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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Sohn, der sich mit Offenheit und Vertrauen seinem Vater auch als dem ältern
und erfahreneren Künstler mitteilt, und der treuherzige Freund, der den über¬
legneu unter seinen Genüssen neidlos anzuerkennen, den helfenden und fördernden
mit warmer Liebe und Dankbarkeit zu belohnen, den schwächern und hilfs¬
bedürftigen mit Aufopferung zu unterstützen die Fähigkeit hat."

Gewiß wird kein Leser das vortreffliche und vortrefflich herausgegebene
Buch ans der Hand legen, ohne das alles vielfältig empfanden und klar erkannt,
ohne ein höchst lebendiges Bild des Mannes und der eigentümlichen Zustände
gewonnen zu haben, in denen seine Künstlerjngend verlief. Als Julius Schmorr,
der dritte Sohn jenes Malers Hans Veit von Schmorr, der 1801 mit Seume
den vielberühmten "Spaziergang nach Syrakus" angetreten hatte (er begleitete
Seume bis Wien) und 1841 als Direktor der Leipziger Kunstakademie starb, im
Jahre 1811 seine Vaterstadt Leipzig verließ, um sich dem Studium der Kunst
in Wien zu widmen, war er siebzehn Jahre, als er im November 1817 uach
Italien aufbrach, fünfundzwanzig Jahre alt und stand in jener seltenen Frische
einer zugleich ernsten und doch lebenshcitcrn Jugend, in jener glücklichen
Stimmung, der aus der Reinheit und Stärke ihrer guten Vorsätze auch eine
gewisse Zuversicht des Gelingens (die darum uicht Anmaßung ist) erwächst. Wie
vor Zeiten der Vater, begann auch der Sohn an der Seite eines Dichters und
Schriftstellers, des spätern Griechen- und Müllcrlicdcrdichters Wilhelm Müller
aus Dessau die Jtalienfahrt. Die ersten Neisebriefe gehen über das, was jeder
Schaneusdurstige, der mit offnen Augen Venedig und Florenz durchwandert,
berichten könnte, uur wenig hinaus. Charakteristisch für die Gesundheit in
Schmorrs Wesen ist es, daß er gegenüber den Bilderschätzen und der Fülle
der Meisterwerke, denen er vom Eintritt in Italien an begegnet, nicht von
jener nervösen Herabstimmung ergriffen wird, welche gewisse moderne Naturen
überwältigt, die es denn freilich eine Blasphemie schelten, wenn jemand im Herr¬
lichen und Gewaltigen einen Sporn, anstatt einen vergifteten Pfeil erblickt, der
alles eigne Wollen ertötet. Schmorr sehnt sich schon nach wenigen Wochen, die
mir dem genießenden Lernen, der Beschattung gewidmet sind, wieder zu arbeiten,
er "weiß, daß er wieder vorwärts gekommen ist," und will dann doch "noch was
besseres machen als bisher." Mit voller Lust und gehoben von der Hoffnung,
die damals alle erfüllte, tritt er zu Anfang 1818 in den deutschen Künstlerkreis
in Rom ein und schreibt seiner Schwester Ottilie: "Gut ist es, daß ich hier
bin, das sehe ich ein; Nom mußte sein, wenn in unserm Vaterlande ein besserer
Geist in der Kunst gemein werden sollte. Wir wünschen und hoffen, daß es
einst uicht mehr nötig sein werde, daß der deutsche Künstler nach Nom ziehe;
in unserm Lande soll eine Schule sich bilden; aber wie die Sachen jetzt standen,
war Rom nötig, mir hier, getrennt von allen einengendem Verhältnissen, konnte
die Masse der Künstler entzündet werden, nur hier konnte der Funke der Wahrheit
so bald zur Flamme werde", die auch ganz Deutschland bald erwärmen wird."


Sohn, der sich mit Offenheit und Vertrauen seinem Vater auch als dem ältern
und erfahreneren Künstler mitteilt, und der treuherzige Freund, der den über¬
legneu unter seinen Genüssen neidlos anzuerkennen, den helfenden und fördernden
mit warmer Liebe und Dankbarkeit zu belohnen, den schwächern und hilfs¬
bedürftigen mit Aufopferung zu unterstützen die Fähigkeit hat."

