Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Kleingewerbe dienstbar zu machen. Nur unter dieser Bedingung darf die Not,
in welcher sich das Kleingewerbe befindet, als vorübergehend bezeichnet werden.
Einen dauernd lebensunfähigen Produktionszweig aber muß man ruhig sterben
lassen, und man kann ihm nur allenfalls ein sanftes Ende bereiten, indem man
bis zu einer gewissen Grenze die einzelnen, die an ihm hängen, in Schutz nimmt,
bis sie ausgestorben oder zu andern Produktionszweigen übergegangen sind.

Die Landwirtschaft dagegen wird ohne allen Zweifel wieder blühen, wenn
die sogenannten neuen Prvduktionsländer einmal dicht genug bevölkert sind, um
ihre Produkte bei sich selbst verwerten zu können. So hat eines die deutsche
Landwirtschaft eine Zukunft, und sie ist es wert, durch Staatshilfe dieser ihr
winkenden Zukunft erhalten zu werden, falls sie nicht aus eigner Kraft in der
Lage ist, so lange auszuharren.

Ob letzteres der Fall ist oder nicht, wäre leicht zu beantworten, wenn alle
landwirtschaftlichen Unternehmer, die mit Verlust arbeiten und hieran aus eigner
Kraft nichts ändern können, sogleich ihre Scholle verließe". Das thun sie aber
nicht. Teils in der Hoffnung auf bessere Zeiten, teils aus Pietät für die
überkommene Heimstätte ihrer Väter bleiben sie sitzen, nicht mir wenn der Unter-
nchmerverlust die Grundrente aufgezehrt hat, sondern, soweit sie selbst die Wirte
sind, sogar dann noch, wenn er ihnen nicht einmal mehr den als Arbeitslohn
zu betrachtenden Lebensunterhalt übrig läßt. Sie helfen sich eben noch eine
Weile mit Nebenbeschäftigung oder Schuldenmacheii, wie es gerade geht, ehe
sie sich zum Äußersten, zum Abzug entschließen. Das ist so beim Großbesitzer,
und es ist so beim Kleinbauern. Der letztere könnte sich vielleicht noch länger
halten, wenn er zur Naturalwirtschaft zurückkehren und alle seine Bedürfnisse
selbst produziren könnte. Aber schon der Stcnerzcttel, der Schulgeldforderungs-
zettel und ähnliche Dinge belehren ihn darüber, daß jetzt andre Zeiten sind,
und daß er Geldwirtschaft treiben muß.

Jedenfalls müssen wir zur Entscheidung unsrer Frage nicht nur auf die
Zahl der schon zusammengebrvchnen Betriebe sehen, sondern auch auf diejenigen
Betriebe, die zwar noch nicht tot, aber anch ohne äußere Hilfe uicht mehr
lebensfähig sind. Die Erhebungen über den Verschuldnngsstand, welche uns
zu Gebote stehen, lassen erkennen, daß die Zahl der hoffnungslos verschuldeten
Betriebe außerordentlich groß ist.*) Füglich dürfen wir somit von einem, wenn
auch noch nicht ganz zu Tage getretenen bedeutenden Rückgänge sprechen, und
dürfen behaupten, daß die Gesamtheit auch um ihrer eignen Wohlfahrt willen
allen Grund hat zu helfen. Will sie dies nicht, so werden Wald und Weide
wieder Besitz nehmen von großen Strecken, die dem Ackerbau gedient haben,
Gebäude werdeu überflüssig werden und zerfallen, Menschen werden der Heimat



Der zusammenfassende Bericht über die bübische Enquete hält zwar die Sache für
weniger bedenklich, aber ich habe schon früher in den Grenzboten nachgewiesen, daß dabei
eine zu hohe Annahme der zulässigen Verschuldnugsgreuze zu Grunde liegt.

