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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Jugenderinnerungen.

leben von den kriegerischen Zeitläufen unmittelbar garnicht berührt worden. Die
Oberlausitz oder doch der südlichste Zipfel derselben, der mit der Stadt Zitten
in das gebirgige Böhmen hineingreift, lag den bisherigen Kämpfen fern und
kannte den Krieg mit seinen Schrecken, Wirrnissen lind Verwüstungen nur aus
Erzählungen oder aus jenen dürftigen Nachrichten, welche das "Privilegirte
Zittauer Wochenblatt" mitteilte. Dieses Blättchen, das heute noch, freilich in
andrer Form und anders geleitet, fortbesteht, weihte in meiner Kindheit Vornehm
und Gering, Bürger und Bauer, sofern sie lesen konnten, in die Geheimnisse
der Politik ein, d, h. es brachte die allerwichtigsten Zeitereignisse zur Kenntnis
des Publikums, enthielt sich aber dabei selbstverständlich jeder Kritik.

Diese bisherige Ruhe im staatlichen und bürgerlichen Leben in einer von
den großen Verkehrswegen abgelegnen Heimat verdankten wir dem Anschlusse
Sachsens an den Rheinbund lind der starren Treue, mit welcher König Friedrich
August, der Gerechte genannt, der Sache des Kaisers Napoleon anhing. Nach
der Schlacht bei Bautzen war es auch für diesen entlegnen Landstrich vorüber
mit der Ruhe. Es folgte" zunächst Durchmärsche verschiedner Truppen, die
uns in keiner Weise lustig wurden, Wohl aber uns Kindern sowohl eine große
Augenweide dnrch ihre schimmernden Uniformen gewährten wie unser Ohr durch
die lärmende Janitschcirenmusik ergötzten. Bald jedoch sollte die kriegerische
Weltlage auch uns äußerst unangenehm und zuletzt sogar in hohem Grade ge¬
fahrdrohend werden.

Es rückten nämlich eines Tages mehrere Abteilungen Polen, bestehend aus
Infanterie, Kavallerie und einer Batterie Fußartillerie, ins Dorf, um hier auf
unbestimmte Zeit Quartiere zu beziehe". Da gab es Aufregung, Angst, Sorge
und Ärger in Hülle und Fülle. Denn besaß auch Herwigsdorf eine große
Ausdehnung, indem es sich zu beiden Seite" der Mauban und an den Ufer¬
geländen eines ihr zuströmende" Baches über anderthalb Stunden weit hinzog,
so reichten doch die vorhandenen Räumlichkeiten zur Unterbringung so vieler
fremden Menschen bei weitem nicht zu. Dazu kamen die unverständliche Sprache,
die fremden, ungewohnten Sitten, die vielen Anforderungen einzelner, die auch
beim beste" Wille" der Quartiergeber nicht immer befriedigt werden konnten.

Um die Leute aber unterzubringen, blieb nichts übrig, als Biehställe und
Scheunen zu öffnen, damit sie wenigstens Obdach erhielten. Die Pferde kam-
pirten großenteils im Freien unter leicht gezimmerten Vrettbeduchungeu. Zwischen
diesen Bcdachuugeu und in unmittelbarer Nähe der ausnahmslos mit Stroh
gedeckten Scheune" loderten Nacht für Nacht zum Entsetzen aller Dorfbewohner
die Beiwachtfeuer. Daß bei der Sorglosigkeit und dem großen Leichtsinn der
fremden Gäste, d^e nicht selten mit brennenden Lichtern und Kicnspänen in die
Scheunen gingen, um sich den Bedarf an Hafer dort auszndreschen, dennoch
kein Unglück geschah, ist wirklich z" verwundern.

In dem Hause meiner Eltern, dem Pastorat, nahm der Oberst, als Kom-


Jugenderinnerungen.

leben von den kriegerischen Zeitläufen unmittelbar garnicht berührt worden. Die
Oberlausitz oder doch der südlichste Zipfel derselben, der mit der Stadt Zitten
in das gebirgige Böhmen hineingreift, lag den bisherigen Kämpfen fern und
kannte den Krieg mit seinen Schrecken, Wirrnissen lind Verwüstungen nur aus
Erzählungen oder aus jenen dürftigen Nachrichten, welche das „Privilegirte
Zittauer Wochenblatt" mitteilte. Dieses Blättchen, das heute noch, freilich in
andrer Form und anders geleitet, fortbesteht, weihte in meiner Kindheit Vornehm
und Gering, Bürger und Bauer, sofern sie lesen konnten, in die Geheimnisse
der Politik ein, d, h. es brachte die allerwichtigsten Zeitereignisse zur Kenntnis
des Publikums, enthielt sich aber dabei selbstverständlich jeder Kritik.

Diese bisherige Ruhe im staatlichen und bürgerlichen Leben in einer von
den großen Verkehrswegen abgelegnen Heimat verdankten wir dem Anschlusse
Sachsens an den Rheinbund lind der starren Treue, mit welcher König Friedrich
August, der Gerechte genannt, der Sache des Kaisers Napoleon anhing. Nach
der Schlacht bei Bautzen war es auch für diesen entlegnen Landstrich vorüber
mit der Ruhe. Es folgte» zunächst Durchmärsche verschiedner Truppen, die
uns in keiner Weise lustig wurden, Wohl aber uns Kindern sowohl eine große
Augenweide dnrch ihre schimmernden Uniformen gewährten wie unser Ohr durch
die lärmende Janitschcirenmusik ergötzten. Bald jedoch sollte die kriegerische
Weltlage auch uns äußerst unangenehm und zuletzt sogar in hohem Grade ge¬
fahrdrohend werden.

