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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr.

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Eine christliche Ästhetik.

der "schwierigen" Stelle des Thomas von Aquino: ?nlowii enim äiouutur
MA-z visii vlaosnt lesen wir weder eine Unterstützung der idealistischen noch
der realistischen Ästhetik heraus, sondern einfach die Thatsache, daß der große
Kirchenlehrer seinen Aristoteles Wohl inne hatte. Daß übrigens das Sinken
des Geschmacks, der Kunst und damit der .Kunstlehre zu der Vernachlässigung
der Werke des großen Aquinateu in irgendwelcher Beziehung stehe, haben wir
bei aller Bewunderung für den cloowr mira-vitis und aller Skepsis gegenüber
dem künstlerischen oder vielmehr unkünstlerischen Zuge der Zeit nicht zu er¬
gründen vermocht. Die Auseinandersetzungen mit den Ästhetikern sind im
Sinne unsrer oben bezeichneten Methode oft sehr lehrreich. Nur möchten wir
dagegen Protestiren, daß der philosophische Pantheismus mit dem Junghegelianer
Bischer in eins gesetzt wird, und was schließlich bei Beurteilung des "national-
liberalen Ästhetikers" Carriere der Nationalliberalismus zu thun hat, ist uns
ganz unverständlich geblieben.

"Alles Schöne ist schwer." Wir schließen mit dem bedeutsamen Worte,
mit dem wir in die Erörterung des August Reichensperger gewidmeten Systems
der Ästhetik eintraten. Sein Autor wird uns kaum vorwerfen können, daß wir
es uns leicht gemacht haben. Und gerade weil wir in jenem sokratischen Sinne
das Schöne für schwer zu beurteilen halten, kann auch unsre philosophische
Ergründung des "Schönen" nicht so einfach und einheitlich ausfallen wie die
seine. Freilich, wenn man, den Doppelsinn jenes Sprichwortes benutzend, das
Schöne völlig gleich dem Guten setzt, so kann man allerdings sehr leicht mit
ihm fertig werden. Denn das Gute ist wohl schwer zu üben und auszuführen,
aber zu beurteilen ist es stets sehr leicht, und zwar gleichermaßen für feinere
und gröbere Geister. Hier werden also keine Meinungsverschiedenheiten zu
schlichten, keine entgegengesetzten Auffassungen zu einen sein. Beschränkt man
vollends seine Anschauung vom Guten auf das allerhöchste Gute, wie es im
weltüberwindenden "Heiligen" entgegentritt, "ut nennt dies "Schönheit," so
wird man in seiner Ästhetik sehr bald dogmatisch auftreten können. Ist man
überdies klug "ud geschickt in der Anwendung des Dogmas, und wählt man
die Beispiele für diese Art vou "Schönheit" zweckentsprechend, so wird man
auch den Anschein erwecken können, als sei dies ihr unverletzlicher Kanon. Frei¬
lich, unter diesen Voraussetzungen ist es ein Kanon, über den garnicht zu streiten
ist, und es ist wirklich erfreulich, welche geringe Rolle der bekannte ästhetische
Ketzer, der "Geschmack," bei demselben spielt. Er erscheint bezeichnenderweise
ganz am Schluß und wird sehr vornehm abgefertigt. Aber leider ist damit
wenig gewonnen. Für ein beschränktes Gebiet dnrch eine Reihe feiner und
richtiger Bestimmungen seiner Willkür beraubt, weist er uns für sein ganzes
übriges Reich, das sich doch nun einmal trotz Dogmen und Voraussetzungen nicht
Hinwegdisputiren läßt, auf seine licht- und ordnungswidrigen Tendenzen hin.
Ihnen gilt es auch dort zu begegnen, auch dort, wenn auch nicht Dogma und


Eine christliche Ästhetik.

der „schwierigen" Stelle des Thomas von Aquino: ?nlowii enim äiouutur
MA-z visii vlaosnt lesen wir weder eine Unterstützung der idealistischen noch
der realistischen Ästhetik heraus, sondern einfach die Thatsache, daß der große
Kirchenlehrer seinen Aristoteles Wohl inne hatte. Daß übrigens das Sinken
des Geschmacks, der Kunst und damit der .Kunstlehre zu der Vernachlässigung
der Werke des großen Aquinateu in irgendwelcher Beziehung stehe, haben wir
bei aller Bewunderung für den cloowr mira-vitis und aller Skepsis gegenüber
dem künstlerischen oder vielmehr unkünstlerischen Zuge der Zeit nicht zu er¬
gründen vermocht. Die Auseinandersetzungen mit den Ästhetikern sind im
Sinne unsrer oben bezeichneten Methode oft sehr lehrreich. Nur möchten wir
dagegen Protestiren, daß der philosophische Pantheismus mit dem Junghegelianer
Bischer in eins gesetzt wird, und was schließlich bei Beurteilung des „national-
liberalen Ästhetikers" Carriere der Nationalliberalismus zu thun hat, ist uns
ganz unverständlich geblieben.

