Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Martin Salander.

gefaßt wird, Ihr Benehmen während der Untersuchungshaft und Verhandlung
muß noch ihre läppische Vornirtheit bekunden, und schließlich werden sie jeder
zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, auf daß ein Exempel statuirt werde.
Als ihre Mutter, die gute Waschfrau Amalie Weidelich, dies erfährt, wird sie
vom Schlage gerührt und stirbt. Sie hatte schon früher Kummer an ihren
herzlosen Söhnen, denen sie ihr ganzes arbeitsvolles Leben geopfert, erfahren
müssen. Und symbolisch sprach sich die tiefe Reue ob ihres einstigen Hochmuts
aus, als sie den reichgeschmückten Federhut grimmig ins Wasser warf. Die
Töchter Scilanders sind gleich beim ersten Einschreiten der Behörden in den
Schutz ihres Elternhauses zurückgeflüchtet; auch sie siud für ihren Eigensinn
schwer gestraft. Martin Salander, der so gutmütig war, sich von dem
Zwillingspaar imponiren zu lassen, der die barocke Idee hatte, die Hochzeit seiner
Töchter zu einem lärmenden Feste mit politischem Anstrich zu gestalten, muß
jetzt mit schwerem Gelde für seine famosen Schwiegersöhne büßen. Und der klassische
Nekrolog, den ihnen der Dichter (S. 413) widmet, lautet: "Um diese
Stunde ^des Todes ihrer Mutter^ glichen die Söhne der Toten einander wieder
ganz so, wie sie ehedem gethan, und setzten die Beamten der Strafanstalt in
Verlegenheit, da sie geschoren, rasirt und in die Sträflingskleider gesteckt waren,
als Beweistümer, daß das eiserne Uhrwerk der Gerechtigkeit noch aufgezogen
war und seinen Dienst that."

Mit all dem eben berichteten haben wir aber die Vorzüge in diesem Roman
noch lange nicht erschöpft, wir haben noch nichts erzählt von dem, was Martin
Salander in diesen Zeiten erlebt, welche Entwicklung er inzwischen durchgemacht
hat. Zweifellos ist es seine Gestalt, welche das Verständnis der oberflächlichen
Leser und Rezensenten auf die schwierigste Probe stellt. Denn dieser Held
des Romans macht die vielleicht einzig in der Literatur dastehende Wandlung
von einer ernst sympathischen Haltung bis zur Lächerlichkeit dnrch, ohne des¬
wegen ganz um die Achtung des Lesers zu kommen. Und gerade hier bekundet
sich jene eingangs erwähnte kühne Technik des souveränen Meisters, welche
dem Leser nicht entgegenkommen will, sondern vielmehr seine angestrengte Auf¬
merksamkeit verlangt. Hat man diese aufgewendet, dann merkt man Wohl, daß
im Organismus dieser komplizirten Natur kein Häkchen fehlt, und daß sie schon
beim ersten Eintritt die Keime ihrer ganzen folgenden Entwicklung in sich trägt.
Man bedenke nur, daß sich die Handlung des Romans über einen Zeitraum
von etwa fünfundzwanzig Jahren verbreitet, und halte sich die Anschauung vom
Gange der menschlichen Entwicklung vor Augen, welche Keller gelegentlich des
stillen Zusammentrinkens von Martin und Marie Salander bei der Hochzeit
ihrer Töchter ausspricht. Dort (S. 216) sagt der Dichter: "Sie trank unver-
weilt einen bessern Schluck als gewöhnlich, und mit ihm einen jener kurzen
Sonnen- oder Silberblicke, die mit der Länge der Zeit sich immer mehr ver¬
lieren, wenn die Menschen sich in Wind und Wetter leise ändern, sodaß die


Martin Salander.

gefaßt wird, Ihr Benehmen während der Untersuchungshaft und Verhandlung
muß noch ihre läppische Vornirtheit bekunden, und schließlich werden sie jeder
zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, auf daß ein Exempel statuirt werde.
Als ihre Mutter, die gute Waschfrau Amalie Weidelich, dies erfährt, wird sie
vom Schlage gerührt und stirbt. Sie hatte schon früher Kummer an ihren
herzlosen Söhnen, denen sie ihr ganzes arbeitsvolles Leben geopfert, erfahren
müssen. Und symbolisch sprach sich die tiefe Reue ob ihres einstigen Hochmuts
aus, als sie den reichgeschmückten Federhut grimmig ins Wasser warf. Die
Töchter Scilanders sind gleich beim ersten Einschreiten der Behörden in den
Schutz ihres Elternhauses zurückgeflüchtet; auch sie siud für ihren Eigensinn
schwer gestraft. Martin Salander, der so gutmütig war, sich von dem
Zwillingspaar imponiren zu lassen, der die barocke Idee hatte, die Hochzeit seiner
Töchter zu einem lärmenden Feste mit politischem Anstrich zu gestalten, muß
jetzt mit schwerem Gelde für seine famosen Schwiegersöhne büßen. Und der klassische
Nekrolog, den ihnen der Dichter (S. 413) widmet, lautet: „Um diese
Stunde ^des Todes ihrer Mutter^ glichen die Söhne der Toten einander wieder
ganz so, wie sie ehedem gethan, und setzten die Beamten der Strafanstalt in
Verlegenheit, da sie geschoren, rasirt und in die Sträflingskleider gesteckt waren,
als Beweistümer, daß das eiserne Uhrwerk der Gerechtigkeit noch aufgezogen
war und seinen Dienst that."