Gewiß wird kein Leser das vortreffliche und vortrefflich herausgegebene
Buch ans der Hand legen, ohne das alles vielfältig empfanden und klar erkannt,
ohne ein höchst lebendiges Bild des Mannes und der eigentümlichen Zustände
gewonnen zu haben, in denen seine Künstlerjngend verlief. Als Julius Schmorr,
der dritte Sohn jenes Malers Hans Veit von Schmorr, der 1801 mit Seume
den vielberühmten „Spaziergang nach Syrakus" angetreten hatte (er begleitete
Seume bis Wien) und 1841 als Direktor der Leipziger Kunstakademie starb, im
Jahre 1811 seine Vaterstadt Leipzig verließ, um sich dem Studium der Kunst
in Wien zu widmen, war er siebzehn Jahre, als er im November 1817 uach
Italien aufbrach, fünfundzwanzig Jahre alt und stand in jener seltenen Frische
einer zugleich ernsten und doch lebenshcitcrn Jugend, in jener glücklichen
Stimmung, der aus der Reinheit und Stärke ihrer guten Vorsätze auch eine
gewisse Zuversicht des Gelingens (die darum uicht Anmaßung ist) erwächst. Wie
vor Zeiten der Vater, begann auch der Sohn an der Seite eines Dichters und
Schriftstellers, des spätern Griechen- und Müllcrlicdcrdichters Wilhelm Müller
aus Dessau die Jtalienfahrt. Die ersten Neisebriefe gehen über das, was jeder
Schaneusdurstige, der mit offnen Augen Venedig und Florenz durchwandert,
berichten könnte, uur wenig hinaus. Charakteristisch für die Gesundheit in
Schmorrs Wesen ist es, daß er gegenüber den Bilderschätzen und der Fülle
der Meisterwerke, denen er vom Eintritt in Italien an begegnet, nicht von
jener nervösen Herabstimmung ergriffen wird, welche gewisse moderne Naturen
überwältigt, die es denn freilich eine Blasphemie schelten, wenn jemand im Herr¬
lichen und Gewaltigen einen Sporn, anstatt einen vergifteten Pfeil erblickt, der
alles eigne Wollen ertötet. Schmorr sehnt sich schon nach wenigen Wochen, die
mir dem genießenden Lernen, der Beschattung gewidmet sind, wieder zu arbeiten,
er „weiß, daß er wieder vorwärts gekommen ist," und will dann doch „noch was
besseres machen als bisher." Mit voller Lust und gehoben von der Hoffnung,
die damals alle erfüllte, tritt er zu Anfang 1818 in den deutschen Künstlerkreis
in Rom ein und schreibt seiner Schwester Ottilie: „Gut ist es, daß ich hier
bin, das sehe ich ein; Nom mußte sein, wenn in unserm Vaterlande ein besserer
Geist in der Kunst gemein werden sollte. Wir wünschen und hoffen, daß es
einst uicht mehr nötig sein werde, daß der deutsche Künstler nach Nom ziehe;
in unserm Lande soll eine Schule sich bilden; aber wie die Sachen jetzt standen,
war Rom nötig, mir hier, getrennt von allen einengendem Verhältnissen, konnte
die Masse der Künstler entzündet werden, nur hier konnte der Funke der Wahrheit
so bald zur Flamme werde», die auch ganz Deutschland bald erwärmen wird."


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[0326] Sohn, der sich mit Offenheit und Vertrauen seinem Vater auch als dem ältern und erfahreneren Künstler mitteilt, und der treuherzige Freund, der den über¬ legneu unter seinen Genüssen neidlos anzuerkennen, den helfenden und fördernden mit warmer Liebe und Dankbarkeit zu belohnen, den schwächern und hilfs¬ bedürftigen mit Aufopferung zu unterstützen die Fähigkeit hat." Gewiß wird kein Leser das vortreffliche und vortrefflich herausgegebene Buch ans der Hand legen, ohne das alles vielfältig empfanden und klar erkannt, ohne ein höchst lebendiges Bild des Mannes und der eigentümlichen Zustände gewonnen zu haben, in denen seine Künstlerjngend verlief. Als Julius Schmorr, der dritte Sohn jenes Malers Hans Veit von Schmorr, der 1801 mit Seume den vielberühmten „Spaziergang nach Syrakus" angetreten hatte (er begleitete Seume bis Wien) und 1841 als Direktor der Leipziger Kunstakademie starb, im Jahre 1811 seine Vaterstadt Leipzig verließ, um sich dem Studium der Kunst in Wien zu widmen, war er siebzehn Jahre, als er im November 1817 uach Italien aufbrach, fünfundzwanzig Jahre alt und stand in jener seltenen Frische einer zugleich ernsten und doch lebenshcitcrn Jugend, in jener glücklichen Stimmung, der aus der Reinheit und Stärke ihrer guten Vorsätze auch eine gewisse Zuversicht des Gelingens (die darum uicht Anmaßung ist) erwächst. Wie vor Zeiten der Vater, begann auch der Sohn an der Seite eines Dichters und Schriftstellers, des spätern Griechen- und Müllcrlicdcrdichters Wilhelm Müller aus Dessau die Jtalienfahrt. Die ersten Neisebriefe gehen über das, was jeder Schaneusdurstige, der mit offnen Augen Venedig und Florenz durchwandert, berichten könnte, uur wenig hinaus. Charakteristisch für die Gesundheit in Schmorrs Wesen ist es, daß er gegenüber den Bilderschätzen und der Fülle der Meisterwerke, denen er vom Eintritt in Italien an begegnet, nicht von jener nervösen Herabstimmung ergriffen wird, welche gewisse moderne Naturen überwältigt, die es denn freilich eine Blasphemie schelten, wenn jemand im Herr¬ lichen und Gewaltigen einen Sporn, anstatt einen vergifteten Pfeil erblickt, der alles eigne Wollen ertötet. Schmorr sehnt sich schon nach wenigen Wochen, die mir dem genießenden Lernen, der Beschattung gewidmet sind, wieder zu arbeiten, er „weiß, daß er wieder vorwärts gekommen ist," und will dann doch „noch was besseres machen als bisher." Mit voller Lust und gehoben von der Hoffnung, die damals alle erfüllte, tritt er zu Anfang 1818 in den deutschen Künstlerkreis in Rom ein und schreibt seiner Schwester Ottilie: „Gut ist es, daß ich hier bin, das sehe ich ein; Nom mußte sein, wenn in unserm Vaterlande ein besserer Geist in der Kunst gemein werden sollte. Wir wünschen und hoffen, daß es einst uicht mehr nötig sein werde, daß der deutsche Künstler nach Nom ziehe; in unserm Lande soll eine Schule sich bilden; aber wie die Sachen jetzt standen, war Rom nötig, mir hier, getrennt von allen einengendem Verhältnissen, konnte die Masse der Künstler entzündet werden, nur hier konnte der Funke der Wahrheit so bald zur Flamme werde», die auch ganz Deutschland bald erwärmen wird."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/326>, abgerufen am 22.07.2024.