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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Französische Lharakterköxfe.

Aufenthalt in Frankreich während der Jahre 1792 bis 1795, Briefe eines
Zeugen der französischen Revolution, zu stände. Als er an der Universität
von Oxford einen Cyklus vou Vorträgen in englischer Sprache über die tra¬
gischen Helden Corneilles und Naeines gehalten hatte, verlieh ihm der Senat
dieser berühmten Lehranstalt den Doktortitel KonoriL vimsa.

Taines Hauptwerk aber bildet jene umfassende historische Darstellung der
Ursprünge des heutigen Frankreichs, deren bis jetzt erschienene Abteilungen
das alte Regime, die Revolution, die Errungenschaft der Jakobiner und die
revolutionäre Regierung umfassen. Mächtiger als um seine philosophischen
und kritisch-literarischen Schriften brach der Sturm der Polemik über dieses
merkwürdige Wert los. Ein derartiges in Taines Geist, mit seiner Gewissen¬
haftigkeit und Unabhängigkeit geschriebenes Buch in einem derartigen Zeitpunkte
(von 1876 an) in die Welt geworfen, konnte nicht verfehlen, alle denkenden
Gemüter für oder gegen dasselbe zu entflammen. Diesmal hatten sich die
Rollen seiner Verehrer und seiner Widersacher vertauscht. Die Gegner der
Republik und alle die unentschlossenen "Konservativen," welche ihn zu seiner
Zeit wegen seiner philosophischen Anschauungen und seiner Unerschrockenheit
hätten steinigen mögen, bemächtigten sich seines Werkes mit einer wahren Be¬
geisterung als einer willkommenen Streitwaffe gegen das moderne Jakobinertum
und überhaupt gegen alle Verteidiger der großen Revolution, gegen alle Frei¬
geister, welche ihm in den Tagen seiner Verfolgungen entgegengejubelt hatten,
und aus allen Reihe" der erklärten Republikaner vom gemäßigten rechten bis
zum äußersten linken Flügel trat man ihm mit einer Leidenschaftlichkeit ent¬
gegen, welche bei jedem andern, minder sichern, weniger überzeugnngsvollen,
der Leidenschaft zugänglicheren Geiste als demjenigen Taines der unbefangenen
wissenschaftlichen Weiterführung des Werkes Abbruch gethan hätten.

Zu mehreren malen hatte es Taine versucht, die Pforten der französischen
Akademie zu überschreiten, derselben Akademie, welche gegen seine Ideen so ent¬
schieden Stellung genommen und dieselben als philosophische Ketzerei so strenge
verurteilt hatte, derselben Körperschaft der Unsterblichen, welche den Spiri¬
tualismus gegen ihn in Schutz genommen und mit der Engherzigkeit und Aus¬
schließlichkeit des Klerus gegen die freie Wissenschaft Partei ergriffen hatte.
Zweimal unterlag er, und der Umstand, daß das einemal der Spiritualist Caro
an seiner Statt gewählt wurde, mochte ihm beweisen, daß am Quai des Grands
Augustins noch derselbe Wind wehte. Aber sein großes historisches Wert ver¬
söhnte auch die berühmte Korporation der Unsterblichen mit ihm, weniger um
seiner Wissenschaftlichkeit als um seiner Tendenz willen, und im Januar 1K80
trat er endlich mit allen Ehren akademischer Begrüßung in ihre Mitte.

Dies in gedrängter Folge die Hauptdaten aus dem äußern Leben Taines
(der sich 18(i8 -- um auch dies noch nachzuholen -- mit einer reichen Kaufmanns-
tochter, Fräulein Denuellc, verheiratet hatte), einem an bewegten Ereignissen


Französische Lharakterköxfe.

Aufenthalt in Frankreich während der Jahre 1792 bis 1795, Briefe eines
Zeugen der französischen Revolution, zu stände. Als er an der Universität
von Oxford einen Cyklus vou Vorträgen in englischer Sprache über die tra¬
gischen Helden Corneilles und Naeines gehalten hatte, verlieh ihm der Senat
dieser berühmten Lehranstalt den Doktortitel KonoriL vimsa.

Taines Hauptwerk aber bildet jene umfassende historische Darstellung der
Ursprünge des heutigen Frankreichs, deren bis jetzt erschienene Abteilungen
das alte Regime, die Revolution, die Errungenschaft der Jakobiner und die
revolutionäre Regierung umfassen. Mächtiger als um seine philosophischen
und kritisch-literarischen Schriften brach der Sturm der Polemik über dieses
merkwürdige Wert los. Ein derartiges in Taines Geist, mit seiner Gewissen¬
haftigkeit und Unabhängigkeit geschriebenes Buch in einem derartigen Zeitpunkte
(von 1876 an) in die Welt geworfen, konnte nicht verfehlen, alle denkenden
Gemüter für oder gegen dasselbe zu entflammen. Diesmal hatten sich die
Rollen seiner Verehrer und seiner Widersacher vertauscht. Die Gegner der
Republik und alle die unentschlossenen „Konservativen," welche ihn zu seiner
Zeit wegen seiner philosophischen Anschauungen und seiner Unerschrockenheit
hätten steinigen mögen, bemächtigten sich seines Werkes mit einer wahren Be¬
geisterung als einer willkommenen Streitwaffe gegen das moderne Jakobinertum
und überhaupt gegen alle Verteidiger der großen Revolution, gegen alle Frei¬
geister, welche ihm in den Tagen seiner Verfolgungen entgegengejubelt hatten,
und aus allen Reihe« der erklärten Republikaner vom gemäßigten rechten bis
zum äußersten linken Flügel trat man ihm mit einer Leidenschaftlichkeit ent¬
gegen, welche bei jedem andern, minder sichern, weniger überzeugnngsvollen,
der Leidenschaft zugänglicheren Geiste als demjenigen Taines der unbefangenen
wissenschaftlichen Weiterführung des Werkes Abbruch gethan hätten.

