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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Martin Salander,

als Kind und Knabe fliichtig in der Dichtung erscheint, bleibt während der längsten
Zeit in der Ferne, um am Schlusse erst wieder aufzutreten. Er hat sich selbst
seinen Lebensplan zurechtgelegt, in echt schweizerischer Manier: "Ein junger
Jurist arbeitet nach Bedürfnis und Gelegenheit im Handelshause seines Vaters
mit, treibt daneben Geschichte für seinen Hausgebrauch, um die werdende Ge¬
schichte besser zu verstehen und ihre Dimensionen messen, ihre Bedingnngswerte
schätzen zu lernen." Und welchen Zweck dieses mit praktischer Thätigkeit ver¬
einigte Gelehrtenleben haben soll, erklärt er selbst in den folgenden Worten.
Er erzählt von einer zufälligen politische" Unterhaltung mit einem alten Herrn
aus dem Kanton X. in einem Seebade. "Als er ein und das andre ungeduldige
und vorschnelle Urteil vernahm, woran sich der Schluß knüpfte, es dürfte der
betreffende Übelstand wohl erst durch ein neues Geschlecht von Gesetzgebern,
von frischen Kräften gehoben werden, lächelte der Alte und meinte, es handle
sich nach seiner Erfahrung nicht sowohl um einen Mangel an frischen Kräften,
die ja ohnehin schon durch das allgemeine Menschenschicksal unaufhörlich zu¬
flösse", als im Gegenteil um einen bedächtigeren, beharrlicheren Ausbau des
Geschaffenen. Er erzählte nun anschaulich, wie er zum drittenmale erlebt habe,
daß nach einem kraftvollen Umschwunge die Söhne der Müuner, die ihn bewirkt
und im besten Mannesalter standen, als Schüler sich zusammengethan und ver¬
abredet hätten, sie wollten noch etwas ganz andres herstellen, wenn sie daran
kommen würden. Ohne zu wissen, was das Unerhörte eigentlich sein solle,
hätten sie später wirklich Wort gehalten, wie wenn sie ans dein nulli geschworen
hätten, und ihre Zeit lang die heilige Gesetzgebung verwirrt und gestört, bis
ihre eignen Sprößlinge den gleichen Schwur gethan und als neue Geueration
ihnen vom Amte halfen oder wenigstens mit großem Spektakel zu helfen suchten.
In diesem Lichte gescheit, sei der Fortschritt uur ein blindes Hasten nach dem
Ende hin und gleiche einem Laufkäfer, der über eine runde Tischplatte weg¬
renne, oder höchstens dem Rande entlang im Kreise herumlaufe, wenn er nicht
vorziehe, umzukehren und zurückzurennen, wo er dann uns der entgegengesetzten
Seite wieder an den Rand komme. Es sei ein Naturgesetz, daß alles Leben,
je rastloser es gelebt werde, umso schneller sich anstehe und ein Ende nehme;
daher -- schloß er humoristisch -- vermöge er es uicht gerade als ein zweck¬
mäßiges Mittel zur Lebensverlängerung anzusehen, wenn ein Volk die letzte
Konsequenz, deren Keim in ihm stecke, vor der Zeit zu Tode Hetze und damit
sich selbst. . . Kurz, wir gelangten endlich zu dem Entschlüsse, im Gegensatze zu
den Schnlbankagitatvren, uns nicht als neue Generation aufzuthun, sondern
uns im Stillen sür alle Fälle brauchbar zu machen in Zeiten, wo es not¬
wendig werden konnte, mit einzustehen und den Rand finden zu helfen. Am
allgemeinen anzudeuten sei immer nötig, mitzuschwatzen aber nicht." (S. 202.)
Indem Keller dieses sein politisches Bekenntnis dem jungen Sohne und Erben
seines Helden in den Mund legt, spricht er seine optimistische Gesinnung aus,


