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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Martin Salander.

wollen, sondern auch fähig und bereit sind, so weit es an ihnen ist, zu helfen,
zu belehren, in den ersten Grundsätzen des geselligen und Familienlebens zu
erziehen und sie zu bessern, glücklichern Zeiten hinzuleiten, als sie jetzt zu ver¬
stehen sähig sind. Zur Erreichung dieses Zweckes bedarf es ganz besonders
alles dessen, was man in dem Worte Liebesthätigkeit (olmrit^), in dem höchste"?,
weitesten und edelsten Sinne dieses Wortes zusammenfassen kann, es bedarf nicht
nur des Gcldgebeus, sondern des freudigen Opfers von Zeit, Aufmerksamkeit,
Sorge, Hingebung und Liebe. Diese Leute können gewonnen werden, und sie
verdienen es, und diejenigen, welche dazu beitragen, mögen sich versichert halten,
daß sie sicherlich selbst in dem weitesten, höchsten und edelsten Sinne gewinnen
werden."


ZV. Ruprecht.


Martin Kalander.

on einzelnen großen Meistern erzählt die Kunstgeschichte, daß sie
in vorgerückten Jahren, je souveräner sie die Technik ihrer Kunst
beherrschten, umso kühner sich über alle äußerlichen Mittel der
Darstellung hinwegzusetzen liebten, etwa wie der ältere Rembrandt,
der die Fülle seiner malerischen Absichten nur mit großen massigen
Pinselstrichen andeutete, sodaß seine Gemälde von der Nähe einen unschönen
Haufen von Farbeufleckeu vorstellten und erst in mäßiger Entfernung ihre volle
Schönheit verrieten, oder wie P. P. Rubens, der seine Gemälde gar ohne
Untermalung gleich vom Fleck weg auszuführen liebte; auch vom ältern
Beethoven erzählt mau eine ähnlich kühne Ablehnung aller technischen Hilfs¬
mittel, sodaß der Genuß der spätern Sonaten nnr demjenigen ganz gegönnt ist,
der sich ihn sozusagen im Schweiße seines Angesichts errungen hat.

An diese Beobachtungen der Kunsthistoriker haben wir uns beim Lesen des
neuesten Kcllerschen Romans") erinnert. Gottfried Keller ist zweifellos der
einzige lebende Dichter in deutscher Sprache, von dem man sagen kann, daß es
ein literarisches Ereignis sei, wenn von ihm ein neues Werk erscheint. Nicht
daß der ihm nächst berechtigte -- Theodor Storm -- unterschätzt werden soll;
es spiele" da auch äußerliche Dinge mit. Es hat sich kaum ein andrer lebender
deutscher Dichter so schwer und langsam den Beifall eines größern Leserkreises
errungen wie Gottfried Keller, und als dieser Beifall sich endlich einstellte, da



") Martin Snlcinder. Roman von Gottfried Keller. Berlin, Hertz, 1886.
Martin Salander.

wollen, sondern auch fähig und bereit sind, so weit es an ihnen ist, zu helfen,
zu belehren, in den ersten Grundsätzen des geselligen und Familienlebens zu
erziehen und sie zu bessern, glücklichern Zeiten hinzuleiten, als sie jetzt zu ver¬
stehen sähig sind. Zur Erreichung dieses Zweckes bedarf es ganz besonders
alles dessen, was man in dem Worte Liebesthätigkeit (olmrit^), in dem höchste«?,
weitesten und edelsten Sinne dieses Wortes zusammenfassen kann, es bedarf nicht
nur des Gcldgebeus, sondern des freudigen Opfers von Zeit, Aufmerksamkeit,
Sorge, Hingebung und Liebe. Diese Leute können gewonnen werden, und sie
verdienen es, und diejenigen, welche dazu beitragen, mögen sich versichert halten,
daß sie sicherlich selbst in dem weitesten, höchsten und edelsten Sinne gewinnen
werden."


ZV. Ruprecht.


