Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gymnasinliniterricht und Fachbildung.

und technische Hochschulen, Dem Offiziersaspiranten wäre das Fähndrichsexamen
erspart. Ein normal angelegter Schüler würde seine Schulzeit etwa um die
Mitte seines siebzehnten Lebensjahres beendigen, ein Zeitpunkt, wo die meisten
sich über die Wahl des einzuschlagenden Berufs klar sind. Für die, welche
Humaniora studiren wollen, könnte sich an die Sehnte noch eine Selekta mit
einem Kursus von zwei oder drei Semestern anschließen, wenn man es für
ungeeignet hält, dem Jüngling diese Fächer vor dem achtzehnten oder neun¬
zehnten Lebensjahre mich akademischer Methode vorzutragen. Ich glaube in¬
dessen kaum, daß die letztere Form des Unterrichts ans jener Altersstufe
Unzuträglichkeiten haben würde. Gerade die Peuscu-, Exerzitien- und Extcm-
pvralienarbcit, welche für den jüngeren Schüler eine Erleichterung ist, macht
unsre jetzigen Primaner mißmutig und ungeschickt in der Auffassung einer
freieren VortragSfvrm.

Ein gewisses Bedenken wird sich dagegen erheben, jungen Leuten im noch
nicht vollendeten siebzehnten Lebensjahre alle die akademischen Freiheiten zu ge¬
währen, welche das studentische Leben jetzt mit so großem Reiz ausstatten. Ob
diese Freiheiten unveräußerliche Rechte der akademischen Jngend darstellen und
ihre Beschränkung eine bedauerliche Abschwüchung des frischen, fröhlichen Stu-
dententums bewirten würde, will ich hier nicht untersuchen. Daß in den ersten
Semestern wenig oder garnichts gethan wird und sich die Vorbereitung für das
Examen meist ans die allerletzte Frist der Studienzeit zusammendrängt, ist eine
alte Erfahrung, und die Thatsache, daß Kollegien häufiger belegt, als besucht
werden, hat schon oft berufene Federn ans den Kreisen der Professoren in Be¬
wegung gesetzt. Erst kürzlich hat der berühmte Wiener Chirurg Professor Bill¬
roth in einer Broschüre auf die leerstehenden Hörsäle und die mittelmäßigen
Examina der Mediziner hingewiesen, Erscheinungen, welche in dem Mangel an
Pflichtgefühl der studirenden Jugend ihren Grund hätten. Auch Professor
Schmoller hat den Unfleiß der Studenten öffentlich gerügt und den Vorschlag
gemacht, den wirklichen Kollegienbesuch jedes belegenden Studenten festzustellen,
um das Ergebnis in das Halbjahrszeugnis einzutragen. Dieser Versuch, eine
Kontrole einzuführen, hat aber auf Seiten andrer akademischer Lehrer Wider¬
spruch erfahren, und man ist im ganzen, auch außerhalb der Studentenschaft,
nicht gerade geneigt, die geschichtlich überkommenen Freiheiten zu beengen, indem
man geltend macht, unsre Universitäten seien nun einmal nicht lediglich Unterrichts-
anstalten. Es ist mir nun zwar nicht verstündlich, warum eine Kontrole des
Kollegienbesuchs von den jungen Studenten peinlicher empfunden werden sollte
als z. B. von den Offizieren der Kriegsakademie, die erheblich älter sind. In¬
dessen muß mit gegebenen Verhältnissen gerechnet und keinesfalls die Schul¬
reform von der Einführung akademischer Neuerungen abhängig gemacht werden.
Dagegen zeigt sich ein sehr einfaches Mittel zur Abwehr des Mißbrauches der
akademischen Lernfreiheit in der Einfügung von Prüfungen, welche die Studien-


Gymnasinliniterricht und Fachbildung.

