Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.Lrich Schmidts Charakteristiken, das Kleine wohnen gleich guten deutschen Hausgeistern in den alten Räumen, Schließlich sei noch der für sich allein dastehende Essay: "Elfriede-Drcunen Damit Hütten wir in flüchtigen Zügen den Inhalt dieses wertvollen Bandes Lrich Schmidts Charakteristiken, das Kleine wohnen gleich guten deutschen Hausgeistern in den alten Räumen, Schließlich sei noch der für sich allein dastehende Essay: „Elfriede-Drcunen Damit Hütten wir in flüchtigen Zügen den Inhalt dieses wertvollen Bandes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/200248"/> <fw type="header" place="top"> Lrich Schmidts Charakteristiken,</fw><lb/> <p xml:id="ID_404" prev="#ID_403"> das Kleine wohnen gleich guten deutschen Hausgeistern in den alten Räumen,<lb/> um oft Urväterhausrat mit modernem Fabrikat friedliche Nachbarschaft hält<lb/> und manches Stück dem sinnenden Betrachter Uerlluugcnc Töne, verblichene<lb/> Bilder wiederum vor die Seele ruft." Man kann die Stormsche Grund-<lb/> stimmung nicht treffender kennzeichnen, als es Schmidt in diesen Worten<lb/> gethan hat! Später findet er »och das glückliche Wort der „Resignations¬<lb/> poesie" für die Lieblingsmotive Storms und gestaltet das Bild des Dichters<lb/> überhaupt mit der wärmsten Hingebung aus. Abgeschlossen ist natürlich diese<lb/> Arbeit nicht, und Storm wird hoffentlich noch Anlaß zu vielen neuen Ent¬<lb/> deckungen an seiner Kunst geben."</p><lb/> <p xml:id="ID_405"> Schließlich sei noch der für sich allein dastehende Essay: „Elfriede-Drcunen<lb/> genannt, ein Gegenstück zur Leuvreuftudie der ersten Hälfte des Buches. Die<lb/> Tragödie „Elfriede" von Paul Heyse gab Schmidt deu Anlaß, die von vielen<lb/> Dichtern seit langen Jahrhunderten erfolglos versuchte Dramatisirung des<lb/> interessanten Motivs historisch zu verfolgen und daran eine Kritik des Hchseschen<lb/> Dramas anzuschließen. Schmidt sucht auch Heyses dramatischer Thätigkeit<lb/> gegenüber eine gerechtere Haltung einzunehmen, als er sie bei andern Kritikern<lb/> findet, die dem Meister der Novelle von vornherein die dramatische Thätigkeit<lb/> abraten wollen.</p><lb/> <p xml:id="ID_406"> Damit Hütten wir in flüchtigen Zügen den Inhalt dieses wertvollen Bandes<lb/> umrissen. Wir lernen daraus Erich Schmidt als einen ebenso gelehrten wie<lb/> feinsinnigen Forscher kennen. Er ist ein am Leben der Gegenwart teilnehmender<lb/> Historiker. Als er in Straßbnrg war, ließ er sich durch den Minus looi zu<lb/> den Studien über die elsässische Vergangenheit anregen, und in Wien vertiefte<lb/> er in sich die österreichischen Zustände, deren rühmlichere Geschichte freilich erst mit<lb/> Grillparzer und Raimund anhebt. Diese Teilnahme am Leben in Verbindung<lb/> mit der historischen Forschung. diese „Aktualität," welche keineswegs hinter der<lb/> Jahreszahl 1832 einen dicken Strich macht, ist besonders charakteristisch für den<lb/> Charakteristiker. Er ist kein philosophischer, prinzipienlegender Geist wie Wilhelm<lb/> Scherer, sondern ein eminent historischer Kopf. So ist z. B. bezeichnend für<lb/> ihn, daß er ästhetische Prinzipienfragen am liebsten dnrch Aussprüche großer<lb/> Dichter wie Goethe oder auch Hebbel belegt; über die Kunst haben nach ihm,<lb/> könnte man schließen, die Künstler allein das entscheidende Wort. Er selbst ist<lb/> nichts als Historiker. Und in diesem Geiste ist das wissenschaftliche Bekenntnis<lb/> gehalten, welches er in der Schlußabhandlung seines Buches ablegt. Es ist<lb/> die wesentlich verbesserte Antrittsvorlesung über die „Wege und Ziele der<lb/> Literaturgeschichte," welche er bei seinem ersten Auftreten in Wien gehalten hat.<lb/> Es ist keine äußerliche Notiz, wem? Erich Schmidt in einer kleiner Fußnote<lb/> auf das während des Druckes der „Charakteristiken" erschienene geistvolle Wert<lb/> von Ottokar Lorenz über die „Geschichtswissenschaft" verweist; dieselbe Grund-<lb/> anschauung von der Aufgabe aller historischen Forschung ist in beiden Gelehrten<lb/> lebendig wirksam. Wie Lorenz es als die Aufgabe der Geschichtswissenschaft<lb/> erklärt, darzustellen, wie es gekommen sei, daß wir jetzt gerade in solchen und keinen<lb/> andern politischen Zuständen existiren, so will auch die Literaturgeschichte Erich<lb/> Schmidts aus dem vollen Gefühl der Gegenwart, ihres künstlerischen Geschmacks<lb/> und ihrer Bildungszustände die Vergangenheit anschauen. Darum ist auch<lb/> keiner mehr Feind der sich selbst genügenden und anmaßenden wissenschaftlichen<lb/> Handlangerarbeit als eben Erich Schmidt. An diesem frischen, kräftigen, lebens¬<lb/> froher Geiste muß man seine Freude haben.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0143]