Martin Salander,

als Kind und Knabe fliichtig in der Dichtung erscheint, bleibt während der längsten
Zeit in der Ferne, um am Schlusse erst wieder aufzutreten. Er hat sich selbst
seinen Lebensplan zurechtgelegt, in echt schweizerischer Manier: „Ein junger
Jurist arbeitet nach Bedürfnis und Gelegenheit im Handelshause seines Vaters
mit, treibt daneben Geschichte für seinen Hausgebrauch, um die werdende Ge¬
schichte besser zu verstehen und ihre Dimensionen messen, ihre Bedingnngswerte
schätzen zu lernen." Und welchen Zweck dieses mit praktischer Thätigkeit ver¬
einigte Gelehrtenleben haben soll, erklärt er selbst in den folgenden Worten.
Er erzählt von einer zufälligen politische» Unterhaltung mit einem alten Herrn
aus dem Kanton X. in einem Seebade. „Als er ein und das andre ungeduldige
und vorschnelle Urteil vernahm, woran sich der Schluß knüpfte, es dürfte der
betreffende Übelstand wohl erst durch ein neues Geschlecht von Gesetzgebern,
von frischen Kräften gehoben werden, lächelte der Alte und meinte, es handle
sich nach seiner Erfahrung nicht sowohl um einen Mangel an frischen Kräften,
die ja ohnehin schon durch das allgemeine Menschenschicksal unaufhörlich zu¬
flösse», als im Gegenteil um einen bedächtigeren, beharrlicheren Ausbau des
Geschaffenen. Er erzählte nun anschaulich, wie er zum drittenmale erlebt habe,
daß nach einem kraftvollen Umschwunge die Söhne der Müuner, die ihn bewirkt
und im besten Mannesalter standen, als Schüler sich zusammengethan und ver¬
abredet hätten, sie wollten noch etwas ganz andres herstellen, wenn sie daran
kommen würden. Ohne zu wissen, was das Unerhörte eigentlich sein solle,
hätten sie später wirklich Wort gehalten, wie wenn sie ans dein nulli geschworen
hätten, und ihre Zeit lang die heilige Gesetzgebung verwirrt und gestört, bis
ihre eignen Sprößlinge den gleichen Schwur gethan und als neue Geueration
ihnen vom Amte halfen oder wenigstens mit großem Spektakel zu helfen suchten.
In diesem Lichte gescheit, sei der Fortschritt uur ein blindes Hasten nach dem
Ende hin und gleiche einem Laufkäfer, der über eine runde Tischplatte weg¬
renne, oder höchstens dem Rande entlang im Kreise herumlaufe, wenn er nicht
vorziehe, umzukehren und zurückzurennen, wo er dann uns der entgegengesetzten
Seite wieder an den Rand komme. Es sei ein Naturgesetz, daß alles Leben,
je rastloser es gelebt werde, umso schneller sich anstehe und ein Ende nehme;
daher — schloß er humoristisch — vermöge er es uicht gerade als ein zweck¬
mäßiges Mittel zur Lebensverlängerung anzusehen, wenn ein Volk die letzte
Konsequenz, deren Keim in ihm stecke, vor der Zeit zu Tode Hetze und damit
sich selbst. . . Kurz, wir gelangten endlich zu dem Entschlüsse, im Gegensatze zu
den Schnlbankagitatvren, uns nicht als neue Generation aufzuthun, sondern
uns im Stillen sür alle Fälle brauchbar zu machen in Zeiten, wo es not¬
wendig werden konnte, mit einzustehen und den Rand finden zu helfen. Am
allgemeinen anzudeuten sei immer nötig, mitzuschwatzen aber nicht." (S. 202.)
Indem Keller dieses sein politisches Bekenntnis dem jungen Sohne und Erben
seines Helden in den Mund legt, spricht er seine optimistische Gesinnung aus,


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[0291] Martin Salander, als Kind und Knabe fliichtig in der Dichtung erscheint, bleibt während der längsten Zeit in der Ferne, um am Schlusse erst wieder aufzutreten. Er hat sich selbst seinen Lebensplan zurechtgelegt, in echt schweizerischer Manier: „Ein junger Jurist arbeitet nach Bedürfnis und Gelegenheit im Handelshause seines Vaters mit, treibt daneben Geschichte für seinen Hausgebrauch, um die werdende Ge¬ schichte besser zu verstehen und ihre Dimensionen messen, ihre Bedingnngswerte schätzen zu lernen." Und welchen Zweck dieses mit praktischer Thätigkeit ver¬ einigte Gelehrtenleben haben soll, erklärt er selbst in den folgenden Worten. Er erzählt von einer zufälligen politische» Unterhaltung mit einem alten Herrn aus dem Kanton X. in einem Seebade. „Als er ein und das andre ungeduldige und vorschnelle Urteil vernahm, woran sich der Schluß knüpfte, es dürfte der betreffende Übelstand wohl erst durch ein neues Geschlecht von Gesetzgebern, von frischen Kräften gehoben werden, lächelte der Alte und meinte, es handle sich nach seiner Erfahrung nicht sowohl um einen Mangel an frischen Kräften, die ja ohnehin schon durch das allgemeine Menschenschicksal unaufhörlich zu¬ flösse», als im Gegenteil um einen bedächtigeren, beharrlicheren Ausbau des Geschaffenen. Er erzählte nun anschaulich, wie er zum drittenmale erlebt habe, daß nach einem kraftvollen Umschwunge die Söhne der Müuner, die ihn bewirkt und im besten Mannesalter standen, als Schüler sich zusammengethan und ver¬ abredet hätten, sie wollten noch etwas ganz andres herstellen, wenn sie daran kommen würden. Ohne zu wissen, was das Unerhörte eigentlich sein solle, hätten sie später wirklich Wort gehalten, wie wenn sie ans dein nulli geschworen hätten, und ihre Zeit lang die heilige Gesetzgebung verwirrt und gestört, bis ihre eignen Sprößlinge den gleichen Schwur gethan und als neue Geueration ihnen vom Amte halfen oder wenigstens mit großem Spektakel zu helfen suchten. In diesem Lichte gescheit, sei der Fortschritt uur ein blindes Hasten nach dem Ende hin und gleiche einem Laufkäfer, der über eine runde Tischplatte weg¬ renne, oder höchstens dem Rande entlang im Kreise herumlaufe, wenn er nicht vorziehe, umzukehren und zurückzurennen, wo er dann uns der entgegengesetzten Seite wieder an den Rand komme. Es sei ein Naturgesetz, daß alles Leben, je rastloser es gelebt werde, umso schneller sich anstehe und ein Ende nehme; daher — schloß er humoristisch — vermöge er es uicht gerade als ein zweck¬ mäßiges Mittel zur Lebensverlängerung anzusehen, wenn ein Volk die letzte Konsequenz, deren Keim in ihm stecke, vor der Zeit zu Tode Hetze und damit sich selbst. . . Kurz, wir gelangten endlich zu dem Entschlüsse, im Gegensatze zu den Schnlbankagitatvren, uns nicht als neue Generation aufzuthun, sondern uns im Stillen sür alle Fälle brauchbar zu machen in Zeiten, wo es not¬ wendig werden konnte, mit einzustehen und den Rand finden zu helfen. Am allgemeinen anzudeuten sei immer nötig, mitzuschwatzen aber nicht." (S. 202.) Indem Keller dieses sein politisches Bekenntnis dem jungen Sohne und Erben seines Helden in den Mund legt, spricht er seine optimistische Gesinnung aus,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/291>, abgerufen am 22.12.2024.