und technische Hochschulen, Dem Offiziersaspiranten wäre das Fähndrichsexamen
erspart. Ein normal angelegter Schüler würde seine Schulzeit etwa um die
Mitte seines siebzehnten Lebensjahres beendigen, ein Zeitpunkt, wo die meisten
sich über die Wahl des einzuschlagenden Berufs klar sind. Für die, welche
Humaniora studiren wollen, könnte sich an die Sehnte noch eine Selekta mit
einem Kursus von zwei oder drei Semestern anschließen, wenn man es für
ungeeignet hält, dem Jüngling diese Fächer vor dem achtzehnten oder neun¬
zehnten Lebensjahre mich akademischer Methode vorzutragen. Ich glaube in¬
dessen kaum, daß die letztere Form des Unterrichts ans jener Altersstufe
Unzuträglichkeiten haben würde. Gerade die Peuscu-, Exerzitien- und Extcm-
pvralienarbcit, welche für den jüngeren Schüler eine Erleichterung ist, macht
unsre jetzigen Primaner mißmutig und ungeschickt in der Auffassung einer
freieren VortragSfvrm.

Ein gewisses Bedenken wird sich dagegen erheben, jungen Leuten im noch
nicht vollendeten siebzehnten Lebensjahre alle die akademischen Freiheiten zu ge¬
währen, welche das studentische Leben jetzt mit so großem Reiz ausstatten. Ob
diese Freiheiten unveräußerliche Rechte der akademischen Jngend darstellen und
ihre Beschränkung eine bedauerliche Abschwüchung des frischen, fröhlichen Stu-
dententums bewirten würde, will ich hier nicht untersuchen. Daß in den ersten
Semestern wenig oder garnichts gethan wird und sich die Vorbereitung für das
Examen meist ans die allerletzte Frist der Studienzeit zusammendrängt, ist eine
alte Erfahrung, und die Thatsache, daß Kollegien häufiger belegt, als besucht
werden, hat schon oft berufene Federn ans den Kreisen der Professoren in Be¬
wegung gesetzt. Erst kürzlich hat der berühmte Wiener Chirurg Professor Bill¬
roth in einer Broschüre auf die leerstehenden Hörsäle und die mittelmäßigen
Examina der Mediziner hingewiesen, Erscheinungen, welche in dem Mangel an
Pflichtgefühl der studirenden Jugend ihren Grund hätten. Auch Professor
Schmoller hat den Unfleiß der Studenten öffentlich gerügt und den Vorschlag
gemacht, den wirklichen Kollegienbesuch jedes belegenden Studenten festzustellen,
um das Ergebnis in das Halbjahrszeugnis einzutragen. Dieser Versuch, eine
Kontrole einzuführen, hat aber auf Seiten andrer akademischer Lehrer Wider¬
spruch erfahren, und man ist im ganzen, auch außerhalb der Studentenschaft,
nicht gerade geneigt, die geschichtlich überkommenen Freiheiten zu beengen, indem
man geltend macht, unsre Universitäten seien nun einmal nicht lediglich Unterrichts-
anstalten. Es ist mir nun zwar nicht verstündlich, warum eine Kontrole des
Kollegienbesuchs von den jungen Studenten peinlicher empfunden werden sollte
als z. B. von den Offizieren der Kriegsakademie, die erheblich älter sind. In¬
dessen muß mit gegebenen Verhältnissen gerechnet und keinesfalls die Schul¬
reform von der Einführung akademischer Neuerungen abhängig gemacht werden.