Lrich Schmidts Charakteristiken,
das Kleine wohnen gleich guten deutschen Hausgeistern in den alten Räumen,
um oft Urväterhausrat mit modernem Fabrikat friedliche Nachbarschaft hält
und manches Stück dem sinnenden Betrachter Uerlluugcnc Töne, verblichene
Bilder wiederum vor die Seele ruft." Man kann die Stormsche Grund-
stimmung nicht treffender kennzeichnen, als es Schmidt in diesen Worten
gethan hat! Später findet er »och das glückliche Wort der „Resignations¬
poesie" für die Lieblingsmotive Storms und gestaltet das Bild des Dichters
überhaupt mit der wärmsten Hingebung aus. Abgeschlossen ist natürlich diese
Arbeit nicht, und Storm wird hoffentlich noch Anlaß zu vielen neuen Ent¬
deckungen an seiner Kunst geben."
Schließlich sei noch der für sich allein dastehende Essay: „Elfriede-Drcunen
genannt, ein Gegenstück zur Leuvreuftudie der ersten Hälfte des Buches. Die
Tragödie „Elfriede" von Paul Heyse gab Schmidt deu Anlaß, die von vielen
Dichtern seit langen Jahrhunderten erfolglos versuchte Dramatisirung des
interessanten Motivs historisch zu verfolgen und daran eine Kritik des Hchseschen
Dramas anzuschließen. Schmidt sucht auch Heyses dramatischer Thätigkeit
gegenüber eine gerechtere Haltung einzunehmen, als er sie bei andern Kritikern
findet, die dem Meister der Novelle von vornherein die dramatische Thätigkeit
abraten wollen.
Damit Hütten wir in flüchtigen Zügen den Inhalt dieses wertvollen Bandes
umrissen. Wir lernen daraus Erich Schmidt als einen ebenso gelehrten wie
feinsinnigen Forscher kennen. Er ist ein am Leben der Gegenwart teilnehmender
Historiker. Als er in Straßbnrg war, ließ er sich durch den Minus looi zu
den Studien über die elsässische Vergangenheit anregen, und in Wien vertiefte
er in sich die österreichischen Zustände, deren rühmlichere Geschichte freilich erst mit
Grillparzer und Raimund anhebt. Diese Teilnahme am Leben in Verbindung
mit der historischen Forschung. diese „Aktualität," welche keineswegs hinter der
Jahreszahl 1832 einen dicken Strich macht, ist besonders charakteristisch für den
Charakteristiker. Er ist kein philosophischer, prinzipienlegender Geist wie Wilhelm
Scherer, sondern ein eminent historischer Kopf. So ist z. B. bezeichnend für
ihn, daß er ästhetische Prinzipienfragen am liebsten dnrch Aussprüche großer
Dichter wie Goethe oder auch Hebbel belegt; über die Kunst haben nach ihm,
könnte man schließen, die Künstler allein das entscheidende Wort. Er selbst ist
nichts als Historiker. Und in diesem Geiste ist das wissenschaftliche Bekenntnis
gehalten, welches er in der Schlußabhandlung seines Buches ablegt. Es ist
die wesentlich verbesserte Antrittsvorlesung über die „Wege und Ziele der
Literaturgeschichte," welche er bei seinem ersten Auftreten in Wien gehalten hat.
Es ist keine äußerliche Notiz, wem? Erich Schmidt in einer kleiner Fußnote
auf das während des Druckes der „Charakteristiken" erschienene geistvolle Wert
von Ottokar Lorenz über die „Geschichtswissenschaft" verweist; dieselbe Grund-
anschauung von der Aufgabe aller historischen Forschung ist in beiden Gelehrten
lebendig wirksam. Wie Lorenz es als die Aufgabe der Geschichtswissenschaft
erklärt, darzustellen, wie es gekommen sei, daß wir jetzt gerade in solchen und keinen
andern politischen Zuständen existiren, so will auch die Literaturgeschichte Erich
Schmidts aus dem vollen Gefühl der Gegenwart, ihres künstlerischen Geschmacks
und ihrer Bildungszustände die Vergangenheit anschauen. Darum ist auch
keiner mehr Feind der sich selbst genügenden und anmaßenden wissenschaftlichen
Handlangerarbeit als eben Erich Schmidt. An diesem frischen, kräftigen, lebens¬
froher Geiste muß man seine Freude haben.
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