Kleingewerbe dienstbar zu machen. Nur unter dieser Bedingung darf die Not,
in welcher sich das Kleingewerbe befindet, als vorübergehend bezeichnet werden.
Einen dauernd lebensunfähigen Produktionszweig aber muß man ruhig sterben
lassen, und man kann ihm nur allenfalls ein sanftes Ende bereiten, indem man
bis zu einer gewissen Grenze die einzelnen, die an ihm hängen, in Schutz nimmt,
bis sie ausgestorben oder zu andern Produktionszweigen übergegangen sind.

Die Landwirtschaft dagegen wird ohne allen Zweifel wieder blühen, wenn
die sogenannten neuen Prvduktionsländer einmal dicht genug bevölkert sind, um
ihre Produkte bei sich selbst verwerten zu können. So hat eines die deutsche
Landwirtschaft eine Zukunft, und sie ist es wert, durch Staatshilfe dieser ihr
winkenden Zukunft erhalten zu werden, falls sie nicht aus eigner Kraft in der
Lage ist, so lange auszuharren.

Ob letzteres der Fall ist oder nicht, wäre leicht zu beantworten, wenn alle
landwirtschaftlichen Unternehmer, die mit Verlust arbeiten und hieran aus eigner
Kraft nichts ändern können, sogleich ihre Scholle verließe». Das thun sie aber
nicht. Teils in der Hoffnung auf bessere Zeiten, teils aus Pietät für die
überkommene Heimstätte ihrer Väter bleiben sie sitzen, nicht mir wenn der Unter-
nchmerverlust die Grundrente aufgezehrt hat, sondern, soweit sie selbst die Wirte
sind, sogar dann noch, wenn er ihnen nicht einmal mehr den als Arbeitslohn
zu betrachtenden Lebensunterhalt übrig läßt. Sie helfen sich eben noch eine
Weile mit Nebenbeschäftigung oder Schuldenmacheii, wie es gerade geht, ehe
sie sich zum Äußersten, zum Abzug entschließen. Das ist so beim Großbesitzer,
und es ist so beim Kleinbauern. Der letztere könnte sich vielleicht noch länger
halten, wenn er zur Naturalwirtschaft zurückkehren und alle seine Bedürfnisse
selbst produziren könnte. Aber schon der Stcnerzcttel, der Schulgeldforderungs-
zettel und ähnliche Dinge belehren ihn darüber, daß jetzt andre Zeiten sind,
und daß er Geldwirtschaft treiben muß.

Jedenfalls müssen wir zur Entscheidung unsrer Frage nicht nur auf die
Zahl der schon zusammengebrvchnen Betriebe sehen, sondern auch auf diejenigen
Betriebe, die zwar noch nicht tot, aber anch ohne äußere Hilfe uicht mehr
lebensfähig sind. Die Erhebungen über den Verschuldnngsstand, welche uns
zu Gebote stehen, lassen erkennen, daß die Zahl der hoffnungslos verschuldeten
Betriebe außerordentlich groß ist.*) Füglich dürfen wir somit von einem, wenn
auch noch nicht ganz zu Tage getretenen bedeutenden Rückgänge sprechen, und
dürfen behaupten, daß die Gesamtheit auch um ihrer eignen Wohlfahrt willen
allen Grund hat zu helfen. Will sie dies nicht, so werden Wald und Weide
wieder Besitz nehmen von großen Strecken, die dem Ackerbau gedient haben,
Gebäude werdeu überflüssig werden und zerfallen, Menschen werden der Heimat