Dagegen zeigt sich ein sehr einfaches Mittel zur Abwehr des Mißbrauches der
akademischen Lernfreiheit in der Einfügung von Prüfungen, welche die Studien-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0171" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200276"/>
          <fw type="header" place="top"> Gymnasinliniterricht und Fachbildung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_495" prev="#ID_494"> und technische Hochschulen, Dem Offiziersaspiranten wäre das Fähndrichsexamen<lb/>
erspart. Ein normal angelegter Schüler würde seine Schulzeit etwa um die<lb/>
Mitte seines siebzehnten Lebensjahres beendigen, ein Zeitpunkt, wo die meisten<lb/>
sich über die Wahl des einzuschlagenden Berufs klar sind. Für die, welche<lb/>
Humaniora studiren wollen, könnte sich an die Sehnte noch eine Selekta mit<lb/>
einem Kursus von zwei oder drei Semestern anschließen, wenn man es für<lb/>
ungeeignet hält, dem Jüngling diese Fächer vor dem achtzehnten oder neun¬<lb/>
zehnten Lebensjahre mich akademischer Methode vorzutragen. Ich glaube in¬<lb/>
dessen kaum, daß die letztere Form des Unterrichts ans jener Altersstufe<lb/>
Unzuträglichkeiten haben würde. Gerade die Peuscu-, Exerzitien- und Extcm-<lb/>
pvralienarbcit, welche für den jüngeren Schüler eine Erleichterung ist, macht<lb/>
unsre jetzigen Primaner mißmutig und ungeschickt in der Auffassung einer<lb/>
freieren VortragSfvrm.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_496" next="#ID_497"> Ein gewisses Bedenken wird sich dagegen erheben, jungen Leuten im noch<lb/>
nicht vollendeten siebzehnten Lebensjahre alle die akademischen Freiheiten zu ge¬<lb/>
währen, welche das studentische Leben jetzt mit so großem Reiz ausstatten. Ob<lb/>
diese Freiheiten unveräußerliche Rechte der akademischen Jngend darstellen und<lb/>
ihre Beschränkung eine bedauerliche Abschwüchung des frischen, fröhlichen Stu-<lb/>
dententums bewirten würde, will ich hier nicht untersuchen. Daß in den ersten<lb/>
Semestern wenig oder garnichts gethan wird und sich die Vorbereitung für das<lb/>
Examen meist ans die allerletzte Frist der Studienzeit zusammendrängt, ist eine<lb/>
alte Erfahrung, und die Thatsache, daß Kollegien häufiger belegt, als besucht<lb/>
werden, hat schon oft berufene Federn ans den Kreisen der Professoren in Be¬<lb/>
wegung gesetzt. Erst kürzlich hat der berühmte Wiener Chirurg Professor Bill¬<lb/>
roth in einer Broschüre auf die leerstehenden Hörsäle und die mittelmäßigen<lb/>
Examina der Mediziner hingewiesen, Erscheinungen, welche in dem Mangel an<lb/>
Pflichtgefühl der studirenden Jugend ihren Grund hätten. Auch Professor<lb/>
Schmoller hat den Unfleiß der Studenten öffentlich gerügt und den Vorschlag<lb/>
gemacht, den wirklichen Kollegienbesuch jedes belegenden Studenten festzustellen,<lb/>
um das Ergebnis in das Halbjahrszeugnis einzutragen. Dieser Versuch, eine<lb/>
Kontrole einzuführen, hat aber auf Seiten andrer akademischer Lehrer Wider¬<lb/>
spruch erfahren, und man ist im ganzen, auch außerhalb der Studentenschaft,<lb/>
nicht gerade geneigt, die geschichtlich überkommenen Freiheiten zu beengen, indem<lb/>
man geltend macht, unsre Universitäten seien nun einmal nicht lediglich Unterrichts-<lb/>
anstalten. Es ist mir nun zwar nicht verstündlich, warum eine Kontrole des<lb/>
Kollegienbesuchs von den jungen Studenten peinlicher empfunden werden sollte<lb/>
als z. B. von den Offizieren der Kriegsakademie, die erheblich älter sind. In¬<lb/>
dessen muß mit gegebenen Verhältnissen gerechnet und keinesfalls die Schul¬<lb/>
