden
Stimmung allerhand Nörgeleien und endlose Verdrießlichkeiten beim Überschreiten
der Grenze. Es war zu verwundern, das es nicht bisweilen zu offenen Thät¬
lichkeiten kam; anßer kleinen Reibereien, die indeß gütlich wieder beigelegt wurden,
sind meines Wissens ernstliche Unruhen nirgends vorgefallen.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die stark und laut an den Tag gelegte
Abneigung der Erwachsenen ansteckend aus das junge, heranwachsende Geschlecht
wirkte. Die Knaben besonders waren samt und sonders große Preußenhasser
und mußten diesen Haß auf irgend eine Weise kundgeben und austoben. Zu¬
nächst machte sich derselbe Luft in Reimen, zu denen die preußischen und
sächsischen Farben den Stoff hergeben mußten. Diese Reime waren mehr als
derb und lassen sich nicht wiedergeben; Schaden gestiftet haben sie nicht. Der
Spottvers allein aber, der auf die preußischen Farben gemünzt war, genügte


Jugenderinnerungen,

Eroberer vorzugsweise zu danken hatten, sollte nach Beendigung des Krieges für
diese Opfer entschädigt werden. Der ganzen Sachlage nach konnte dies nur auf
Kosten Sachsens geschehen, dessen Souverän ans mißverstandenen Gerechtigkeits¬
gefühl bis zum letzten Augenblicke seinem mächtigen Verbündeten treu geblieben
war. Diese Anhänglichkeit des Königs Friedrich August an den französischen Kaiser
hatten wohl die Einsichtigeren bedauert, aber sie hatten nicht vermutet, daß die
Strafe dafür eine so herbe sein werde. In dieser Härte erblickten anch ruhig
urteilende eine dem Lande und Volke zugefügte Ungerechtigkeit, während man
Preußen der Ländergier bezichtigte.

Äußerungen des erwähnten Onkels ließen uns annehmen, daß er mit seinen
Gefühlen ganz und gar eingefleischter Sachse sei; der Vater widersprach nicht,
obwohl er mit seiner eignen Ansicht zurückhielt, und so glaubten wir Kinder
in vollem Rechte zu sein, wenn wir in den Preußen unsre Feinde erblickten.
Bald sollten wir gewahr werden, daß die Stimmung des Volkes eine ganz
ähnliche sei, nur machte sie sich bei diesem durch sehr herbe Worte bemerkbarer.
Die Landleute machten in ihren Gesprächen, die sich gewöhnlich um den er¬
littenen Landverlust drehten, gar kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen Preußen,
ja die Worte: „ Preußen hat uns das Land gestohlen" waren allgemein
gäng und gebe. Es machte sich darin der Unmut Luft, welcher seit der
Teilung Sachsens die Bevölkerung ergriffen hatte. Dieser Unmut war
gerade in der südlichsten Ecke der Oberlausitz deshalb besonders stark und tief,
weil die politische Trennung auch tief in die Familienverhältnisse zahlreicher
Landesbewohner eingriff. Die neue Grenze war nur wenige Stunden von uns
entfernt und berührte fast das Zittauische Gebiet. Es wohnten in dem an
Preußen gefallenen Teile der Oberlausitz nahe Verwandte einer großen Menge
von Familien, die ihrem Stamme nach in dem sächsischen Anteile ansässig waren.
Da nun besonders im Anfange die Grenzkontrole sehr streng und meistenteils
von Personen gehandhabt wurde, die sich an der scharfen Aussprache schon als
echte Altpreußen verrieten, so gab es bei der im Volke einmal vorherrschenden
Stimmung allerhand Nörgeleien und endlose Verdrießlichkeiten beim Überschreiten
der Grenze. Es war zu verwundern, das es nicht bisweilen zu offenen Thät¬
lichkeiten kam; anßer kleinen Reibereien, die indeß gütlich wieder beigelegt wurden,
sind meines Wissens ernstliche Unruhen nirgends vorgefallen.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die stark und laut an den Tag gelegte
Abneigung der Erwachsenen ansteckend aus das junge, heranwachsende Geschlecht
wirkte. Die Knaben besonders waren samt und sonders große Preußenhasser
und mußten diesen Haß auf irgend eine Weise kundgeben und austoben. Zu¬
nächst machte sich derselbe Luft in Reimen, zu denen die preußischen und
sächsischen Farben den Stoff hergeben mußten. Diese Reime waren mehr als
derb und lassen sich nicht wiedergeben; Schaden gestiftet haben sie nicht. Der
Spottvers allein aber, der auf die preußischen Farben gemünzt war, genügte


