Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Gespenster. Phrasen, das Grübeln über neue Gestaltungen des alten, von Anfang an wurm¬ , wir unsern werten Voreltern verdanken Höre nur (er schlägt das gelbrvte . "EsBündchen mit dem schlechten Druck und dem noch schlechter" Papier auf): ist nicht allein das, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, das in uns umgeht. Es sind allerhand alte, tote Ansichten und aller mögliche alte Glaube und dergleichen. Es lebt nicht in uus, aber es steckt in uns, und wir köunen es nicht loswerden. Ich glaube beinahe, wir alle sind Gespenster." (lacht aus vollem Halse). Oswald Ich bi Dritter. tte mir aus, daß du nicht lachst. Die exakte Poesie be¬ (lacht noch immer). Oswald O wie bequem! wie bequem! Dritter. Und daß das nur recht eindringlich und recht genau geschildert Gespenster. Phrasen, das Grübeln über neue Gestaltungen des alten, von Anfang an wurm¬ , wir unsern werten Voreltern verdanken Höre nur (er schlägt das gelbrvte . „EsBündchen mit dem schlechten Druck und dem noch schlechter» Papier auf): ist nicht allein das, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, das in uns umgeht. Es sind allerhand alte, tote Ansichten und aller mögliche alte Glaube und dergleichen. Es lebt nicht in uus, aber es steckt in uns, und wir köunen es nicht loswerden. Ich glaube beinahe, wir alle sind Gespenster." (lacht aus vollem Halse). Oswald Ich bi Dritter. tte mir aus, daß du nicht lachst. Die exakte Poesie be¬ (lacht noch immer). Oswald O wie bequem! wie bequem! Dritter. Und daß das nur recht eindringlich und recht genau geschildert <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0336" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200441"/> <fw type="header" place="top"> Gespenster.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1062" prev="#ID_1061"> Phrasen, das Grübeln über neue Gestaltungen des alten, von Anfang an wurm¬<lb/> stichigen Materials, das Heransdiftelu womöglich neuer Ideale, neuer Lügen,<lb/> neuer Gespenster, um die Welt von neuem zu täuschen und weiter am Gängel¬<lb/> bande zu führen! Was weißt du von Gott und deinem Menschentum? Das<lb/> sind alberne Phrasen, die du im Katechismus einmal auswendig gelernt hast.<lb/> Was weißt du von Liebe, von Treue, von Vaterland? Irgend ein snßholz-<lb/> raspelnder Lyriker hat dir in deinen Kinderjahren diese Raupen in den Kopf<lb/> gesetzt. Das kommt alles noch hinzu zu dem bewußten Krankhcitsstoffe den<lb/><stage> ,<lb/> (er schlägt das gelbrvte</stage> wir unsern werten Voreltern verdanken Höre nur<lb/><stage> .<lb/> Bündchen mit dem schlechten Druck und dem noch schlechter» Papier auf):</stage> „Es<lb/> ist nicht allein das, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, das in<lb/> uns umgeht. Es sind allerhand alte, tote Ansichten und aller mögliche alte<lb/> Glaube und dergleichen. Es lebt nicht in uus, aber es steckt in uns, und wir<lb/> köunen es nicht loswerden. Ich glaube beinahe, wir alle sind Gespenster."</p><lb/> <stage> (lacht aus vollem Halse).</stage><lb/> <note type="speaker"> Oswald </note><lb/> <p xml:id="ID_1063"> Ich bi<note type="speaker"> Dritter.</note> tte mir aus, daß du nicht lachst. 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Wenn unsre dramatischen Helden heutzu¬<lb/> tage den Verstand verlieren sollen, so muß das belegt sein durch physische<lb/> Gründe, etwa dnrch eine Gehirnerweichung infolge gewisser Ausschweifungen;<lb/> aber nicht ihrer eignen — beileibe, dann würde ja der Haupteindruck verfehlt<lb/> sein, nämlich der der Lüge, welche die Poesie zu entlarven hat —, sondern<lb/> infolge der Ausschweifungen ihrer als Ideal verehrten Väter.</p><lb/> <stage> (lacht noch immer). </stage><lb/> <note type="speaker"> Oswald </note><lb/> <p xml:id="ID_1064"> O wie bequem! wie bequem!</p><lb/> <p xml:id="ID_1065" next="#ID_1066"><note type="speaker"> Dritter.</note> Und daß das nur recht eindringlich und recht genau geschildert<lb/> werde! Dann sind wir des Eindruckes gewiß. Die Krankengeschichte aller<lb/> Hospitäler kann nicht gegen uns aufkommen. So ein Hospital ist doch im<lb/> Grunde ein ganz verlogen reinlicher Ort, wo es sogenannte Krankenwärter, Heil¬<lb/> mittel und Ärzte giebt. Nein, bringen wir unsern Kranken in recht hand¬<lb/> greiflich unsaubere Verhältnisse, bringen wir ihn etwa in die Behandlung einer<lb/> recht verlognen, schwächlichen Mutter, die an der ganzen Geschichte Schuld ist,<lb/> denn sie hätte ja voraussehen müssen, daß der Herr Sohn einmal die Gehirn¬<lb/> erweichung bekommen werde. Geben wir ihm ein kleines Verhältnis zur Seite,<lb/> machen wir daraus, damit die Sache nur recht verlogen wird, etwa eine illegi¬<lb/> time Schwester. Die ist zwar kerngesund und leidet garnicht an Erbgespenstern,<lb/> aber die berühmte „Nana" unsers Pariser Meisters stammt ja auch aus einem<lb/> Säufergeschlecht. Also, mache« wir einmal so eine „Nana im Zivil," sozu¬<lb/> sagen eine Familien-Nana, die so „wunderbar leichtsinnig" ist, daß sie unserm</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0336]
Gespenster.
