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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Die Rriegswolke im Westen.

Parlamentarische Gegner im Wege stehen, so ist gerade er der Mann, dem die
Absicht und in seiner Stellung die Mittel zuzutrauen sind, sich durch ein Vor¬
brechen unter der Fahne der Revanche an Deutschland in der Gewalt zu be¬
haupten und den Versuch zu einer Steigerung derselben durch Siege zu wagen.
Es bleibt so nur die Frage übrig, ob und wann er die militärische Macht
Frankreichs als der deutschen gewachsen betrachten wird, wenn er das nächste
Ziel seines Ehrgeizes erreicht hat.

Der Ausgang des letzten Krieges mit Deutschland hat in Frankreich eine
fieberhafte Thätigkeit zu dem Zwecke hervorgerufen, für die Zukunft besser ge¬
rüstet zu sein, bei der kein Opfer gescheut und rücksichtslos mit überlieferten
Theorien und Systemen gebrochen wurde, um sich ähnlich wie die siegreichen
Gegner einzurichten. Es sind dabei allerlei Mißverständnisse und Mißgriffe
vorgekommen, und wir haben verschiedene Gesetze aufeinander folgen sehen, die
sich widersprachen, aufhoben oder einschränkten; im ganzen aber darf man sich
rühmen, ganz außerordentliche Fortschritte gemacht zu haben. Die neue Organi¬
sation der französischen Armee gestattet schon jetzt, große Menschenmcisscn in
wohlgegliedertcn Verbänden auszustellen, und gelingt es dem gegenwärtigen
Kriegsminister, seine Pläne zur Vermehrung der Friedensstämme durchzusetzen, so
wird die Armee eine Kriegsstärke erhalten, wie sie noch kein modernes Heer besessen
hat. Frankreich wird -- man lese das Genauere bei Köttschau*) nach, welcher
nach den Schriften ^.v-me la, dcUÄillo und?g.s siuzors eine ausführliche Übersicht
und Beurteilung des in der Bildung begriffenen und bereits der Vollendung
ncchcgerückten französischen Heeres giebt -- nach Durchführung der 1872 be¬
gonnenen Organisation 2 025 253 völlig ausgebildete, 697 072 während eines
Jahres geschulte und 686 100 nach Einberufung für kurze Zeit oberflächlich
geübte, im ganzen also 3 408 425 Soldaten haben, die fast zehn Prozent seiner
Bevölkerung ausmachen. Jedes von den 18 Armeekorps der Armee zerfällt in
2 Infanteriedivisionen zu je 2 Brigaden, die ihrerseits jede aus 2 Regimentern
zu 4 Bataillonen und 2 Depvtkompagnien besteht. Das vierte Bataillon ist
disponibel und wird im Frieden gewöhnlich als Besatzuugstruppc in einer
Festung verwendet; indes hat sich diese Einrichtung nicht bewährt, und so will
Boulanger die vierte" Bataillone und die Hälfte der Depvtkompagnien in den
40 Jägerregimentern aufgehen lassen, mit denen er die französische Armee zu
vermehren gedenkt, und von denen jedes Armeekorps 2 erhalten soll, sodaß es
künftig 10 Regimenter Infanterie zählen würde. Ferner wird es haben:
1 Kavallericbrigade von 2 Regimentern zu je 5 Schwadronen, 1 Artillerie¬
brigade mit 1 Regiment Divisionsartillerie zu 12 fahrenden Batterien und
1 Regiment Korpsartillerie mit 8 fahrenden und 3 reitenden Batterien; dann



*) Der nächste deutsch-französische Krieg. Eine militär-politische Studie r>vn C. Köttschnu,
Oberstleutnant n. D. Straßburg, R. Schultz u. Kvmp,, 1886. Der militärische Teil ist sehr
chrrcich, auch in Betreff des Kriegsschauplatzes, der politische hat' geringern Wert.
Die Rriegswolke im Westen.

Parlamentarische Gegner im Wege stehen, so ist gerade er der Mann, dem die
Absicht und in seiner Stellung die Mittel zuzutrauen sind, sich durch ein Vor¬
brechen unter der Fahne der Revanche an Deutschland in der Gewalt zu be¬
haupten und den Versuch zu einer Steigerung derselben durch Siege zu wagen.
Es bleibt so nur die Frage übrig, ob und wann er die militärische Macht
Frankreichs als der deutschen gewachsen betrachten wird, wenn er das nächste
Ziel seines Ehrgeizes erreicht hat.

