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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Thätigkeit der Frauen für die Milderung der Wohnungsnot.

des Einfamilienhauses festhält, wird man diese Erziehung als beste Schulung
für künftige Hausbesitzer ansehen müssen.

Erscheint die Frau aus den vorerwähnten Gründen geeigneter als der
Mann zur Arbeit an der Besserung der Wvhmmgszustände der ärmern Klassen,
so spricht dafür auch noch die Erwägung, daß heutzutage wenige Männer zu
finden sind, denen ihr Beruf eine umfänglichere, gemeinnützige Thätigkeit erlaubt
und die nicht schon durch andre öffentliche Ämter und Pflichten gebunden
wären. Die Thätigkeit der Männer ist heute eine rastlosere, aufreibendere als
früher, die häusliche Arbeit der Frauen dagegen vielfach durch Maschinen u. dergl.
verringert. Es giebt zahllose Frauen, seien es ältere unverheiratete, verheiratete
ohne Kinder oder mit schon erwachsenen Kindern, welche ihr Hauswesen nicht
vollständig beschäftigt, welche geistig und körperlich gewinnen würden, wenn sie
Gelegenheit fänden, eine Thätigkeit wie die oben geschilderte auszuüben. Manche
Frau mag dazu nicht geeignet sein, denn die Arbeit ist schwer und fordert
Aufopferung, eine große Anzahl ist es aber glücklicherweise, wenn es ihnen
anch selbst zweifelhaft ist. Übung macht auch hier den Meister.

Leider gehört eine solche Thätigkeit bei uns in Deutschland vielfach nicht
zum "guten Ton," ja man hat noch keine Ahnung von ihrer Wichtigkeit und
Dringlichkeit. Anders in England. Einige große englische Baugesellschaften
haben die Verwaltung ihrer großen Hänser der Hauptsache nach in die Hände
von Frauen gelegt. Sie vermieten, sammeln wöchentlich die Mieter ein, gehen
den Leuten mit Rat und That an die Hand, haben ein Auge auf die Erziehung
der Kinder, den Schulbesuch, die Reinlichkeit, sorgen für Verbesserungen, Re¬
paraturen u. s. w. Sollten deutsche Frauen dazu nicht sähig sein?

Ja, wird es heißen, die Gelegenheit zur Bethätigung fehlt. Bisher aller¬
dings, aber rührige Frauen werden sich diese Gelegenheit schaffen, wie sie sich
die mittellose Lehrerin Octavia Hill in London, wie sie sich die Tübinger und
Darmstädter Frauen verschafft haben. Was Kapitalisten vom Ban von
Arbeiterwohnungen abschreckt, ist im allgemeinen nicht die Furcht, Kapital und
Zins zu verlieren, es ist die Unbequemlichkeit, an eine größere Anzahl von
Familien, welche vielfach der Überwachung, ja der Erziehung bedürfen, zu ver¬
mieten, sich der wöchentlichen oder monatlichen Eintreibung des Mietzinses
hinzugeben, Streitigkeiten zu schlichten u. dergl. Der Mann, der in seinem
eignen Beruf vollauf beschäftigt ist und vielleicht noch öffentliche Pflichten über¬
nommen hat, kann sich in der That solchen Geschäften nicht widmen. Aber
wohlhabende Leute, welche ein Paar hundert oder tausend Mark gegen landes¬
üblichen Zins für solche Zwecke herleihen, werden sich genug finden, besonders
wenn es gelingt, einen wenn auch nur kleinen Grundstock durch Stiftungen,
Bazare u. dergl. zu bilden. Ist nur der Anfang gemacht, so strömen bei
vernünftigem Betriebe die Kapitalien zu dem Zinsfuß, welcher heute im all¬
gemeinen für sichere Anlagen gezahlt wird, bald zu. Man verweise nicht auf


Die Thätigkeit der Frauen für die Milderung der Wohnungsnot.

des Einfamilienhauses festhält, wird man diese Erziehung als beste Schulung
für künftige Hausbesitzer ansehen müssen.

Erscheint die Frau aus den vorerwähnten Gründen geeigneter als der
Mann zur Arbeit an der Besserung der Wvhmmgszustände der ärmern Klassen,
so spricht dafür auch noch die Erwägung, daß heutzutage wenige Männer zu
finden sind, denen ihr Beruf eine umfänglichere, gemeinnützige Thätigkeit erlaubt
und die nicht schon durch andre öffentliche Ämter und Pflichten gebunden
wären. Die Thätigkeit der Männer ist heute eine rastlosere, aufreibendere als
früher, die häusliche Arbeit der Frauen dagegen vielfach durch Maschinen u. dergl.
verringert. Es giebt zahllose Frauen, seien es ältere unverheiratete, verheiratete
ohne Kinder oder mit schon erwachsenen Kindern, welche ihr Hauswesen nicht
vollständig beschäftigt, welche geistig und körperlich gewinnen würden, wenn sie
Gelegenheit fänden, eine Thätigkeit wie die oben geschilderte auszuüben. Manche
Frau mag dazu nicht geeignet sein, denn die Arbeit ist schwer und fordert
Aufopferung, eine große Anzahl ist es aber glücklicherweise, wenn es ihnen
anch selbst zweifelhaft ist. Übung macht auch hier den Meister.

Leider gehört eine solche Thätigkeit bei uns in Deutschland vielfach nicht
zum „guten Ton," ja man hat noch keine Ahnung von ihrer Wichtigkeit und
Dringlichkeit. Anders in England. Einige große englische Baugesellschaften
haben die Verwaltung ihrer großen Hänser der Hauptsache nach in die Hände
von Frauen gelegt. Sie vermieten, sammeln wöchentlich die Mieter ein, gehen
den Leuten mit Rat und That an die Hand, haben ein Auge auf die Erziehung
der Kinder, den Schulbesuch, die Reinlichkeit, sorgen für Verbesserungen, Re¬
paraturen u. s. w. Sollten deutsche Frauen dazu nicht sähig sein?