Zu mehreren malen hatte es Taine versucht, die Pforten der französischen
Akademie zu überschreiten, derselben Akademie, welche gegen seine Ideen so ent¬
schieden Stellung genommen und dieselben als philosophische Ketzerei so strenge
verurteilt hatte, derselben Körperschaft der Unsterblichen, welche den Spiri¬
tualismus gegen ihn in Schutz genommen und mit der Engherzigkeit und Aus¬
schließlichkeit des Klerus gegen die freie Wissenschaft Partei ergriffen hatte.
Zweimal unterlag er, und der Umstand, daß das einemal der Spiritualist Caro
an seiner Statt gewählt wurde, mochte ihm beweisen, daß am Quai des Grands
Augustins noch derselbe Wind wehte. Aber sein großes historisches Wert ver¬
söhnte auch die berühmte Korporation der Unsterblichen mit ihm, weniger um
seiner Wissenschaftlichkeit als um seiner Tendenz willen, und im Januar 1K80
trat er endlich mit allen Ehren akademischer Begrüßung in ihre Mitte.

Dies in gedrängter Folge die Hauptdaten aus dem äußern Leben Taines
(der sich 18(i8 — um auch dies noch nachzuholen — mit einer reichen Kaufmanns-
tochter, Fräulein Denuellc, verheiratet hatte), einem an bewegten Ereignissen


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[0238] Französische Lharakterköxfe. Aufenthalt in Frankreich während der Jahre 1792 bis 1795, Briefe eines Zeugen der französischen Revolution, zu stände. Als er an der Universität von Oxford einen Cyklus vou Vorträgen in englischer Sprache über die tra¬ gischen Helden Corneilles und Naeines gehalten hatte, verlieh ihm der Senat dieser berühmten Lehranstalt den Doktortitel KonoriL vimsa. Taines Hauptwerk aber bildet jene umfassende historische Darstellung der Ursprünge des heutigen Frankreichs, deren bis jetzt erschienene Abteilungen das alte Regime, die Revolution, die Errungenschaft der Jakobiner und die revolutionäre Regierung umfassen. Mächtiger als um seine philosophischen und kritisch-literarischen Schriften brach der Sturm der Polemik über dieses merkwürdige Wert los. Ein derartiges in Taines Geist, mit seiner Gewissen¬ haftigkeit und Unabhängigkeit geschriebenes Buch in einem derartigen Zeitpunkte (von 1876 an) in die Welt geworfen, konnte nicht verfehlen, alle denkenden Gemüter für oder gegen dasselbe zu entflammen. Diesmal hatten sich die Rollen seiner Verehrer und seiner Widersacher vertauscht. Die Gegner der Republik und alle die unentschlossenen „Konservativen," welche ihn zu seiner Zeit wegen seiner philosophischen Anschauungen und seiner Unerschrockenheit hätten steinigen mögen, bemächtigten sich seines Werkes mit einer wahren Be¬ geisterung als einer willkommenen Streitwaffe gegen das moderne Jakobinertum und überhaupt gegen alle Verteidiger der großen Revolution, gegen alle Frei¬ geister, welche ihm in den Tagen seiner Verfolgungen entgegengejubelt hatten, und aus allen Reihe« der erklärten Republikaner vom gemäßigten rechten bis zum äußersten linken Flügel trat man ihm mit einer Leidenschaftlichkeit ent¬ gegen, welche bei jedem andern, minder sichern, weniger überzeugnngsvollen, der Leidenschaft zugänglicheren Geiste als demjenigen Taines der unbefangenen wissenschaftlichen Weiterführung des Werkes Abbruch gethan hätten. Zu mehreren malen hatte es Taine versucht, die Pforten der französischen Akademie zu überschreiten, derselben Akademie, welche gegen seine Ideen so ent¬ schieden Stellung genommen und dieselben als philosophische Ketzerei so strenge verurteilt hatte, derselben Körperschaft der Unsterblichen, welche den Spiri¬ tualismus gegen ihn in Schutz genommen und mit der Engherzigkeit und Aus¬ schließlichkeit des Klerus gegen die freie Wissenschaft Partei ergriffen hatte. Zweimal unterlag er, und der Umstand, daß das einemal der Spiritualist Caro an seiner Statt gewählt wurde, mochte ihm beweisen, daß am Quai des Grands Augustins noch derselbe Wind wehte. Aber sein großes historisches Wert ver¬ söhnte auch die berühmte Korporation der Unsterblichen mit ihm, weniger um seiner Wissenschaftlichkeit als um seiner Tendenz willen, und im Januar 1K80 trat er endlich mit allen Ehren akademischer Begrüßung in ihre Mitte. Dies in gedrängter Folge die Hauptdaten aus dem äußern Leben Taines (der sich 18(i8 — um auch dies noch nachzuholen — mit einer reichen Kaufmanns- tochter, Fräulein Denuellc, verheiratet hatte), einem an bewegten Ereignissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/238>, abgerufen am 01.07.2024.