Phrasen, das Grübeln über neue Gestaltungen des alten, von Anfang an wurm¬
stichigen Materials, das Heransdiftelu womöglich neuer Ideale, neuer Lügen,
neuer Gespenster, um die Welt von neuem zu täuschen und weiter am Gängel¬
bande zu führen! Was weißt du von Gott und deinem Menschentum? Das
sind alberne Phrasen, die du im Katechismus einmal auswendig gelernt hast.
Was weißt du von Liebe, von Treue, von Vaterland? Irgend ein snßholz-
raspelnder Lyriker hat dir in deinen Kinderjahren diese Raupen in den Kopf
gesetzt. Das kommt alles noch hinzu zu dem bewußten Krankhcitsstoffe den
,
(er schlägt das gelbrvte wir unsern werten Voreltern verdanken Höre nur
.
Bündchen mit dem schlechten Druck und dem noch schlechter» Papier auf): „Es
ist nicht allein das, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, das in
uns umgeht. Es sind allerhand alte, tote Ansichten und aller mögliche alte
Glaube und dergleichen. Es lebt nicht in uus, aber es steckt in uns, und wir
köunen es nicht loswerden. Ich glaube beinahe, wir alle sind Gespenster."
(lacht aus vollem Halse).
Oswald
Ich bi Dritter. tte mir aus, daß du nicht lachst. Die exakte Poesie be¬
ansprucht, sehr, sehr tragisch genommen zu werden, tragischer als die sogenannte
Tragödie mit ihren schwächlichen Theaterpuppen, ihren Lears und Fausts, die
mit ihren verlogenen Theaterschmcrzen „das mächtige Rund der Welt zerschlagen,
die Formen der Natur zerbrechen wollen," denen von nichts und wieder nichts
„der Geist zu schwindeln beginnt." Wenn unsre dramatischen Helden heutzu¬
tage den Verstand verlieren sollen, so muß das belegt sein durch physische
Gründe, etwa dnrch eine Gehirnerweichung infolge gewisser Ausschweifungen;
aber nicht ihrer eignen — beileibe, dann würde ja der Haupteindruck verfehlt
sein, nämlich der der Lüge, welche die Poesie zu entlarven hat —, sondern
infolge der Ausschweifungen ihrer als Ideal verehrten Väter.
(lacht noch immer).
Oswald
O wie bequem! wie bequem!
Dritter. Und daß das nur recht eindringlich und recht genau geschildert
werde! Dann sind wir des Eindruckes gewiß. Die Krankengeschichte aller
Hospitäler kann nicht gegen uns aufkommen. So ein Hospital ist doch im
Grunde ein ganz verlogen reinlicher Ort, wo es sogenannte Krankenwärter, Heil¬
mittel und Ärzte giebt. Nein, bringen wir unsern Kranken in recht hand¬
greiflich unsaubere Verhältnisse, bringen wir ihn etwa in die Behandlung einer
recht verlognen, schwächlichen Mutter, die an der ganzen Geschichte Schuld ist,
denn sie hätte ja voraussehen müssen, daß der Herr Sohn einmal die Gehirn¬
erweichung bekommen werde. Geben wir ihm ein kleines Verhältnis zur Seite,
machen wir daraus, damit die Sache nur recht verlogen wird, etwa eine illegi¬
time Schwester. Die ist zwar kerngesund und leidet garnicht an Erbgespenstern,
aber die berühmte „Nana" unsers Pariser Meisters stammt ja auch aus einem
Säufergeschlecht. Also, mache« wir einmal so eine „Nana im Zivil," sozu¬
sagen eine Familien-Nana, die so „wunderbar leichtsinnig" ist, daß sie unserm
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