Es rückten nämlich eines Tages mehrere Abteilungen Polen, bestehend aus
Infanterie, Kavallerie und einer Batterie Fußartillerie, ins Dorf, um hier auf
unbestimmte Zeit Quartiere zu beziehe». Da gab es Aufregung, Angst, Sorge
und Ärger in Hülle und Fülle. Denn besaß auch Herwigsdorf eine große
Ausdehnung, indem es sich zu beiden Seite» der Mauban und an den Ufer¬
geländen eines ihr zuströmende» Baches über anderthalb Stunden weit hinzog,
so reichten doch die vorhandenen Räumlichkeiten zur Unterbringung so vieler
fremden Menschen bei weitem nicht zu. Dazu kamen die unverständliche Sprache,
die fremden, ungewohnten Sitten, die vielen Anforderungen einzelner, die auch
beim beste» Wille» der Quartiergeber nicht immer befriedigt werden konnten.

Um die Leute aber unterzubringen, blieb nichts übrig, als Biehställe und
Scheunen zu öffnen, damit sie wenigstens Obdach erhielten. Die Pferde kam-
pirten großenteils im Freien unter leicht gezimmerten Vrettbeduchungeu. Zwischen
diesen Bcdachuugeu und in unmittelbarer Nähe der ausnahmslos mit Stroh
gedeckten Scheune» loderten Nacht für Nacht zum Entsetzen aller Dorfbewohner
die Beiwachtfeuer. Daß bei der Sorglosigkeit und dem großen Leichtsinn der
fremden Gäste, d^e nicht selten mit brennenden Lichtern und Kicnspänen in die
Scheunen gingen, um sich den Bedarf an Hafer dort auszndreschen, dennoch
kein Unglück geschah, ist wirklich z» verwundern.

In dem Hause meiner Eltern, dem Pastorat, nahm der Oberst, als Kom-


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[0244] Jugenderinnerungen. leben von den kriegerischen Zeitläufen unmittelbar garnicht berührt worden. Die Oberlausitz oder doch der südlichste Zipfel derselben, der mit der Stadt Zitten in das gebirgige Böhmen hineingreift, lag den bisherigen Kämpfen fern und kannte den Krieg mit seinen Schrecken, Wirrnissen lind Verwüstungen nur aus Erzählungen oder aus jenen dürftigen Nachrichten, welche das „Privilegirte Zittauer Wochenblatt" mitteilte. Dieses Blättchen, das heute noch, freilich in andrer Form und anders geleitet, fortbesteht, weihte in meiner Kindheit Vornehm und Gering, Bürger und Bauer, sofern sie lesen konnten, in die Geheimnisse der Politik ein, d, h. es brachte die allerwichtigsten Zeitereignisse zur Kenntnis des Publikums, enthielt sich aber dabei selbstverständlich jeder Kritik. Diese bisherige Ruhe im staatlichen und bürgerlichen Leben in einer von den großen Verkehrswegen abgelegnen Heimat verdankten wir dem Anschlusse Sachsens an den Rheinbund lind der starren Treue, mit welcher König Friedrich August, der Gerechte genannt, der Sache des Kaisers Napoleon anhing. Nach der Schlacht bei Bautzen war es auch für diesen entlegnen Landstrich vorüber mit der Ruhe. Es folgte» zunächst Durchmärsche verschiedner Truppen, die uns in keiner Weise lustig wurden, Wohl aber uns Kindern sowohl eine große Augenweide dnrch ihre schimmernden Uniformen gewährten wie unser Ohr durch die lärmende Janitschcirenmusik ergötzten. Bald jedoch sollte die kriegerische Weltlage auch uns äußerst unangenehm und zuletzt sogar in hohem Grade ge¬ fahrdrohend werden. Es rückten nämlich eines Tages mehrere Abteilungen Polen, bestehend aus Infanterie, Kavallerie und einer Batterie Fußartillerie, ins Dorf, um hier auf unbestimmte Zeit Quartiere zu beziehe». Da gab es Aufregung, Angst, Sorge und Ärger in Hülle und Fülle. Denn besaß auch Herwigsdorf eine große Ausdehnung, indem es sich zu beiden Seite» der Mauban und an den Ufer¬ geländen eines ihr zuströmende» Baches über anderthalb Stunden weit hinzog, so reichten doch die vorhandenen Räumlichkeiten zur Unterbringung so vieler fremden Menschen bei weitem nicht zu. Dazu kamen die unverständliche Sprache, die fremden, ungewohnten Sitten, die vielen Anforderungen einzelner, die auch beim beste» Wille» der Quartiergeber nicht immer befriedigt werden konnten. Um die Leute aber unterzubringen, blieb nichts übrig, als Biehställe und Scheunen zu öffnen, damit sie wenigstens Obdach erhielten. Die Pferde kam- pirten großenteils im Freien unter leicht gezimmerten Vrettbeduchungeu. Zwischen diesen Bcdachuugeu und in unmittelbarer Nähe der ausnahmslos mit Stroh gedeckten Scheune» loderten Nacht für Nacht zum Entsetzen aller Dorfbewohner die Beiwachtfeuer. Daß bei der Sorglosigkeit und dem großen Leichtsinn der fremden Gäste, d^e nicht selten mit brennenden Lichtern und Kicnspänen in die Scheunen gingen, um sich den Bedarf an Hafer dort auszndreschen, dennoch kein Unglück geschah, ist wirklich z» verwundern. In dem Hause meiner Eltern, dem Pastorat, nahm der Oberst, als Kom-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/244>, abgerufen am 01.10.2024.