Mit all dem eben berichteten haben wir aber die Vorzüge in diesem Roman
noch lange nicht erschöpft, wir haben noch nichts erzählt von dem, was Martin
Salander in diesen Zeiten erlebt, welche Entwicklung er inzwischen durchgemacht
hat. Zweifellos ist es seine Gestalt, welche das Verständnis der oberflächlichen
Leser und Rezensenten auf die schwierigste Probe stellt. Denn dieser Held
des Romans macht die vielleicht einzig in der Literatur dastehende Wandlung
von einer ernst sympathischen Haltung bis zur Lächerlichkeit dnrch, ohne des¬
wegen ganz um die Achtung des Lesers zu kommen. Und gerade hier bekundet
sich jene eingangs erwähnte kühne Technik des souveränen Meisters, welche
dem Leser nicht entgegenkommen will, sondern vielmehr seine angestrengte Auf¬
merksamkeit verlangt. Hat man diese aufgewendet, dann merkt man Wohl, daß
im Organismus dieser komplizirten Natur kein Häkchen fehlt, und daß sie schon
beim ersten Eintritt die Keime ihrer ganzen folgenden Entwicklung in sich trägt.
Man bedenke nur, daß sich die Handlung des Romans über einen Zeitraum
von etwa fünfundzwanzig Jahren verbreitet, und halte sich die Anschauung vom
Gange der menschlichen Entwicklung vor Augen, welche Keller gelegentlich des
stillen Zusammentrinkens von Martin und Marie Salander bei der Hochzeit
ihrer Töchter ausspricht. Dort (S. 216) sagt der Dichter: „Sie trank unver-
weilt einen bessern Schluck als gewöhnlich, und mit ihm einen jener kurzen
Sonnen- oder Silberblicke, die mit der Länge der Zeit sich immer mehr ver¬
lieren, wenn die Menschen sich in Wind und Wetter leise ändern, sodaß die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0287" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200392"/>
          <fw type="header" place="top"> Martin Salander.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_841" prev="#ID_840"> gefaßt wird, Ihr Benehmen während der Untersuchungshaft und Verhandlung<lb/>
muß noch ihre läppische Vornirtheit bekunden, und schließlich werden sie jeder<lb/>
zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, auf daß ein Exempel statuirt werde.<lb/>
Als ihre Mutter, die gute Waschfrau Amalie Weidelich, dies erfährt, wird sie<lb/>
vom Schlage gerührt und stirbt. Sie hatte schon früher Kummer an ihren<lb/>
herzlosen Söhnen, denen sie ihr ganzes arbeitsvolles Leben geopfert, erfahren<lb/>
müssen. Und symbolisch sprach sich die tiefe Reue ob ihres einstigen Hochmuts<lb/>
aus, als sie den reichgeschmückten Federhut grimmig ins Wasser warf. Die<lb/>
Töchter Scilanders sind gleich beim ersten Einschreiten der Behörden in den<lb/>
Schutz ihres Elternhauses zurückgeflüchtet; auch sie siud für ihren Eigensinn<lb/>
schwer gestraft. Martin Salander, der so gutmütig war, sich von dem<lb/>
Zwillingspaar imponiren zu lassen, der die barocke Idee hatte, die Hochzeit seiner<lb/>
Töchter zu einem lärmenden Feste mit politischem Anstrich zu gestalten, muß<lb/>
jetzt mit schwerem Gelde für seine famosen Schwiegersöhne büßen. Und der klassische<lb/>
Nekrolog, den ihnen der Dichter (S. 413) widmet, lautet: &#x201E;Um diese<lb/>
Stunde ^des Todes ihrer Mutter^ glichen die Söhne der Toten einander wieder<lb/>
ganz so, wie sie ehedem gethan, und setzten die Beamten der Strafanstalt in<lb/>
Verlegenheit, da sie geschoren, rasirt und in die Sträflingskleider gesteckt waren,<lb/>
als Beweistümer, daß das eiserne Uhrwerk der Gerechtigkeit noch aufgezogen<lb/>
war und seinen Dienst that."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_842" next="#ID_843"> Mit all dem eben berichteten haben wir aber die Vorzüge in diesem Roman<lb/>
noch lange nicht erschöpft, wir haben noch nichts erzählt von dem, was Martin<lb/>
Salander in diesen Zeiten erlebt, welche Entwicklung er inzwischen durchgemacht<lb/>
hat. Zweifellos ist es seine Gestalt, welche das Verständnis der oberflächlichen<lb/>
Leser und Rezensenten auf die schwierigste Probe stellt. Denn dieser Held<lb/>
des Romans macht die vielleicht einzig in der Literatur dastehende Wandlung<lb/>
von einer ernst sympathischen Haltung bis zur Lächerlichkeit dnrch, ohne des¬<lb/>
wegen ganz um die Achtung des Lesers zu kommen. Und gerade hier bekundet<lb/>
sich jene eingangs erwähnte kühne Technik des souveränen Meisters, welche<lb/>