Ja, wird es heißen, die Gelegenheit zur Bethätigung fehlt. Bisher aller¬
dings, aber rührige Frauen werden sich diese Gelegenheit schaffen, wie sie sich
die mittellose Lehrerin Octavia Hill in London, wie sie sich die Tübinger und
Darmstädter Frauen verschafft haben. Was Kapitalisten vom Ban von
Arbeiterwohnungen abschreckt, ist im allgemeinen nicht die Furcht, Kapital und
Zins zu verlieren, es ist die Unbequemlichkeit, an eine größere Anzahl von
Familien, welche vielfach der Überwachung, ja der Erziehung bedürfen, zu ver¬
mieten, sich der wöchentlichen oder monatlichen Eintreibung des Mietzinses
hinzugeben, Streitigkeiten zu schlichten u. dergl. Der Mann, der in seinem
eignen Beruf vollauf beschäftigt ist und vielleicht noch öffentliche Pflichten über¬
nommen hat, kann sich in der That solchen Geschäften nicht widmen. Aber
wohlhabende Leute, welche ein Paar hundert oder tausend Mark gegen landes¬
üblichen Zins für solche Zwecke herleihen, werden sich genug finden, besonders
wenn es gelingt, einen wenn auch nur kleinen Grundstock durch Stiftungen,
Bazare u. dergl. zu bilden. Ist nur der Anfang gemacht, so strömen bei
vernünftigem Betriebe die Kapitalien zu dem Zinsfuß, welcher heute im all¬
gemeinen für sichere Anlagen gezahlt wird, bald zu. Man verweise nicht auf


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[0278] Die Thätigkeit der Frauen für die Milderung der Wohnungsnot. des Einfamilienhauses festhält, wird man diese Erziehung als beste Schulung für künftige Hausbesitzer ansehen müssen. Erscheint die Frau aus den vorerwähnten Gründen geeigneter als der Mann zur Arbeit an der Besserung der Wvhmmgszustände der ärmern Klassen, so spricht dafür auch noch die Erwägung, daß heutzutage wenige Männer zu finden sind, denen ihr Beruf eine umfänglichere, gemeinnützige Thätigkeit erlaubt und die nicht schon durch andre öffentliche Ämter und Pflichten gebunden wären. Die Thätigkeit der Männer ist heute eine rastlosere, aufreibendere als früher, die häusliche Arbeit der Frauen dagegen vielfach durch Maschinen u. dergl. verringert. Es giebt zahllose Frauen, seien es ältere unverheiratete, verheiratete ohne Kinder oder mit schon erwachsenen Kindern, welche ihr Hauswesen nicht vollständig beschäftigt, welche geistig und körperlich gewinnen würden, wenn sie Gelegenheit fänden, eine Thätigkeit wie die oben geschilderte auszuüben. Manche Frau mag dazu nicht geeignet sein, denn die Arbeit ist schwer und fordert Aufopferung, eine große Anzahl ist es aber glücklicherweise, wenn es ihnen anch selbst zweifelhaft ist. Übung macht auch hier den Meister. Leider gehört eine solche Thätigkeit bei uns in Deutschland vielfach nicht zum „guten Ton," ja man hat noch keine Ahnung von ihrer Wichtigkeit und Dringlichkeit. Anders in England. Einige große englische Baugesellschaften haben die Verwaltung ihrer großen Hänser der Hauptsache nach in die Hände von Frauen gelegt. Sie vermieten, sammeln wöchentlich die Mieter ein, gehen den Leuten mit Rat und That an die Hand, haben ein Auge auf die Erziehung der Kinder, den Schulbesuch, die Reinlichkeit, sorgen für Verbesserungen, Re¬ paraturen u. s. w. Sollten deutsche Frauen dazu nicht sähig sein? Ja, wird es heißen, die Gelegenheit zur Bethätigung fehlt. Bisher aller¬ dings, aber rührige Frauen werden sich diese Gelegenheit schaffen, wie sie sich die mittellose Lehrerin Octavia Hill in London, wie sie sich die Tübinger und Darmstädter Frauen verschafft haben. Was Kapitalisten vom Ban von Arbeiterwohnungen abschreckt, ist im allgemeinen nicht die Furcht, Kapital und Zins zu verlieren, es ist die Unbequemlichkeit, an eine größere Anzahl von Familien, welche vielfach der Überwachung, ja der Erziehung bedürfen, zu ver¬ mieten, sich der wöchentlichen oder monatlichen Eintreibung des Mietzinses hinzugeben, Streitigkeiten zu schlichten u. dergl. Der Mann, der in seinem eignen Beruf vollauf beschäftigt ist und vielleicht noch öffentliche Pflichten über¬ nommen hat, kann sich in der That solchen Geschäften nicht widmen. Aber wohlhabende Leute, welche ein Paar hundert oder tausend Mark gegen landes¬ üblichen Zins für solche Zwecke herleihen, werden sich genug finden, besonders wenn es gelingt, einen wenn auch nur kleinen Grundstock durch Stiftungen, Bazare u. dergl. zu bilden. Ist nur der Anfang gemacht, so strömen bei vernünftigem Betriebe die Kapitalien zu dem Zinsfuß, welcher heute im all¬ gemeinen für sichere Anlagen gezahlt wird, bald zu. Man verweise nicht auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/278>, abgerufen am 22.07.2024.