„Alles Schöne ist schwer." Wir schließen mit dem bedeutsamen Worte,
mit dem wir in die Erörterung des August Reichensperger gewidmeten Systems
der Ästhetik eintraten. Sein Autor wird uns kaum vorwerfen können, daß wir
es uns leicht gemacht haben. Und gerade weil wir in jenem sokratischen Sinne
das Schöne für schwer zu beurteilen halten, kann auch unsre philosophische
Ergründung des „Schönen" nicht so einfach und einheitlich ausfallen wie die
seine. Freilich, wenn man, den Doppelsinn jenes Sprichwortes benutzend, das
Schöne völlig gleich dem Guten setzt, so kann man allerdings sehr leicht mit
ihm fertig werden. Denn das Gute ist wohl schwer zu üben und auszuführen,
aber zu beurteilen ist es stets sehr leicht, und zwar gleichermaßen für feinere
und gröbere Geister. Hier werden also keine Meinungsverschiedenheiten zu
schlichten, keine entgegengesetzten Auffassungen zu einen sein. Beschränkt man
vollends seine Anschauung vom Guten auf das allerhöchste Gute, wie es im
weltüberwindenden „Heiligen" entgegentritt, »ut nennt dies „Schönheit," so
wird man in seiner Ästhetik sehr bald dogmatisch auftreten können. Ist man
überdies klug »ud geschickt in der Anwendung des Dogmas, und wählt man
die Beispiele für diese Art vou „Schönheit" zweckentsprechend, so wird man
auch den Anschein erwecken können, als sei dies ihr unverletzlicher Kanon. Frei¬
lich, unter diesen Voraussetzungen ist es ein Kanon, über den garnicht zu streiten
ist, und es ist wirklich erfreulich, welche geringe Rolle der bekannte ästhetische
Ketzer, der „Geschmack," bei demselben spielt. Er erscheint bezeichnenderweise
ganz am Schluß und wird sehr vornehm abgefertigt. Aber leider ist damit
wenig gewonnen. Für ein beschränktes Gebiet dnrch eine Reihe feiner und
richtiger Bestimmungen seiner Willkür beraubt, weist er uns für sein ganzes
übriges Reich, das sich doch nun einmal trotz Dogmen und Voraussetzungen nicht
Hinwegdisputiren läßt, auf seine licht- und ordnungswidrigen Tendenzen hin.
Ihnen gilt es auch dort zu begegnen, auch dort, wenn auch nicht Dogma und


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[0135] Eine christliche Ästhetik. der „schwierigen" Stelle des Thomas von Aquino: ?nlowii enim äiouutur MA-z visii vlaosnt lesen wir weder eine Unterstützung der idealistischen noch der realistischen Ästhetik heraus, sondern einfach die Thatsache, daß der große Kirchenlehrer seinen Aristoteles Wohl inne hatte. Daß übrigens das Sinken des Geschmacks, der Kunst und damit der .Kunstlehre zu der Vernachlässigung der Werke des großen Aquinateu in irgendwelcher Beziehung stehe, haben wir bei aller Bewunderung für den cloowr mira-vitis und aller Skepsis gegenüber dem künstlerischen oder vielmehr unkünstlerischen Zuge der Zeit nicht zu er¬ gründen vermocht. Die Auseinandersetzungen mit den Ästhetikern sind im Sinne unsrer oben bezeichneten Methode oft sehr lehrreich. Nur möchten wir dagegen Protestiren, daß der philosophische Pantheismus mit dem Junghegelianer Bischer in eins gesetzt wird, und was schließlich bei Beurteilung des „national- liberalen Ästhetikers" Carriere der Nationalliberalismus zu thun hat, ist uns ganz unverständlich geblieben. „Alles Schöne ist schwer." Wir schließen mit dem bedeutsamen Worte, mit dem wir in die Erörterung des August Reichensperger gewidmeten Systems der Ästhetik eintraten. Sein Autor wird uns kaum vorwerfen können, daß wir es uns leicht gemacht haben. Und gerade weil wir in jenem sokratischen Sinne das Schöne für schwer zu beurteilen halten, kann auch unsre philosophische Ergründung des „Schönen" nicht so einfach und einheitlich ausfallen wie die seine. Freilich, wenn man, den Doppelsinn jenes Sprichwortes benutzend, das Schöne völlig gleich dem Guten setzt, so kann man allerdings sehr leicht mit ihm fertig werden. Denn das Gute ist wohl schwer zu üben und auszuführen, aber zu beurteilen ist es stets sehr leicht, und zwar gleichermaßen für feinere und gröbere Geister. Hier werden also keine Meinungsverschiedenheiten zu schlichten, keine entgegengesetzten Auffassungen zu einen sein. Beschränkt man vollends seine Anschauung vom Guten auf das allerhöchste Gute, wie es im weltüberwindenden „Heiligen" entgegentritt, »ut nennt dies „Schönheit," so wird man in seiner Ästhetik sehr bald dogmatisch auftreten können. Ist man überdies klug »ud geschickt in der Anwendung des Dogmas, und wählt man die Beispiele für diese Art vou „Schönheit" zweckentsprechend, so wird man auch den Anschein erwecken können, als sei dies ihr unverletzlicher Kanon. Frei¬ lich, unter diesen Voraussetzungen ist es ein Kanon, über den garnicht zu streiten ist, und es ist wirklich erfreulich, welche geringe Rolle der bekannte ästhetische Ketzer, der „Geschmack," bei demselben spielt. Er erscheint bezeichnenderweise ganz am Schluß und wird sehr vornehm abgefertigt. Aber leider ist damit wenig gewonnen. Für ein beschränktes Gebiet dnrch eine Reihe feiner und richtiger Bestimmungen seiner Willkür beraubt, weist er uns für sein ganzes übriges Reich, das sich doch nun einmal trotz Dogmen und Voraussetzungen nicht Hinwegdisputiren läßt, auf seine licht- und ordnungswidrigen Tendenzen hin. Ihnen gilt es auch dort zu begegnen, auch dort, wenn auch nicht Dogma und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200104/135>, abgerufen am 23.12.2024.