Der Ausgang des letzten Krieges mit Deutschland hat in Frankreich eine
fieberhafte Thätigkeit zu dem Zwecke hervorgerufen, für die Zukunft besser ge¬
rüstet zu sein, bei der kein Opfer gescheut und rücksichtslos mit überlieferten
Theorien und Systemen gebrochen wurde, um sich ähnlich wie die siegreichen
Gegner einzurichten. Es sind dabei allerlei Mißverständnisse und Mißgriffe
vorgekommen, und wir haben verschiedene Gesetze aufeinander folgen sehen, die
sich widersprachen, aufhoben oder einschränkten; im ganzen aber darf man sich
rühmen, ganz außerordentliche Fortschritte gemacht zu haben. Die neue Organi¬
sation der französischen Armee gestattet schon jetzt, große Menschenmcisscn in
wohlgegliedertcn Verbänden auszustellen, und gelingt es dem gegenwärtigen
Kriegsminister, seine Pläne zur Vermehrung der Friedensstämme durchzusetzen, so
wird die Armee eine Kriegsstärke erhalten, wie sie noch kein modernes Heer besessen
hat. Frankreich wird — man lese das Genauere bei Köttschau*) nach, welcher
nach den Schriften ^.v-me la, dcUÄillo und?g.s siuzors eine ausführliche Übersicht
und Beurteilung des in der Bildung begriffenen und bereits der Vollendung
ncchcgerückten französischen Heeres giebt — nach Durchführung der 1872 be¬
gonnenen Organisation 2 025 253 völlig ausgebildete, 697 072 während eines
Jahres geschulte und 686 100 nach Einberufung für kurze Zeit oberflächlich
geübte, im ganzen also 3 408 425 Soldaten haben, die fast zehn Prozent seiner
Bevölkerung ausmachen. Jedes von den 18 Armeekorps der Armee zerfällt in
2 Infanteriedivisionen zu je 2 Brigaden, die ihrerseits jede aus 2 Regimentern
zu 4 Bataillonen und 2 Depvtkompagnien besteht. Das vierte Bataillon ist
disponibel und wird im Frieden gewöhnlich als Besatzuugstruppc in einer
Festung verwendet; indes hat sich diese Einrichtung nicht bewährt, und so will
Boulanger die vierte» Bataillone und die Hälfte der Depvtkompagnien in den
40 Jägerregimentern aufgehen lassen, mit denen er die französische Armee zu
vermehren gedenkt, und von denen jedes Armeekorps 2 erhalten soll, sodaß es
künftig 10 Regimenter Infanterie zählen würde. Ferner wird es haben:
1 Kavallericbrigade von 2 Regimentern zu je 5 Schwadronen, 1 Artillerie¬
brigade mit 1 Regiment Divisionsartillerie zu 12 fahrenden Batterien und
1 Regiment Korpsartillerie mit 8 fahrenden und 3 reitenden Batterien; dann



*) Der nächste deutsch-französische Krieg. Eine militär-politische Studie r>vn C. Köttschnu,
Oberstleutnant n. D. Straßburg, R. Schultz u. Kvmp,, 1886. Der militärische Teil ist sehr
chrrcich, auch in Betreff des Kriegsschauplatzes, der politische hat' geringern Wert.
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[0259] Die Rriegswolke im Westen. Parlamentarische Gegner im Wege stehen, so ist gerade er der Mann, dem die Absicht und in seiner Stellung die Mittel zuzutrauen sind, sich durch ein Vor¬ brechen unter der Fahne der Revanche an Deutschland in der Gewalt zu be¬ haupten und den Versuch zu einer Steigerung derselben durch Siege zu wagen. Es bleibt so nur die Frage übrig, ob und wann er die militärische Macht Frankreichs als der deutschen gewachsen betrachten wird, wenn er das nächste Ziel seines Ehrgeizes erreicht hat. Der Ausgang des letzten Krieges mit Deutschland hat in Frankreich eine fieberhafte Thätigkeit zu dem Zwecke hervorgerufen, für die Zukunft besser ge¬ rüstet zu sein, bei der kein Opfer gescheut und rücksichtslos mit überlieferten Theorien und Systemen gebrochen wurde, um sich ähnlich wie die siegreichen Gegner einzurichten. Es sind dabei allerlei Mißverständnisse und Mißgriffe vorgekommen, und wir haben verschiedene Gesetze aufeinander folgen sehen, die sich widersprachen, aufhoben oder einschränkten; im ganzen aber darf man sich rühmen, ganz außerordentliche Fortschritte gemacht zu haben. Die neue Organi¬ sation der französischen Armee gestattet schon jetzt, große Menschenmcisscn in wohlgegliedertcn Verbänden auszustellen, und gelingt es dem gegenwärtigen Kriegsminister, seine Pläne zur Vermehrung der Friedensstämme durchzusetzen, so wird die Armee eine Kriegsstärke erhalten, wie sie noch kein modernes Heer besessen hat. Frankreich wird — man lese das Genauere bei Köttschau*) nach, welcher nach den Schriften ^.v-me la, dcUÄillo und?g.s siuzors eine ausführliche Übersicht und Beurteilung des in der Bildung begriffenen und bereits der Vollendung ncchcgerückten französischen Heeres giebt — nach Durchführung der 1872 be¬ gonnenen Organisation 2 025 253 völlig ausgebildete, 697 072 während eines Jahres geschulte und 686 100 nach Einberufung für kurze Zeit oberflächlich geübte, im ganzen also 3 408 425 Soldaten haben, die fast zehn Prozent seiner Bevölkerung ausmachen. Jedes von den 18 Armeekorps der Armee zerfällt in 2 Infanteriedivisionen zu je 2 Brigaden, die ihrerseits jede aus 2 Regimentern zu 4 Bataillonen und 2 Depvtkompagnien besteht. Das vierte Bataillon ist disponibel und wird im Frieden gewöhnlich als Besatzuugstruppc in einer Festung verwendet; indes hat sich diese Einrichtung nicht bewährt, und so will Boulanger die vierte» Bataillone und die Hälfte der Depvtkompagnien in den 40 Jägerregimentern aufgehen lassen, mit denen er die französische Armee zu vermehren gedenkt, und von denen jedes Armeekorps 2 erhalten soll, sodaß es künftig 10 Regimenter Infanterie zählen würde. Ferner wird es haben: 1 Kavallericbrigade von 2 Regimentern zu je 5 Schwadronen, 1 Artillerie¬ brigade mit 1 Regiment Divisionsartillerie zu 12 fahrenden Batterien und 1 Regiment Korpsartillerie mit 8 fahrenden und 3 reitenden Batterien; dann *) Der nächste deutsch-französische Krieg. Eine militär-politische Studie r>vn C. Köttschnu, Oberstleutnant n. D. Straßburg, R. Schultz u. Kvmp,, 1886. Der militärische Teil ist sehr chrrcich, auch in Betreff des Kriegsschauplatzes, der politische hat' geringern Wert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/259>, abgerufen am 22.07.2024.