Der zusammenfassende Bericht über die bübische Enquete hält zwar die Sache für
weniger bedenklich, aber ich habe schon früher in den Grenzboten nachgewiesen, daß dabei
eine zu hohe Annahme der zulässigen Verschuldnugsgreuze zu Grunde liegt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200268"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_470" prev="#ID_469"> Kleingewerbe dienstbar zu machen. Nur unter dieser Bedingung darf die Not,<lb/>
in welcher sich das Kleingewerbe befindet, als vorübergehend bezeichnet werden.<lb/>
Einen dauernd lebensunfähigen Produktionszweig aber muß man ruhig sterben<lb/>
lassen, und man kann ihm nur allenfalls ein sanftes Ende bereiten, indem man<lb/>
bis zu einer gewissen Grenze die einzelnen, die an ihm hängen, in Schutz nimmt,<lb/>
bis sie ausgestorben oder zu andern Produktionszweigen übergegangen sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_471"> Die Landwirtschaft dagegen wird ohne allen Zweifel wieder blühen, wenn<lb/>
die sogenannten neuen Prvduktionsländer einmal dicht genug bevölkert sind, um<lb/>
ihre Produkte bei sich selbst verwerten zu können. So hat eines die deutsche<lb/>
Landwirtschaft eine Zukunft, und sie ist es wert, durch Staatshilfe dieser ihr<lb/>
winkenden Zukunft erhalten zu werden, falls sie nicht aus eigner Kraft in der<lb/>
Lage ist, so lange auszuharren.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_472"> Ob letzteres der Fall ist oder nicht, wäre leicht zu beantworten, wenn alle<lb/>
landwirtschaftlichen Unternehmer, die mit Verlust arbeiten und hieran aus eigner<lb/>
Kraft nichts ändern können, sogleich ihre Scholle verließe». Das thun sie aber<lb/>
nicht. Teils in der Hoffnung auf bessere Zeiten, teils aus Pietät für die<lb/>
überkommene Heimstätte ihrer Väter bleiben sie sitzen, nicht mir wenn der Unter-<lb/>
nchmerverlust die Grundrente aufgezehrt hat, sondern, soweit sie selbst die Wirte<lb/>
sind, sogar dann noch, wenn er ihnen nicht einmal mehr den als Arbeitslohn<lb/>
zu betrachtenden Lebensunterhalt übrig läßt. Sie helfen sich eben noch eine<lb/>
Weile mit Nebenbeschäftigung oder Schuldenmacheii, wie es gerade geht, ehe<lb/>
sie sich zum Äußersten, zum Abzug entschließen. Das ist so beim Großbesitzer,<lb/>
und es ist so beim Kleinbauern. Der letztere könnte sich vielleicht noch länger<lb/>
halten, wenn er zur Naturalwirtschaft zurückkehren und alle seine Bedürfnisse<lb/>
selbst produziren könnte. Aber schon der Stcnerzcttel, der Schulgeldforderungs-<lb/>
zettel und ähnliche Dinge belehren ihn darüber, daß jetzt andre Zeiten sind,<lb/>
und daß er Geldwirtschaft treiben muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_473" next="#ID_474"> Jedenfalls müssen wir zur Entscheidung unsrer Frage nicht nur auf die<lb/>
Zahl der schon zusammengebrvchnen Betriebe sehen, sondern auch auf diejenigen<lb/>
Betriebe, die zwar noch nicht tot, aber anch ohne äußere Hilfe uicht mehr<lb/>
lebensfähig sind. Die Erhebungen über den Verschuldnngsstand, welche uns<lb/>
zu Gebote stehen, lassen erkennen, daß die Zahl der hoffnungslos verschuldeten<lb/>
Betriebe außerordentlich groß ist.*) Füglich dürfen wir somit von einem, wenn<lb/>
auch noch nicht ganz zu Tage getretenen bedeutenden Rückgänge sprechen, und<lb/>
dürfen behaupten, daß die Gesamtheit auch um ihrer eignen Wohlfahrt willen<lb/>
allen Grund hat zu helfen. Will sie dies nicht, so werden Wald und Weide<lb/>
wieder Besitz nehmen von großen Strecken, die dem Ackerbau gedient haben,<lb/>
Gebäude werdeu überflüssig werden und zerfallen, Menschen werden der Heimat</p><lb/>
