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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Dugenderinnerungen.
von Ernst Willkomm.^)
1.

einher seelische Zusammenhang mag wohl zwischen Kindheit und
Höheren Alter bestehen?

Diese Frage mußte ich mir oft vorlegen, wenn ich in spätern
Jahren von Zeit zu Zeit dnrch Träume zurückversetzt ward in
die allerfrüheste Kindheit. Ich ward dann von meinem Vater aus
dem Bett gehoben und über einen öden, hallenden Raum zu einem Fenster ge¬
tragen, das sich nach Norden öffnete. Durch dieses Fenster erblickte ich einen
großen glänzenden Stern mit leuchtenden, gegen das Ende sich verbreiternden
Schweife, der alle übrigen Gestirne des funkelnden Nachthimmels überstrahlte.
Der überraschende Anblick dieses berühmt gewordnen Jrrsternes machte einen so
tiefen Eindruck auf mich, daß ich in jener Nacht erst spät einschlief und den über¬
wältigenden Augenblick des Anstannens jenes Gestirns, das mich mehr erschreckte
als verwunderte, nie wieder vergessen habe. Dieser Stern war der Komet des



*) Der Name Ernst Willkomm ist der jüngern Generation wohl wenig bekannt, da sein
Träger seit etwa zehn Jahren wenig oder nichts mehr von sich hatte hören lassen. Und
doch hat er eine lange Zeit hindurch, besonders in den Kreisen der Leipziger Schriflstellerwelt,
eine angesehene Stellung eingenommen, namentlich in der Zeit, die der großen Bewegung
von 1848 und 1849 voranging. Ursprünglich dramatischen Arbeiten mit Vorliebe zugewandt,
ist er dann, nachdem er die Verirrungen und Phantasien der Weltschmerzperivde überwunden
hatte, besonders unter dem stählenden Einflnh großer politischer Kämpfe, die ihn auch einmal
im Jahre 1849 als Korrespondenten nach dein Schleswig-holsteinischen Kriegsschauplatze führten,
zu einem der Begründer des realistischen Romans in Deutschland geworden. Wenn er
dies aber Ivnrde, so verdankt er dies uicht zum wenigsten der liebevollen Versenkung in
die Eigenart seiner schönen Heimat, der südlichen Oberlausitz, wo er um 10. Februar 1810
im Pfarrhause von Herwigsdvrf bei Zittau das Licht der Welt erblickt hatte und seine Jugend
bis zum Abgänge auf die Universität Leipzig im Jahre 1830 verlebte. Auch als Schrift¬
steller kehrte er immer wieder gern in dieses Grenzgebiet zurück, so sehr er sich auch ander-


Dugenderinnerungen.
von Ernst Willkomm.^)
1.

einher seelische Zusammenhang mag wohl zwischen Kindheit und
Höheren Alter bestehen?

Diese Frage mußte ich mir oft vorlegen, wenn ich in spätern
Jahren von Zeit zu Zeit dnrch Träume zurückversetzt ward in
die allerfrüheste Kindheit. Ich ward dann von meinem Vater aus
dem Bett gehoben und über einen öden, hallenden Raum zu einem Fenster ge¬
tragen, das sich nach Norden öffnete. Durch dieses Fenster erblickte ich einen
großen glänzenden Stern mit leuchtenden, gegen das Ende sich verbreiternden
Schweife, der alle übrigen Gestirne des funkelnden Nachthimmels überstrahlte.
Der überraschende Anblick dieses berühmt gewordnen Jrrsternes machte einen so
tiefen Eindruck auf mich, daß ich in jener Nacht erst spät einschlief und den über¬
wältigenden Augenblick des Anstannens jenes Gestirns, das mich mehr erschreckte
als verwunderte, nie wieder vergessen habe. Dieser Stern war der Komet des