reform von der Einführung akademischer Neuerungen abhängig gemacht werden.<lb/>
Dagegen zeigt sich ein sehr einfaches Mittel zur Abwehr des Mißbrauches der<lb/>
akademischen Lernfreiheit in der Einfügung von Prüfungen, welche die Studien-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0171] Gymnasinliniterricht und Fachbildung. und technische Hochschulen, Dem Offiziersaspiranten wäre das Fähndrichsexamen erspart. Ein normal angelegter Schüler würde seine Schulzeit etwa um die Mitte seines siebzehnten Lebensjahres beendigen, ein Zeitpunkt, wo die meisten sich über die Wahl des einzuschlagenden Berufs klar sind. Für die, welche Humaniora studiren wollen, könnte sich an die Sehnte noch eine Selekta mit einem Kursus von zwei oder drei Semestern anschließen, wenn man es für ungeeignet hält, dem Jüngling diese Fächer vor dem achtzehnten oder neun¬ zehnten Lebensjahre mich akademischer Methode vorzutragen. Ich glaube in¬ dessen kaum, daß die letztere Form des Unterrichts ans jener Altersstufe Unzuträglichkeiten haben würde. Gerade die Peuscu-, Exerzitien- und Extcm- pvralienarbcit, welche für den jüngeren Schüler eine Erleichterung ist, macht unsre jetzigen Primaner mißmutig und ungeschickt in der Auffassung einer freieren VortragSfvrm. Ein gewisses Bedenken wird sich dagegen erheben, jungen Leuten im noch nicht vollendeten siebzehnten Lebensjahre alle die akademischen Freiheiten zu ge¬ währen, welche das studentische Leben jetzt mit so großem Reiz ausstatten. Ob diese Freiheiten unveräußerliche Rechte der akademischen Jngend darstellen und ihre Beschränkung eine bedauerliche Abschwüchung des frischen, fröhlichen Stu- dententums bewirten würde, will ich hier nicht untersuchen. Daß in den ersten Semestern wenig oder garnichts gethan wird und sich die Vorbereitung für das Examen meist ans die allerletzte Frist der Studienzeit zusammendrängt, ist eine alte Erfahrung, und die Thatsache, daß Kollegien häufiger belegt, als besucht werden, hat schon oft berufene Federn ans den Kreisen der Professoren in Be¬ wegung gesetzt. Erst kürzlich hat der berühmte Wiener Chirurg Professor Bill¬ roth in einer Broschüre auf die leerstehenden Hörsäle und die mittelmäßigen Examina der Mediziner hingewiesen, Erscheinungen, welche in dem Mangel an Pflichtgefühl der studirenden Jugend ihren Grund hätten. Auch Professor Schmoller hat den Unfleiß der Studenten öffentlich gerügt und den Vorschlag gemacht, den wirklichen Kollegienbesuch jedes belegenden Studenten festzustellen, um das Ergebnis in das Halbjahrszeugnis einzutragen. Dieser Versuch, eine Kontrole einzuführen, hat aber auf Seiten andrer akademischer Lehrer Wider¬ spruch erfahren, und man ist im ganzen, auch außerhalb der Studentenschaft, nicht gerade geneigt, die geschichtlich überkommenen Freiheiten zu beengen, indem man geltend macht, unsre Universitäten seien nun einmal nicht lediglich Unterrichts- anstalten. Es ist mir nun zwar nicht verstündlich, warum eine Kontrole des Kollegienbesuchs von den jungen Studenten peinlicher empfunden werden sollte als z. B. von den Offizieren der Kriegsakademie, die erheblich älter sind. In¬ dessen muß mit gegebenen Verhältnissen gerechnet und keinesfalls die Schul¬ reform von der Einführung akademischer Neuerungen abhängig gemacht werden. Dagegen zeigt sich ein sehr einfaches Mittel zur Abwehr des Mißbrauches der akademischen Lernfreiheit in der Einfügung von Prüfungen, welche die Studien-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/171
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/171>, abgerufen am 22.12.2024.