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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Goothe als Pädagog,

den aufmerksamen Leser der "Wahlverwandtschaften" und "Wanderjahre" nach
dieser Richtung kein eigner Nachweis mehr vounvtcn. Während Tieck als
Vertreter der Romantik in der Familiengeschichte von den sieben Weibern des
Blaubart witzig über die pädagogischen Bestrebungen der Aufklärungszeit spottete,
suchte Goethe das Echte und Rechte dieser Tendenzen für die folgende Zeit zu
wahren.

Wir sehen die Karrikatur der auf Erziehung gerichteten Bemühungen des
Jahrhunderts, wenn der würtenbergische Divnhsius in seiner Karlsschnle den
Schulmeister und Jngeuderzieher spielt. "Keine Angelegenheit ist dem Staat
dnrch ihre Folgen so wichtig als Erziehung -- ruft eins der Opfer dieser fürst¬
lichen Erziehuugsversuche aus --, und doch ist keine so preisgegeben, keine dein
Wahne, dem Leichtsinn des Bürgers so uneingeschränkt anvertraut, wie es diese
ist. Falsche Begriffe führen das beste Herz des Erziehers irre; desto schlimmer,
wenn sie sich noch mit Methode brüsten, und den zarten Schößling in Philan¬
thropinen und Gewächshäusern systematisch zu Grunde richten. Der gegenwärtig
herrschende Kitzel, mit Gottes Geschöpfen Christmarkt zu spielen, diese berühmte
Raserei, Menschen zu drechseln und es Dentalivm gleich zu thun, verdiente eS
mehr als jede andre Ausschweifung der Vernunft, die Geißel der Satire zu
fühlen." So zürnte der junge Schiller, indem er die Schaubühne vor allem
als eine Erziehungsanstalt betrachtet wissen wollte. Diesem Mißbräuche der
Erziehung, wie er doch nicht auf die Stuttgarter Militärakademie beschränkt
blieb, steht Goethes Erziehungsmethode entgegen. Nicht seinem Sohne gegenüber,
wohl aber an Friedrich von Stein, dem Sohne der geliebten Freundin, hat er
sie bewährt. Während er den Herzog zu leiten und sich selbst immer mehr zu
selbstloser Wahrheitsliebe zu erziehen suchte, hatte er den Knaben in sein Haus
aufgenommen, ihn ganz in seinem Sinne zu erziehen. Als Körner den zum
Manne erwachsenen dann kennen lernte, hebt er die angenehme Empfindung
hervor, welche das Ebenmaß Steins auf alle ausübe. "Sollte er -- fragte er
Schiller -- nur zum Menschen gebildet werden? Was dn nur über die Er¬
ziehung dieses Menschen schreiben kannst, ist mir interessant. Ich habe ihn als
ein pädagogisches Kunstwerk betrachtet." Und Schiller antwortete: "Goethe hat
Friedrich von Stein eigentlich ganz erzogen und sich dabei vorgesetzt, ihn ganz
objektiv zu macheu. Auch mir ist Stein immer eine sehr wohlthätige Natur
gewesen."

Die Erziehung zum rein Menschlichen, zur Objektivität ist auch der leitende
Gedanke vou "Wilhelm Meisters Lehrjahren," dieser "Odyssee der Bildung," wie
H- von Treitschke den Roman treffend genannt hat. Die Frage nach Mitteln
und Wegen der menschlichen Bildung, welche englische Romane vorher gestreift
hatten, tritt hier in den Mittelpunkt des Ganzen. Wenn die Führer der ersten
romantischen Schule die Lebenskunst lehren, dem heranwachsenden Geschlecht eine
andre Erziehung geben wolle", so verweisen sie auch hierbei wieder auf Goethes


Goothe als Pädagog,

den aufmerksamen Leser der „Wahlverwandtschaften" und „Wanderjahre" nach
dieser Richtung kein eigner Nachweis mehr vounvtcn. Während Tieck als
Vertreter der Romantik in der Familiengeschichte von den sieben Weibern des
Blaubart witzig über die pädagogischen Bestrebungen der Aufklärungszeit spottete,
suchte Goethe das Echte und Rechte dieser Tendenzen für die folgende Zeit zu
wahren.

Wir sehen die Karrikatur der auf Erziehung gerichteten Bemühungen des
Jahrhunderts, wenn der würtenbergische Divnhsius in seiner Karlsschnle den
Schulmeister und Jngeuderzieher spielt. „Keine Angelegenheit ist dem Staat
dnrch ihre Folgen so wichtig als Erziehung — ruft eins der Opfer dieser fürst¬
lichen Erziehuugsversuche aus —, und doch ist keine so preisgegeben, keine dein
Wahne, dem Leichtsinn des Bürgers so uneingeschränkt anvertraut, wie es diese
ist. Falsche Begriffe führen das beste Herz des Erziehers irre; desto schlimmer,
wenn sie sich noch mit Methode brüsten, und den zarten Schößling in Philan¬
thropinen und Gewächshäusern systematisch zu Grunde richten. Der gegenwärtig
herrschende Kitzel, mit Gottes Geschöpfen Christmarkt zu spielen, diese berühmte
Raserei, Menschen zu drechseln und es Dentalivm gleich zu thun, verdiente eS
mehr als jede andre Ausschweifung der Vernunft, die Geißel der Satire zu
fühlen." So zürnte der junge Schiller, indem er die Schaubühne vor allem
als eine Erziehungsanstalt betrachtet wissen wollte. Diesem Mißbräuche der
Erziehung, wie er doch nicht auf die Stuttgarter Militärakademie beschränkt
blieb, steht Goethes Erziehungsmethode entgegen. Nicht seinem Sohne gegenüber,
wohl aber an Friedrich von Stein, dem Sohne der geliebten Freundin, hat er
sie bewährt. Während er den Herzog zu leiten und sich selbst immer mehr zu
selbstloser Wahrheitsliebe zu erziehen suchte, hatte er den Knaben in sein Haus
aufgenommen, ihn ganz in seinem Sinne zu erziehen. Als Körner den zum
Manne erwachsenen dann kennen lernte, hebt er die angenehme Empfindung
hervor, welche das Ebenmaß Steins auf alle ausübe. „Sollte er — fragte er
Schiller — nur zum Menschen gebildet werden? Was dn nur über die Er¬
ziehung dieses Menschen schreiben kannst, ist mir interessant. Ich habe ihn als
ein pädagogisches Kunstwerk betrachtet." Und Schiller antwortete: „Goethe hat
Friedrich von Stein eigentlich ganz erzogen und sich dabei vorgesetzt, ihn ganz
objektiv zu macheu. Auch mir ist Stein immer eine sehr wohlthätige Natur
gewesen."

Die Erziehung zum rein Menschlichen, zur Objektivität ist auch der leitende
Gedanke vou „Wilhelm Meisters Lehrjahren," dieser „Odyssee der Bildung," wie
H- von Treitschke den Roman treffend genannt hat. Die Frage nach Mitteln
und Wegen der menschlichen Bildung, welche englische Romane vorher gestreift
hatten, tritt hier in den Mittelpunkt des Ganzen. Wenn die Führer der ersten
romantischen Schule die Lebenskunst lehren, dem heranwachsenden Geschlecht eine
andre Erziehung geben wolle», so verweisen sie auch hierbei wieder auf Goethes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/181>, abgerufen am 03.07.2024.