*) Der Name Ernst Willkomm ist der jüngern Generation wohl wenig bekannt, da sein
Träger seit etwa zehn Jahren wenig oder nichts mehr von sich hatte hören lassen. Und
doch hat er eine lange Zeit hindurch, besonders in den Kreisen der Leipziger Schriflstellerwelt,
eine angesehene Stellung eingenommen, namentlich in der Zeit, die der großen Bewegung
von 1848 und 1849 voranging. Ursprünglich dramatischen Arbeiten mit Vorliebe zugewandt,
ist er dann, nachdem er die Verirrungen und Phantasien der Weltschmerzperivde überwunden
hatte, besonders unter dem stählenden Einflnh großer politischer Kämpfe, die ihn auch einmal
im Jahre 1849 als Korrespondenten nach dein Schleswig-holsteinischen Kriegsschauplatze führten,
zu einem der Begründer des realistischen Romans in Deutschland geworden. Wenn er
dies aber Ivnrde, so verdankt er dies uicht zum wenigsten der liebevollen Versenkung in
die Eigenart seiner schönen Heimat, der südlichen Oberlausitz, wo er um 10. Februar 1810
im Pfarrhause von Herwigsdvrf bei Zittau das Licht der Welt erblickt hatte und seine Jugend
bis zum Abgänge auf die Universität Leipzig im Jahre 1830 verlebte. Auch als Schrift¬
steller kehrte er immer wieder gern in dieses Grenzgebiet zurück, so sehr er sich auch ander-
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[0242] [Abbildung] Dugenderinnerungen. von Ernst Willkomm.^) 1. einher seelische Zusammenhang mag wohl zwischen Kindheit und Höheren Alter bestehen? Diese Frage mußte ich mir oft vorlegen, wenn ich in spätern Jahren von Zeit zu Zeit dnrch Träume zurückversetzt ward in die allerfrüheste Kindheit. Ich ward dann von meinem Vater aus dem Bett gehoben und über einen öden, hallenden Raum zu einem Fenster ge¬ tragen, das sich nach Norden öffnete. Durch dieses Fenster erblickte ich einen großen glänzenden Stern mit leuchtenden, gegen das Ende sich verbreiternden Schweife, der alle übrigen Gestirne des funkelnden Nachthimmels überstrahlte. Der überraschende Anblick dieses berühmt gewordnen Jrrsternes machte einen so tiefen Eindruck auf mich, daß ich in jener Nacht erst spät einschlief und den über¬ wältigenden Augenblick des Anstannens jenes Gestirns, das mich mehr erschreckte als verwunderte, nie wieder vergessen habe. Dieser Stern war der Komet des *) Der Name Ernst Willkomm ist der jüngern Generation wohl wenig bekannt, da sein Träger seit etwa zehn Jahren wenig oder nichts mehr von sich hatte hören lassen. Und doch hat er eine lange Zeit hindurch, besonders in den Kreisen der Leipziger Schriflstellerwelt, eine angesehene Stellung eingenommen, namentlich in der Zeit, die der großen Bewegung von 1848 und 1849 voranging. Ursprünglich dramatischen Arbeiten mit Vorliebe zugewandt, ist er dann, nachdem er die Verirrungen und Phantasien der Weltschmerzperivde überwunden hatte, besonders unter dem stählenden Einflnh großer politischer Kämpfe, die ihn auch einmal im Jahre 1849 als Korrespondenten nach dein Schleswig-holsteinischen Kriegsschauplatze führten, zu einem der Begründer des realistischen Romans in Deutschland geworden. Wenn er dies aber Ivnrde, so verdankt er dies uicht zum wenigsten der liebevollen Versenkung in die Eigenart seiner schönen Heimat, der südlichen Oberlausitz, wo er um 10. Februar 1810 im Pfarrhause von Herwigsdvrf bei Zittau das Licht der Welt erblickt hatte und seine Jugend bis zum Abgänge auf die Universität Leipzig im Jahre 1830 verlebte. Auch als Schrift¬ steller kehrte er immer wieder gern in dieses Grenzgebiet zurück, so sehr er sich auch ander-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/242>, abgerufen am 03.07.2024.