          <note xml:id="FID_21" place="foot"> Der zusammenfassende Bericht über die bübische Enquete hält zwar die Sache für<lb/>
weniger bedenklich, aber ich habe schon früher in den Grenzboten nachgewiesen, daß dabei<lb/>
eine zu hohe Annahme der zulässigen Verschuldnugsgreuze zu Grunde liegt.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0163] Kleingewerbe dienstbar zu machen. Nur unter dieser Bedingung darf die Not, in welcher sich das Kleingewerbe befindet, als vorübergehend bezeichnet werden. Einen dauernd lebensunfähigen Produktionszweig aber muß man ruhig sterben lassen, und man kann ihm nur allenfalls ein sanftes Ende bereiten, indem man bis zu einer gewissen Grenze die einzelnen, die an ihm hängen, in Schutz nimmt, bis sie ausgestorben oder zu andern Produktionszweigen übergegangen sind. Die Landwirtschaft dagegen wird ohne allen Zweifel wieder blühen, wenn die sogenannten neuen Prvduktionsländer einmal dicht genug bevölkert sind, um ihre Produkte bei sich selbst verwerten zu können. So hat eines die deutsche Landwirtschaft eine Zukunft, und sie ist es wert, durch Staatshilfe dieser ihr winkenden Zukunft erhalten zu werden, falls sie nicht aus eigner Kraft in der Lage ist, so lange auszuharren. Ob letzteres der Fall ist oder nicht, wäre leicht zu beantworten, wenn alle landwirtschaftlichen Unternehmer, die mit Verlust arbeiten und hieran aus eigner Kraft nichts ändern können, sogleich ihre Scholle verließe». Das thun sie aber nicht. Teils in der Hoffnung auf bessere Zeiten, teils aus Pietät für die überkommene Heimstätte ihrer Väter bleiben sie sitzen, nicht mir wenn der Unter- nchmerverlust die Grundrente aufgezehrt hat, sondern, soweit sie selbst die Wirte sind, sogar dann noch, wenn er ihnen nicht einmal mehr den als Arbeitslohn zu betrachtenden Lebensunterhalt übrig läßt. Sie helfen sich eben noch eine Weile mit Nebenbeschäftigung oder Schuldenmacheii, wie es gerade geht, ehe sie sich zum Äußersten, zum Abzug entschließen. Das ist so beim Großbesitzer, und es ist so beim Kleinbauern. Der letztere könnte sich vielleicht noch länger halten, wenn er zur Naturalwirtschaft zurückkehren und alle seine Bedürfnisse selbst produziren könnte. Aber schon der Stcnerzcttel, der Schulgeldforderungs- zettel und ähnliche Dinge belehren ihn darüber, daß jetzt andre Zeiten sind, und daß er Geldwirtschaft treiben muß. Jedenfalls müssen wir zur Entscheidung unsrer Frage nicht nur auf die Zahl der schon zusammengebrvchnen Betriebe sehen, sondern auch auf diejenigen Betriebe, die zwar noch nicht tot, aber anch ohne äußere Hilfe uicht mehr lebensfähig sind. Die Erhebungen über den Verschuldnngsstand, welche uns zu Gebote stehen, lassen erkennen, daß die Zahl der hoffnungslos verschuldeten Betriebe außerordentlich groß ist.*) Füglich dürfen wir somit von einem, wenn auch noch nicht ganz zu Tage getretenen bedeutenden Rückgänge sprechen, und dürfen behaupten, daß die Gesamtheit auch um ihrer eignen Wohlfahrt willen allen Grund hat zu helfen. Will sie dies nicht, so werden Wald und Weide wieder Besitz nehmen von großen Strecken, die dem Ackerbau gedient haben, Gebäude werdeu überflüssig werden und zerfallen, Menschen werden der Heimat Der zusammenfassende Bericht über die bübische Enquete hält zwar die Sache für weniger bedenklich, aber ich habe schon früher in den Grenzboten nachgewiesen, daß dabei eine zu hohe Annahme der zulässigen Verschuldnugsgreuze zu Grunde liegt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/163
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/163>, abgerufen am 23.12.2024.