dem Leser nicht entgegenkommen will, sondern vielmehr seine angestrengte Auf¬<lb/>
merksamkeit verlangt. Hat man diese aufgewendet, dann merkt man Wohl, daß<lb/>
im Organismus dieser komplizirten Natur kein Häkchen fehlt, und daß sie schon<lb/>
beim ersten Eintritt die Keime ihrer ganzen folgenden Entwicklung in sich trägt.<lb/>
Man bedenke nur, daß sich die Handlung des Romans über einen Zeitraum<lb/>
von etwa fünfundzwanzig Jahren verbreitet, und halte sich die Anschauung vom<lb/>
Gange der menschlichen Entwicklung vor Augen, welche Keller gelegentlich des<lb/>
stillen Zusammentrinkens von Martin und Marie Salander bei der Hochzeit<lb/>
ihrer Töchter ausspricht. Dort (S. 216) sagt der Dichter: &#x201E;Sie trank unver-<lb/>
weilt einen bessern Schluck als gewöhnlich, und mit ihm einen jener kurzen<lb/>
Sonnen- oder Silberblicke, die mit der Länge der Zeit sich immer mehr ver¬<lb/>
lieren, wenn die Menschen sich in Wind und Wetter leise ändern, sodaß die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0287] Martin Salander. gefaßt wird, Ihr Benehmen während der Untersuchungshaft und Verhandlung muß noch ihre läppische Vornirtheit bekunden, und schließlich werden sie jeder zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt, auf daß ein Exempel statuirt werde. Als ihre Mutter, die gute Waschfrau Amalie Weidelich, dies erfährt, wird sie vom Schlage gerührt und stirbt. Sie hatte schon früher Kummer an ihren herzlosen Söhnen, denen sie ihr ganzes arbeitsvolles Leben geopfert, erfahren müssen. Und symbolisch sprach sich die tiefe Reue ob ihres einstigen Hochmuts aus, als sie den reichgeschmückten Federhut grimmig ins Wasser warf. Die Töchter Scilanders sind gleich beim ersten Einschreiten der Behörden in den Schutz ihres Elternhauses zurückgeflüchtet; auch sie siud für ihren Eigensinn schwer gestraft. Martin Salander, der so gutmütig war, sich von dem Zwillingspaar imponiren zu lassen, der die barocke Idee hatte, die Hochzeit seiner Töchter zu einem lärmenden Feste mit politischem Anstrich zu gestalten, muß jetzt mit schwerem Gelde für seine famosen Schwiegersöhne büßen. Und der klassische Nekrolog, den ihnen der Dichter (S. 413) widmet, lautet: „Um diese Stunde ^des Todes ihrer Mutter^ glichen die Söhne der Toten einander wieder ganz so, wie sie ehedem gethan, und setzten die Beamten der Strafanstalt in Verlegenheit, da sie geschoren, rasirt und in die Sträflingskleider gesteckt waren, als Beweistümer, daß das eiserne Uhrwerk der Gerechtigkeit noch aufgezogen war und seinen Dienst that." Mit all dem eben berichteten haben wir aber die Vorzüge in diesem Roman noch lange nicht erschöpft, wir haben noch nichts erzählt von dem, was Martin Salander in diesen Zeiten erlebt, welche Entwicklung er inzwischen durchgemacht hat. Zweifellos ist es seine Gestalt, welche das Verständnis der oberflächlichen Leser und Rezensenten auf die schwierigste Probe stellt. Denn dieser Held des Romans macht die vielleicht einzig in der Literatur dastehende Wandlung von einer ernst sympathischen Haltung bis zur Lächerlichkeit dnrch, ohne des¬ wegen ganz um die Achtung des Lesers zu kommen. Und gerade hier bekundet sich jene eingangs erwähnte kühne Technik des souveränen Meisters, welche dem Leser nicht entgegenkommen will, sondern vielmehr seine angestrengte Auf¬ merksamkeit verlangt. Hat man diese aufgewendet, dann merkt man Wohl, daß im Organismus dieser komplizirten Natur kein Häkchen fehlt, und daß sie schon beim ersten Eintritt die Keime ihrer ganzen folgenden Entwicklung in sich trägt. Man bedenke nur, daß sich die Handlung des Romans über einen Zeitraum von etwa fünfundzwanzig Jahren verbreitet, und halte sich die Anschauung vom Gange der menschlichen Entwicklung vor Augen, welche Keller gelegentlich des stillen Zusammentrinkens von Martin und Marie Salander bei der Hochzeit ihrer Töchter ausspricht. Dort (S. 216) sagt der Dichter: „Sie trank unver- weilt einen bessern Schluck als gewöhnlich, und mit ihm einen jener kurzen Sonnen- oder Silberblicke, die mit der Länge der Zeit sich immer mehr ver¬ lieren, wenn die Menschen sich in Wind und Wetter leise ändern, sodaß die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/287
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/287>, abgerufen am 22.07.2024.