Martin Kalander.

on einzelnen großen Meistern erzählt die Kunstgeschichte, daß sie
in vorgerückten Jahren, je souveräner sie die Technik ihrer Kunst
beherrschten, umso kühner sich über alle äußerlichen Mittel der
Darstellung hinwegzusetzen liebten, etwa wie der ältere Rembrandt,
der die Fülle seiner malerischen Absichten nur mit großen massigen
Pinselstrichen andeutete, sodaß seine Gemälde von der Nähe einen unschönen
Haufen von Farbeufleckeu vorstellten und erst in mäßiger Entfernung ihre volle
Schönheit verrieten, oder wie P. P. Rubens, der seine Gemälde gar ohne
Untermalung gleich vom Fleck weg auszuführen liebte; auch vom ältern
Beethoven erzählt mau eine ähnlich kühne Ablehnung aller technischen Hilfs¬
mittel, sodaß der Genuß der spätern Sonaten nnr demjenigen ganz gegönnt ist,
der sich ihn sozusagen im Schweiße seines Angesichts errungen hat.

An diese Beobachtungen der Kunsthistoriker haben wir uns beim Lesen des
neuesten Kcllerschen Romans") erinnert. Gottfried Keller ist zweifellos der
einzige lebende Dichter in deutscher Sprache, von dem man sagen kann, daß es
ein literarisches Ereignis sei, wenn von ihm ein neues Werk erscheint. Nicht
daß der ihm nächst berechtigte — Theodor Storm — unterschätzt werden soll;
es spiele» da auch äußerliche Dinge mit. Es hat sich kaum ein andrer lebender
deutscher Dichter so schwer und langsam den Beifall eines größern Leserkreises
errungen wie Gottfried Keller, und als dieser Beifall sich endlich einstellte, da



») Martin Snlcinder. Roman von Gottfried Keller. Berlin, Hertz, 1886.
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[0280] Martin Salander. wollen, sondern auch fähig und bereit sind, so weit es an ihnen ist, zu helfen, zu belehren, in den ersten Grundsätzen des geselligen und Familienlebens zu erziehen und sie zu bessern, glücklichern Zeiten hinzuleiten, als sie jetzt zu ver¬ stehen sähig sind. Zur Erreichung dieses Zweckes bedarf es ganz besonders alles dessen, was man in dem Worte Liebesthätigkeit (olmrit^), in dem höchste«?, weitesten und edelsten Sinne dieses Wortes zusammenfassen kann, es bedarf nicht nur des Gcldgebeus, sondern des freudigen Opfers von Zeit, Aufmerksamkeit, Sorge, Hingebung und Liebe. Diese Leute können gewonnen werden, und sie verdienen es, und diejenigen, welche dazu beitragen, mögen sich versichert halten, daß sie sicherlich selbst in dem weitesten, höchsten und edelsten Sinne gewinnen werden." ZV. Ruprecht. Martin Kalander. on einzelnen großen Meistern erzählt die Kunstgeschichte, daß sie in vorgerückten Jahren, je souveräner sie die Technik ihrer Kunst beherrschten, umso kühner sich über alle äußerlichen Mittel der Darstellung hinwegzusetzen liebten, etwa wie der ältere Rembrandt, der die Fülle seiner malerischen Absichten nur mit großen massigen Pinselstrichen andeutete, sodaß seine Gemälde von der Nähe einen unschönen Haufen von Farbeufleckeu vorstellten und erst in mäßiger Entfernung ihre volle Schönheit verrieten, oder wie P. P. Rubens, der seine Gemälde gar ohne Untermalung gleich vom Fleck weg auszuführen liebte; auch vom ältern Beethoven erzählt mau eine ähnlich kühne Ablehnung aller technischen Hilfs¬ mittel, sodaß der Genuß der spätern Sonaten nnr demjenigen ganz gegönnt ist, der sich ihn sozusagen im Schweiße seines Angesichts errungen hat. An diese Beobachtungen der Kunsthistoriker haben wir uns beim Lesen des neuesten Kcllerschen Romans") erinnert. Gottfried Keller ist zweifellos der einzige lebende Dichter in deutscher Sprache, von dem man sagen kann, daß es ein literarisches Ereignis sei, wenn von ihm ein neues Werk erscheint. Nicht daß der ihm nächst berechtigte — Theodor Storm — unterschätzt werden soll; es spiele» da auch äußerliche Dinge mit. Es hat sich kaum ein andrer lebender deutscher Dichter so schwer und langsam den Beifall eines größern Leserkreises errungen wie Gottfried Keller, und als dieser Beifall sich endlich einstellte, da ») Martin Snlcinder. Roman von Gottfried Keller. Berlin, Hertz, 1886.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/280>, abgerufen am 22.07.2024.