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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Martin Salander.

Dache verbringt, da spinnt sich unmittelbar vor dem Schlafengehen folgendes
kurze Gespräch ab: "Du, Marie! -- Was, Martin? -- Eines will ich wetten,
hast du gewiß vergessen! -- Was denn? -- Meinen alten Stiefelknecht! --
Hier ist er! -- Sie zog ihn unter dem Fußende des Bettes hervor." Mit
diesem lakonischer Satze charakterisirt Keller (S. 57) die zarte Aufmerksamkeit seiner
Marie Salander. An klarer Menschenkenntnis ist sie ihrem Gatten weit über¬
legen: sie wird weder von der Heuchelei WvhlwcndS noch von der der Zwillinge
gcuasführt, sie durchschaut beide, und diese fürchten sich vor ihrem Scharfblick.
Mit ihren Kindern ist sie eher streng als zärtlich. Aber als ihre Töchter die
Liebschaft hinter ihrem Rücken betreiben, da fühlt sie sich als Mutter tief ge¬
kränkt. Bei der Verlobung will sie garnicht anwesend sein. Als trotz allem
Abraten die mcijorennen Töchter die Weidelichs heiraten, da sorgt Marie Sa¬
lander dennoch für eine reiche Ausstattung, daß ihre Kinder auch nicht das
geringste entbehren. Als sich dann die Enttäuschung einstellt, ist sie die erste,
die Betrogenen zu trösten. Bei der Verhaftung Jsidors wollen die Eltern der
Tochter auf dem Lande tclegraphireu. Martin "nahm also ein Formnlnr, be¬
schrieb es mit den erforderlichen lakonischer Worten und gab es der Frau. Sie
las den Blitzbricf, studirte einen Augenblick daran herum und beschrieb ein neues
Formular. Verwundert las Martin Salander dasselbe, als sie fertig war.
Sie hatte die gleich harten Steinblöcken dastehenden Haupt- und Zeitwörter
mit den dazu gehörige", sie verbindenden Kleinwörtern versehen, sonst aber
nichts geändert. "Du hast ja garnichts dazu gethan, als die Pronomina, den
Artikel und einige Präpositionen und dergleichen. Dadurch wird ja lediglich
die Depesche dreimal so derer!" sagte er ster Millionär!! noch immer überrascht.
"Ich weiß wohl, es ist vielleicht närrisch," erklärte sie bescheiden, "allein es will
mir vorkommen, daß diese kleinen Zuthaten die Schrift milder machen, ein
wenig mit Baumwolle umhüllen, sodaß Sekel das Gefühl habe, als hörte sie
uns mündlich reden, und dafür reut mich die höhere Taxe nicht. Wenn du
aber willst, so untcrschreib' ich das Ding selbst!" -- "Es ist merkwürdig, wie
recht dn hast!" sprach Salander, der die drei oder vier Zeilen nochmals gelesen.
"Es nimmt sich in der That urplötzlich sein und herzlich ans. Wo zum Kukuk
holst du die wunderbar einfachen Stilkünste? Nein, das mußt dn selbst unter¬
schreiben, es wäre mir altem Schulfex uicht eingefallen!"" (S. 372.) In dieser
kleinen Szene hat man das ganze Paar vor sich. Marie überschaut ihren
Gatten, aber sie hat Humor. Als er ihr seine späte Liebschaft beichtet, lacht
sie ihn fein ans. Wir glauben nicht, daß in der ganzen Literatur eine
zweite zugleich fo lebenswahre als ideale Schilderung des Ehelebcns vorhanden
sei, wie sie der Junggeselle Gottfried Keller in seinem Ehepaar Salander ge¬
liefert hat.

Ganz seiner Mutter nachgeraten ist Arnold Salander, den man wohl als
den Träger des Kcllerschcu politischen Ideals ansehen kann. Arnold, der nur


Martin Salander.

Dache verbringt, da spinnt sich unmittelbar vor dem Schlafengehen folgendes
kurze Gespräch ab: „Du, Marie! — Was, Martin? — Eines will ich wetten,
hast du gewiß vergessen! — Was denn? — Meinen alten Stiefelknecht! —
Hier ist er! — Sie zog ihn unter dem Fußende des Bettes hervor." Mit
diesem lakonischer Satze charakterisirt Keller (S. 57) die zarte Aufmerksamkeit seiner
Marie Salander. An klarer Menschenkenntnis ist sie ihrem Gatten weit über¬
legen: sie wird weder von der Heuchelei WvhlwcndS noch von der der Zwillinge
gcuasführt, sie durchschaut beide, und diese fürchten sich vor ihrem Scharfblick.
Mit ihren Kindern ist sie eher streng als zärtlich. Aber als ihre Töchter die
Liebschaft hinter ihrem Rücken betreiben, da fühlt sie sich als Mutter tief ge¬
kränkt. Bei der Verlobung will sie garnicht anwesend sein. Als trotz allem
Abraten die mcijorennen Töchter die Weidelichs heiraten, da sorgt Marie Sa¬
lander dennoch für eine reiche Ausstattung, daß ihre Kinder auch nicht das
geringste entbehren. Als sich dann die Enttäuschung einstellt, ist sie die erste,
die Betrogenen zu trösten. Bei der Verhaftung Jsidors wollen die Eltern der
Tochter auf dem Lande tclegraphireu. Martin „nahm also ein Formnlnr, be¬
schrieb es mit den erforderlichen lakonischer Worten und gab es der Frau. Sie
las den Blitzbricf, studirte einen Augenblick daran herum und beschrieb ein neues
Formular. Verwundert las Martin Salander dasselbe, als sie fertig war.
Sie hatte die gleich harten Steinblöcken dastehenden Haupt- und Zeitwörter
mit den dazu gehörige», sie verbindenden Kleinwörtern versehen, sonst aber
nichts geändert. »Du hast ja garnichts dazu gethan, als die Pronomina, den
Artikel und einige Präpositionen und dergleichen. Dadurch wird ja lediglich
die Depesche dreimal so derer!« sagte er ster Millionär!! noch immer überrascht.
»Ich weiß wohl, es ist vielleicht närrisch,« erklärte sie bescheiden, »allein es will
mir vorkommen, daß diese kleinen Zuthaten die Schrift milder machen, ein
wenig mit Baumwolle umhüllen, sodaß Sekel das Gefühl habe, als hörte sie
uns mündlich reden, und dafür reut mich die höhere Taxe nicht. Wenn du
aber willst, so untcrschreib' ich das Ding selbst!« — »Es ist merkwürdig, wie
recht dn hast!« sprach Salander, der die drei oder vier Zeilen nochmals gelesen.
»Es nimmt sich in der That urplötzlich sein und herzlich ans. Wo zum Kukuk
holst du die wunderbar einfachen Stilkünste? Nein, das mußt dn selbst unter¬
schreiben, es wäre mir altem Schulfex uicht eingefallen!«" (S. 372.) In dieser
kleinen Szene hat man das ganze Paar vor sich. Marie überschaut ihren
Gatten, aber sie hat Humor. Als er ihr seine späte Liebschaft beichtet, lacht
sie ihn fein ans. Wir glauben nicht, daß in der ganzen Literatur eine
zweite zugleich fo lebenswahre als ideale Schilderung des Ehelebcns vorhanden
sei, wie sie der Junggeselle Gottfried Keller in seinem Ehepaar Salander ge¬
liefert hat.

Ganz seiner Mutter nachgeraten ist Arnold Salander, den man wohl als
den Träger des Kcllerschcu politischen Ideals ansehen kann. Arnold, der nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/290>, abgerufen am 03.07.2024.