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[0342] Jugenderinnerungen, Eroberer vorzugsweise zu danken hatten, sollte nach Beendigung des Krieges für diese Opfer entschädigt werden. Der ganzen Sachlage nach konnte dies nur auf Kosten Sachsens geschehen, dessen Souverän ans mißverstandenen Gerechtigkeits¬ gefühl bis zum letzten Augenblicke seinem mächtigen Verbündeten treu geblieben war. Diese Anhänglichkeit des Königs Friedrich August an den französischen Kaiser hatten wohl die Einsichtigeren bedauert, aber sie hatten nicht vermutet, daß die Strafe dafür eine so herbe sein werde. In dieser Härte erblickten anch ruhig urteilende eine dem Lande und Volke zugefügte Ungerechtigkeit, während man Preußen der Ländergier bezichtigte. Äußerungen des erwähnten Onkels ließen uns annehmen, daß er mit seinen Gefühlen ganz und gar eingefleischter Sachse sei; der Vater widersprach nicht, obwohl er mit seiner eignen Ansicht zurückhielt, und so glaubten wir Kinder in vollem Rechte zu sein, wenn wir in den Preußen unsre Feinde erblickten. Bald sollten wir gewahr werden, daß die Stimmung des Volkes eine ganz ähnliche sei, nur machte sie sich bei diesem durch sehr herbe Worte bemerkbarer. Die Landleute machten in ihren Gesprächen, die sich gewöhnlich um den er¬ littenen Landverlust drehten, gar kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen Preußen, ja die Worte: „ Preußen hat uns das Land gestohlen" waren allgemein gäng und gebe. Es machte sich darin der Unmut Luft, welcher seit der Teilung Sachsens die Bevölkerung ergriffen hatte. Dieser Unmut war gerade in der südlichsten Ecke der Oberlausitz deshalb besonders stark und tief, weil die politische Trennung auch tief in die Familienverhältnisse zahlreicher Landesbewohner eingriff. Die neue Grenze war nur wenige Stunden von uns entfernt und berührte fast das Zittauische Gebiet. Es wohnten in dem an Preußen gefallenen Teile der Oberlausitz nahe Verwandte einer großen Menge von Familien, die ihrem Stamme nach in dem sächsischen Anteile ansässig waren. Da nun besonders im Anfange die Grenzkontrole sehr streng und meistenteils von Personen gehandhabt wurde, die sich an der scharfen Aussprache schon als echte Altpreußen verrieten, so gab es bei der im Volke einmal vorherrschenden Stimmung allerhand Nörgeleien und endlose Verdrießlichkeiten beim Überschreiten der Grenze. Es war zu verwundern, das es nicht bisweilen zu offenen Thät¬ lichkeiten kam; anßer kleinen Reibereien, die indeß gütlich wieder beigelegt wurden, sind meines Wissens ernstliche Unruhen nirgends vorgefallen. Es konnte nicht ausbleiben, daß die stark und laut an den Tag gelegte Abneigung der Erwachsenen ansteckend aus das junge, heranwachsende Geschlecht wirkte. Die Knaben besonders waren samt und sonders große Preußenhasser und mußten diesen Haß auf irgend eine Weise kundgeben und austoben. Zu¬ nächst machte sich derselbe Luft in Reimen, zu denen die preußischen und sächsischen Farben den Stoff hergeben mußten. Diese Reime waren mehr als derb und lassen sich nicht wiedergeben; Schaden gestiftet haben sie nicht. Der Spottvers allein aber, der auf die preußischen Farben gemünzt war, genügte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/342>, abgerufen am 22.07.2024.